Prostitution in St. Georg – Recht auf Respekt

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Die Beratungsstelle Prostitution in St. Georg unterstützt Frauen, die ihren Körper verkaufen. Ein Gespräch mit der Einrichtungsleiterin Julia Buntenbach-Henke über prekäre Lebenslagen, Anfeindungen aus der Gesellschaft und Stereotype in Medienberichten.

Text & Interview: Ulrich Thiele

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Dieser Artikel stammt aus der SZENE HAMBURG 9/18. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.

Sozialarbeiterin Isabell Tiede gründete 1985 das „Café Sperrgebiet“, das wenig später in die Trägerschaft der Diakonie gekommen ist. Die Einrichtung „Sperrgebiet St. Georg“ war damals noch in der Nähe vom Hansa­platz ansässig und kümmerte sich in erster ­Linie um minderjährige, drogenkonsumierende ­ Prostituierte. Die Diakonie Hamburg ­bietet schon seit rund 43 Jahren Unterstützung für Frauen in der Prostitution ­an – unter anderem mit der „Kaffeeklappe St. Pauli“, in der sie Beratung und Unterstützung erhalten. Vor vier Jahren wurden das „Café Sperrgebiet“ und die „Kaffeeklappe“ zur „Fachberatungsstelle Prostitution Sperrgebiet“ zusammengelegt – mit den Standorten auf St. Pauli und St. Georg, den beiden Hotspots der Prostitution in Hamburg.

SZENE HAMBURG: Julia Buntenbach-Henke, wie unterstützen Sie die Prostituierten in St. Georg?

Julia Buntenbach- Henke: Wir bieten ihnen in erster Linie einen Schutzraum. Sie können zu uns kommen, essen, trinken, Wäsche waschen und sich ausruhen. Auch können sie unsere Ärztin oder unsere Beratung nutzen. Und wir belangen sie dabei erst einmal gar nicht. Wenn sie etwas möchten, dann können sie sich vertrauensvoll an uns wenden. Wir akzeptieren, dass sie in der Pros­titution arbeiten und behandeln sie mit Respekt. Die Frau bestimmt letztendlich den Prozess. Wenn sie zum Beispiel sagt, dass sie Hilfe bei der Kranken­versicherung braucht, dann versuchen wir mit ihr etwas zu bewegen. Wir wollen Selbstbestimmung stärken, indem wir da starten und stoppen, wo die Frau es will. Wir gehen außerdem auch regelmäßig auf den Hansaplatz, ver­teilen Kondome, Gleitmittel, Süßigkeiten, Getränke und bieten auch Kurzberatungen an.

Wovor genau brauchen sie Schutz?

Die Frauen brauchen einen Ort, an dem sie respektiert und akzeptiert werden. An dem sie nicht diskriminiert, stigmatisiert, abgewertet oder mit irgendwelchen Labels belegt werden. Gerade hier in St. Georg befinden sich viele Frauen in unglaublich prekären Lebenslagen. Sie können nicht zum Arzt gehen, weil sie keine Krankenversicherung haben. Sie haben keinen Wohnort und kein Geld. Wir möchten sie dabei unterstützen, ihre Lebens­situationen zu verbessern, durch alltags- praktische Hilfen wie der Lebensmittelversorgung, aber auch durch weitergehende Angebote wie der rechtlichen oder psychologischen Beratung oder der Begleitung bei Behördengängen.

„Die Frauen brauchen einen Ort, an dem sie respektiert und akzeptiert werden.“

Haben die Frauen Hemmungen, zu den Behörden zu gehen?

Von außen betrachtet unterschätzt man, was die gesellschaftliche Haltung mit den Frauen macht. Sie erleben so viel Abwertung, werden so oft in eine Schublade gesteckt, dass sie sich nicht trauen, ihre Rechte durchzusetzen und Leistungen, die ihnen zustehen, in Anspruch zu nehmen. Das liegt auch daran, dass sie selbst von den Ämtern ­extrem viel Gegenwind bekommen und Abwertung erleben. Das ist für Außenstehende schwer vorstellbar.

Welches falsche Bild von Prostitution haben Außenstehende?

Die Berichterstattung über Prostitution etwa bewegt sich in meinen Augen immer nur zwischen zwei Polen. Entweder werden alle Frauen als Opfer dargestellt. Oder sie werden als selbstbestimmte Frauen dargestellt, die viel Geld verdienen und einen Job wie jeden anderen ausüben. In die Tiefe wird dabei selten geblickt. Doch ein Großteil der Prostitution spielt sich in einem Graubereich dazwischen ab.

