Bedrohte Räume #15: Die Definition von Haltbarkeit ist NEU

Das alte Walzwerk in Billbrook wurde den Gebrüdern Otto geopfert, denn die machen da jetzt alles ganz schön neu. Und nun kommt auch schon die nächste Baustelle: unsere weltrufgeadelte Post-Pyramide in der City Nord – herrlichste 70er Jahre Brutalismus-Architektur.

So gefeiert wie gehasst, aber immer eines: NEU! Jedenfalls damals. Doch leider hat auch NEU ein Verfallsdatum, besonders die 70er Jahre sind ein zickiges NEU von der Haltbarkeit eines Topmodels. Ein sozusagen altes NEU. So sind wir Hamburger nun mal – anpacken, wegräumen und NEU machen. Das lieben wir: Deshalb machen wir NEU. Das ist so geil, so neu für alle.

Das alte NEU ist ja tatsächlich auch immer so schnell wieder alt. Nicht wie so’n richtig uraltes Alt, dass 100e von Jahren rumsteht. Da trauern wir dann auch ’n Momentchen, wenn der Abriss vollzogen ist. Ich meine das alte NEU, dass nach 40 Jahren alt ist: Beton Brut, Asbest, mieser Brandschutz und vergeigte Raumschnitte. Impuls: NEU machen. Der Ageism in der Baubranche scheint übler als in der Musikindustrie. Kaum umgedreht, jubeln wir: NEU machen, während Denkmalschützer und Architekturverrückte, die den radikalen Look schätzen und Architektur als Mahnmal kollektiver Erinnerung bewahren möchten, mit den Füßen scharren.

Und so sind sich fast alle einig: Die City-Nord, auch Geisterstadt genannt, ist zwar als Ensemble denkmalgeschützt, aber „Der Schnitt, der Raum, das Gebäude, es passt einfach nicht in die heutige Zeit. […] Man muss sich einfach von etwas trennen, wenn es nicht mehr funktioniert.“ Aha! Die Quartiersmanagerin hat da einfache Lösungen für komplexe Sachverhalte: Oma, Du funktionierst nicht mehr, ab in die Elbe mit dir! 

Ja, sie machen es wieder auf Hamburger Art: Sie planen das freshe Neubau-Ensemble
 ipanema, mit nagelneuem Büroturm und 520 Wohnungen. Das ist dann das nagelneue NEU. Ein schönes neues erneuertes NEU. Neuer als die Gebäude in der 
HafenCity, die kurze Zeit das neue NEU waren, aber jetzt schon rumbröseln und so nur noch knapp ein neues NEU verkörpern. Ehrlich gesagt, ich als moderner Mensch würde sogar sagen, sie verkörpern schon fast das alte NEU und sind damit potenziell in derselben Gefahrenlage befindlich wie unsere alte neue Post-Pyramide von 1977. So alt nämlich, dass der Heini abgerissen wird und mit ihm seine beeindruckende skulpturale Wirkung. Neu wird sein, dass das kommende erneuerte NEU bereits vor dem Bau so alt wirken wird, wie der abzureißende Bau der 70er Jahre niemals hätte werden können. Der nämlich stände kurz davor, ein wirklich edles, eindrucksvolles und selbstbewusstes NEU zu werden.

Eure Raumsonde

Andrea

Beitragsbild: Magnus Manske


Who the fuck is…

Andrea Rothaug Szene Hamburg Stadtmagazin

Foto: Katja Ruge

Andrea Rothaug ist eine musikalische Raumsonde mit Hang zum Wort, Kulturmanagerin, Autorin, Dozentin, Veranstalterin, Präsidentin. Was diese Frau so alles treibt, erfahren Sie auf  Ihrer Website

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