Filmkritik: „Anselm – Das Rauschen der Zeit“

Im Dokumentarfilm „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ nähert sich Filmemacher Wim Wenders dem Künstler Anselm Kiefer. Das Ergebnis ist ein äußerst sehenswerter Beweis, wozu die 3D-Technik fähig ist
Zwei Kreative unter sich: Künstler Anselm Kiefer (l.) und Regisseur Wim Wenders (r.) in Kiefers Gedächtnis-Bibliothek (©Road Movies)
„Anselm – Das Rauschen der Zeit“ von Wim Wenders, im Kino (©Road Movies)

Die Werke des Künstlers Anselm Kiefer sind seit jeher inspiriert von Literatur und Poesie, Geschichte, Philosophie, Wissenschaft, Mythologie und Religion; sie behandeln die menschliche Existenz, die zyklische Geschichte der Zeit in all ihren Dimensionen. Die deutsche Geschichte und die Erlebnisse in der unmittelbaren Nachkriegszeit spielen darin eine prominente Rolle – was in einer Gesellschaft, die lieber verdrängen und vergessen wollte nicht immer wohlwollend aufgenommen wurde.

Wie nähert man sich filmisch einem Künstler dieses Formats? Regie-Veteran Wim Wenders („Der amerikanische Freund“) hat in „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ eine ganz eigene Antwort gefunden und diese lautet: durch den Gebrauch der dritten Dimension. In geradezu genialer Weise nutzt Wenders die 3D-Filmtechnik, um die Kinozuschauer in das Reich Anselm Kiefers im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen zu lassen. Und dieses ist wahrlich groß: Gigantische Räume mit Malereien, Skulpturen, Fotografien, Holzschnitten, Künstlerbüchern, Installationen, Bühnenbildern und Architektur-Werken tun sich auf. Die Kamera begleitet Kiefer in seinem „Atelier“ – eine stillgelegte Seidenspinnerei (!) – und nähert sich ehrfurchtsvoll den düsteren, existenziellen Werken.

Zwei kreative Größen vereint in einem Projekt

In aufwendig produzierten Rückblicken sieht man Kiefer zudem als Kind und mittelalten Mann, wie er an weiteren Orten seiner Kunst nachgeht und sich inspirieren lässt – unter anderem von großen Dichtern wie Paul Celan oder Ingeborg Bachmann. Vergangenheit und Zukunft sind in Kiefers Kunst miteinander verwoben. Geschickt verknüpft Wenders die vielen Lebensabschnitte Kiefers über dessen Oeuvre und ermöglicht dadurch ein Porträt eines Künstlers, das der Größe seiner Kunst ebenbürtig ist. Mit einer Auflösung von 6K beweist der Film zudem, welches Potenzial jenseits von Action- oder Animationsspektakeln in der 3D-Technik steckt. „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ ermöglicht, so Wenders, „ein immersives, physisches, mentales Sich-Einlassen, eine poetische Sprache“. Wie erhaben es sein kann, wenn zwei kreative Größen für ein Projekt zusammenkommen, kann nun im Kino erlebt werden.

„Anselm – Das Rauschen der Zeit“, Regie: Wim Wenders. 93 Min. Ab dem 12. Oktober 2023 im Kino

Hier gibt’s den Trailer zum Film:

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Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 10/2023 erschienen.

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