SZENE HAMBURG: Aenne und Clemens Flagge, Ferd. Schüllenbach betreut Gewerbekunden wie Privatkunden. Welche sind angenehmer?
Aenne Flagge: Das liegt an der Person. Wir haben reizende Handwerkerkunden, wir haben aber auch mal welche, die einen kleinen Dämpfer brauchen. Das ist drin. Bei den Privatkunden ist es so: Viele sind gut vorbereitet. Da macht es Spaß. Andere wiederum können sich zu nichts durchringen, weil sie noch nicht reflektiert haben, was eigentlich gebraucht wird. Da ist es büschen mühseliger. Aber im Grunde genommen sind alle meine Leute recht geduldig, können sich gut einfühlen und ich muss sagen: Zum Schluss eines Verkaufsgesprächs geht jeder zufrieden bei uns raus.
Clemens Flagge: Litfaßsäulentag hat jeder mal. Ich hatte meinen heute Morgen: Vor mir stand der Mülleimermann in seinem Bollerwagen und ich ganz gemächlich: „Ja, du hast ja Zeit.“ Hier warteten schon die Leute. (lacht) Wenn ein Kunde seinen Tag hat, kann man sagen: „Du gehst jetzt mal raus, dann kommst du noch mal rein, ich begrüß ich dich schön, dann läuft das schon.“ Handwerker stehen unter Dampf.
Die kriegen morgens ihren Auftragszettel, fahren zum Kunden, stehen in der Innenstadt, wo ja unheimlich viel Parkplätze sind und die auch noch preiswert. (lacht) Die sind unter Druck, aber nie unhöflich. Es ist eine andere Tonart als mit Meier-Müller-Schmidt: „Ich komm aus Blankenese“ Ich so: „Was hamse sonst so gemacht?“ Das interessiert mich nicht. Hier wird jeder so wie er reinkommt, bearbeitet. Die Leute freuen sich, dass man ihnen was erklärt. Dass man sagt, pass mal auf, das kannst du auch so und so machen. Das ist unsere Stärke: Beratung.
Als junges Mädchen musste ich mir schon einiges anhören
Aenne Flagge
Was war Ihr letzter ungewöhnlicher Beratungsfall?
Clemens Flagge: Dieses Schloss aus der Jahrhundertwende. Sein Riegel war heute Morgen noch hier drin gefangen, jetzt geht es wieder. Das hält noch mal ein Jahrhundert aus. Da sind Federn drin, da kann man nur von träumen. Da habe ich einen Vogel drauf: Diese schönen alten Schlösser kann man ja nicht wegschmeißen. Da machen die heute fünf oder sechs Schlösser von dem Material allein.
„Die Kundschaft wird jünger und weiblicher“
Wie hat sich Ihre Kundschaft im Lauf der Zeit verändert?
Aenne Flagge: Ich habe als 16-jähriger Lehrling 1963 hier angefangen, seitdem arbeite ich hier. Hat sich die Kundschaft verändert? Kann man schwer sagen. Sicher ist: Ganz viele nette Kunden, nette Gespräche, kann nicht sagen, dass sich da so viel verändert hätte. Es sind bis heute viel richtige Hamburger, die geradeaus sind, die nicht so um den heißen Brei rumreden.
Clemens Flagge: Die Kundschaft wird jünger und weiblicher.
Aenne Flagge: Das ist jetzt ganz normal, dass Frauen auch handwerken.
Clemens Flagge: Die kommen jetzt rein und sagen: Helfen Sie mir mal. Und die hören auch zu. Und unsere Generation steht da und sagt: Die hat beim Vattern nicht zugekuckt. (lacht)
Ferd. Schüllenbach gibt es jetzt schon in der fünften Generation. Haben Sie so etwas wie ein Erfolgsrezept?
Aenne Flagge: Das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Mein Großvater ist früh gestorben, ich kann da nur für meinen Vater sprechen. Der hat eine Menge bewerkstelligt. Er ist aus einem kleineren Laden in der Holstenstraße hierhergezogen, das war so 1958. Das war wohl ein ziemlicher Kraftakt damals. Ich war Schülerin und noch nicht involviert. Nächste Frage. (lacht)
Doofe Kommentare? Rutschen den Buckel runter
Sie waren nach vier Generationen die erste Chefin. Mussten Sie sich da dumme Sprüche anhören?
Aenne Flagge: Ja, das musste ich schon. „Holen Sie mal einen Kollegen.“ „Das wissen Sie sicherlich nicht.“ Als junges Mädchen nach der zehnten Klasse musste man sich da schon einiges anhören. Und als ich älter wurde und schon ziemlich viel Kenntnisse hatte, kam das immer noch vor.
Wir sind Spezialisten in unserem Programm
Aenne Flagge
Wie haben Sie sich durchgesetzt?
Aenne: Ich kann schon mal auch eine kräftige Antwort geben. Aber das muss dann jemand sein, bei dem man sich denkt: „Jetzt reicht’s aber.“ Grundsätzlich tangiert mich das nicht so. Ich habe einen breiten Buckel, und da rutscht das dann runter.
