SZENE HAMBURG: Anna, am 13. März erscheint eine neue Single von dir, im Verlauf des Jahres soll zudem ein neues Album folgen. Was sind die größten Herausforderungen vor den Veröffentlichungen für dich?
Anna Wydra: Ich kann es selbst kaum glauben, aber es stimmt! Nach zweieinhalb, aber gefühlten zehn Jahren Arbeit am zweiten Album, kommt Mitte März nun endlich die erste Single-Auskopplung „My Adderall“ raus – Grüße an alle Neurospicies an dieser Stelle. Ein Album zu produzieren ist definitiv schon mal herausfordernd, die Vermarktung bringt aber noch mal ganz andere Aufgaben mit sich. Ich sehe mich jetzt mit diversen Fragen konfrontiert und muss viele Entscheidungen treffen, die sich auf den Erfolg meiner Musik auswirken können. Worauf lege ich den Fokus? Playlisting, Social Media, Online-/Print-/Radio-Promotion, Live-Spielen, hochwertige Musikvideos produzieren, CDs beziehungsweise Vinyl pressen? Eigentlich ist ja alles davon wichtig, oder? Mal davon abgesehen, dass man als Newcomer-Act meist ein nur sehr begrenztes Budget hat, hat man ja auch begrenzte Kapazitäten, zeitlich sowie mental. Da komme ich – und da kann ich wahrscheinlich für die gesamte Branche sprechen – oft an meine Grenzen und überschreite diese auch kontinuierlich.
Anna Wydra über Venues in der Musikbranche

Viel Arbeit und eben auch hohe Kosten. Werden diese am Ende voraussichtlich durch Label-Vorschuss, Verkäufe, Streams und GEMA gedeckelt sein?
Ich mach’s kurz: Sehr wahrscheinlich – und für eine lange Zeit – nicht. Wenn man mit null rausgeht, ist das oft schon erleichternd. Aber ich verliere da noch nicht die Hoffnung!
Neue Musik bedeutet sicherlich auch neue Konzerte. Auch wenn dein Indie-Rock-Sound große Hallen füllen könnte, spielst du aktuell eher mittelgroße bis kleine Venues. Ist es schwer für dich als Indie-Act, die passenden Buchungen zu bekommen? Wie sieht es zum Beispiel hier in Hamburg aus?
Wenn man nicht gerade bei TikTok komplett durch die Decke geht oder die Spotify-Zahlen gen Millionen steigen, ist es gar nicht so easy, gebucht zu werden. Die Venues und Festivals ziehen natürlich Acts vor, die die Hallen und Kassen füllen. Und wenn man selbst ein Konzert veranstalten möchte, trägt man die kompletten Kosten meist selbst und steckt super viel Arbeit in die Werbung dafür. Man muss die Band bezahlen, die Bühnenoutfits und Deko, Merch, Equipment und dessen Transport. Wenn ich das jetzt so aufzähle, klingt das ganz schön deprimierend, aber das ist leider für die meisten Acts ohne großen Label- oder Förderungssupport die Realität. Viele Acts spielen nicht grundlos mit Backingtrack und nur noch einer weiteren Person auf der Bühne, anstatt einer fünfköpfigen Band. Das war früher etwas romantischer irgendwie. Dabei ist Live-Spielen so bedeutend und wichtig, gerade für Newcomer. Es braucht neue Venues, Formate und Begegnungsorte in Hamburg.
Anna Wydra: „Es braucht neue Venues, Formate und Begegnungsorte in Hamburg“
Welche Strategien nutzt du, um sowohl neue Musik als auch Konzerte zu puschen?
In erster Linie pusche ich durch Social Media und versuche, so regelmäßig wie möglich meine Accounts zu füttern. Das reicht aber längst nicht. Man muss die Leute im realen Leben abholen. Immer wieder darüber reden, echte Verbindungen schaffen, Emotionen erwecken und selbstbewusst und ehrlich mit der eigenen Musik an die Menschen treten. Ich nutze dafür zum Beispiel auch die Straßenmusik und verteile Flyer und verkaufe meinen Merch. Wenn das Budget da ist, verklebe ich auch Poster oder hänge Banner auf.
Ich komme oft an meine Grenzen und überschreite diese kontinuierlich
Anna Wydra
Pushen kann auch die Hamburger Politik. Hast du konkrete Wünsche an sie?
In erster Linie kann mit Geldern und Förderungen unterstützt werden. Um eine vernünftige Basis für das Live-Business zu schaffen, brauchen die Clubs finanzielle Sicherheit, damit die Kosten nicht weiter auf die Acts abgewälzt werden müssen. Das würde auch die Tickets etwas günstiger machen und mehr Menschen würden sich Kultur wieder leisten können und wollen. Es wäre auch toll, wieder mehr Begegnungsstätten zu haben. Mir fehlt zum Beispiel „Just Music“ (beliebter Musikladen, wurde 2021 geschlossen; Anm. d. Red.) im Feldstraßenbunker total. Das war für mich viele Jahre lang ein Treffpunkt für musikalischen Austausch, weil man dort immer jemanden aus der Branche getroffen hat und so das Netzwerk am Leben gehalten wurde, Social Media ist dafür einfach kein Ersatz. In den letzten Jahren gab es auch immer wieder Rückschläge für die Hamburger Musikszene, sei es wegen Covid, dem Abriss der Sternbrücke oder der ewigen Verdrängung des Molotows. Da geht auf jeden Fall noch einiges. Günstigerer Wohnraum wäre zum Beispiel auch toll und super hilfreich. Ich musste gerade meinen Proberaum kündigen, da meine Miete erneut arg in die Höhe geschossen ist, das war echt heartbreaking. Trotzdem freue ich mich auf das, was kommt: Hamburg hat so viele großartige, aufstrebende Artists hervorgebracht in der letzten Zeit und ich fände es so schön, wenn die auch in Hamburg bleiben können und nicht alle auswandern müssen, weil es hier keine Perspektive mehr gibt. Hamburg ist doch eigentlich ein Musik-Hotspot!