Clemens Flagge: Wir haben das von Anfang an gleich so geregelt: Meine Frau macht den buchhalterischen Kram, Kasse und so weiter und ich mehr die Technik. Und wenn anfangs mal kam: „Das ist nur eine Frau“, da konnte man dann schon antworten: „Pass auf, wir können dir helfen. Aber nicht so.“ Meine Frau hat da aber mehr Ruhe drin als ich. (lacht) Da haben wir uns gegenseitig unterstützt.
„Gott sei Dank, dass es euch gibt“
Ihr erstes Lehrjahr war 1963. Das war die Zeit, als die ersten Baumärkte eröffnet haben. Wie haben Sie das erlebt?
Aenne Flagge: Da wir zu 70 Prozent ein anderes Programm führen, hat uns das nicht wirklich tangiert. Wir haben überwiegend Tischlerkunden, Schlosserkunden und alles, was so in diese Richtung geht, die Privatleute, sehr viel Baugeschäfte. Die wussten damals wie heute zu schätzen, dass es hier ausgebildete Fachkräfte gibt, die ganz genau verstehen konnten, was so gewünscht wird. Auch wenn man das mit Fachbegriffen nicht so genau sagen konnte. Und dann macht es eben die Fülle. In einem Baumarkt haben sie von einem Türdrücker ein, zwei oder mal fünf Modelle, damals wahrscheinlich sogar noch weniger, und da bieten wir einfach mehr. Wenn jemand sagt, er braucht 20 Paar, dann haben wir 20 Paar von der Sorte. Das ist neben der Fachkenntnis ein großer Unterschied zu den Baumärkten.
Clemens Flagge: Zu mir sagte ein Baumarktchef: Euch mache ich alle platt. Hat er aber nicht hingekriegt. (lacht)
Kam es schon vor, dass Kunden reumütig zurückgekehrt sind?
Aenne Flagge: Das haben die uns natürlich nicht gesagt. (lacht) Aber die Resonanz ist gut. „Gott sei Dank, dass es euch gibt.“ Hören wir täglich. „Was für’n Glück, dass ihr da wart.“ Und solche Sprüche. Und das ist doch eigentlich echtes Lob.
Clemens Flagge: Einige ja. Wenn es Unstimmigkeiten gab oder Lieferschwierigkeiten waren – was ohne Weiteres vorkommen kann – haben wir schon mal gehört: „Ich komme nie wieder.“ Und dann später etwas kleinlaut: „Tut mir leid.“ So was passiert halt mal. Aber selten, muss man sagen.
Spezialisten, auch für Baumärkte
Stimmt es, dass Sie sogar Baumärkte beliefern?
Aenne Flagge: (verschmitzt) Ja. Wenn die Mengen nicht da haben, und so weiter, dann kommt das auch vor.
Zu mir sagte ein Baumarktchef: Euch mache ich alle platt. Hat er aber nicht hingekriegt.
Clemens Flagge
Was kriegt man im Baumarkt, was man bei Ihnen nicht kriegt?
Aenne Flagge: Wir sind Spezialisten in unserem Programm. Alles, was Sie hier sehen, ist für Tischler und Handwerker allgemein, und in den Baumarkt kann ja jeder als Privatperson gehen. Wahrscheinlich sind da mehr Materialien. Das fehlt uns natürlich. Zementsäcke und so was haben wir nicht. Oder vielleicht auch eine Schubkarre, obwohl wir da auch drei oder vier Modelle haben. Aber ich kann’s nicht genau sagen, denn ich bin keine Baumarktkäuferin. Mir fehlt der echte Vergleich, weil ich nie was vom Baumarkt brauchte.
Clemens Flagge: Ganz einfache Sache: Der Baumarkt hat durchlaufende Artikel im preiswerteren Bereich. Die können zum Beispiel gewindemäßig nicht so hochwertig sein. Wir achten darauf, dass wir Qualitätsware haben. Minimum Europa oder mit Zertifizierung auch aus China. Aber das muss eine Zertifizierung unserer Vorlieferanten sein, ansonsten gar nicht. Da bin ich büschen kusch drin. Das ist so. Will ich unsere eigene und unsere europäische Wirtschaft unterstützen, muss ich nicht China für unterstützen. Außer, unsere Lieferanten haben ausgesourct. Dann müssen sie aber genau nach unseren Normen arbeiten. Und da merkt man den Unterschied auch im Preis. Der liegt schon in der Qualität der Legierung. Und die ist äußerst wichtig.
Welche inhabergeführten Geschäfte für Artikel des täglichen Lebens gibt es außer Ihnen noch auf St. Pauli?
Aenne Flagge: Da fällt mir nur der Bäcker Stenzel auf dem Schulterblatt ein.
Clemens Flagge: Die sind wie mit der Puderdose gestreut.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 07/2023 erschienen.