Der Hansaplatz gehört zu den Hotspots der Prostitution. Foto: Pauli Pirat

Wie kommen die Frauen überhaupt zur Prostitution?

Das Klischee ist oftmals, dass sie in das Milieu gedrängt oder dazu gezwungen werden. Aber damit tappt man wohl in die Opferfalle. Ich bin für eine ganz differenzierte Betrachtung. Es gibt den Begriff „Menschenhandel“. Das bedeutet: Zwang, kei­ne Freiwilligkeit. Wenn wir von Pros­titution sprechen, dann verstehe ich darunter zunächst eine freiwillige Diensthandlung gegen Bezahlung. Der Motivator dafür ist in erster Linie Gelderwerb. Unterschiede gibt es aber in der Ausgangslage der Frauen. Es gibt Frauen, die berufliche Alternativen und einen gewissen Bildungsgrad haben. Diese Frauen entscheiden sich für die Prostitution zum Beispiel als Gegenmodell zu bürgerlichen Lebensentwürfen. Und dann gibt es eben auch die Frauen, die arm sind, die keine beruflichen Alternativen haben und unter ökonomischen Druck stehen. Für diese Frauen ist Prostitution eine sehr pragmatische Angelegenheit.

Welche Rolle spielen die Zuhälter beim Einstieg der Frauen in die Prostitution?

Auch das ist wieder schwer zu pauschalisieren. Einige Frauen geraten durch Liebesbeziehungen in die Prostitution. Das wird zum Teil sehr professionell eingefädelt: Frau trifft Mann, verliebt sich unsterblich, er kann ihr sehr viel Aufmerksamkeit, Zuneigung und auch materielle Dinge bieten. Aber irgendwann heißt es dann: „Ich habe ein Problem, ich habe kein Geld mehr, könntest du nicht …?“ Viele haben die Hoffnung, die Liebesbeziehung so erhalten zu können. Und es geht auch um gemeinsame Träume, durch diese Tätigkeit ein gemeinsames Leben aufbauen und sich ein Haus leisten zu können.

Emotionale Manipulation also …

Genau. Es werden zum Teil auch sehr junge Frauen ganz gezielt angesprochen und mit Aufmerksamkeit und materiellen Dingen angelockt. Von knallharter Gewalt, um Frauen in die Prostitution zu zwingen, höre ich hingegen nicht so häufig in unserem Arbeitskontext. Ich würde aber nicht ­sagen, dass es diese Gewalt nicht gibt.

„Die Frauen erleben teils heftige Beschimpfungen und Anfeindungen.“

Welche sind die häufigsten Formen von Gewalt, die die Prostituierten erleben?

Psychische und körperliche, aber das gilt nicht für alle Frauen. Frauen werden zum Teil von Männern unter Druck gesetzt, in der Prostitution zu bleiben. Und es kommt zu körperlichen Übergriffen durch Freier, aber auch durch Menschen, denen es nicht passt, dass Prostitution hier in St. Georg stattfindet. Die Frauen erleben teils heftige Beschimpfungen und Anfeindungen und es ist deutlich spürbar, dass sie hier von einigen nicht gewollt sind.

Letztes Jahr ist das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten, um Pros­tituierten mehr Schutz bieten zu können. Zu den Kernelementen gehören eine Anmeldepflicht, eine gesundheitliche Pflichtberatung und eine Erlaubnispflicht. Ist das nicht ein Fortschritt?

Den Grundgedanken, dass es mehr Selbstbestimmung und Schutz vor Menschenhandel geben soll, finden wir grundsätzlich gut. Auch die Regelungen – Sicherheitssysteme, Hygienemaßnahmen – die für Betreiber getroffen wurden, befürworten wir. Aber wir zweifeln daran, ob die Pflichtanmeldung und die Pflichtberatung dabei helfen, den Schutzgedanken des Gesetzes tatsächlich zu erfüllen. Wir erleben, dass die Frauen sehr lange brauchen, um sich zu offenbaren und glauben nicht, dass in einem pflichtmäßigen Beratungsgespräch von begrenzter Dauer wirklich etwas bewirkt wird. Wir hätten es gut gefunden, wenn das Gesetz die bestehenden Strukturen niedrigschwelliger Einrichtungen, wie uns, gestärkt hätte.

Wie viele Prostituierte gibt es eigentlich in St. Georg?

Es gibt grundsätzlich keine validen Zahlen zur Anzahl der Prostituierten in Deutschland. In St. Georg geht man immer von 300 bis 400 aus, aber ich kann das nicht beschwören. Es gibt ­einen großen Anteil von Prostitution, der nicht im öffentlichen Bereich wahrnehmbar ist. Es gibt über ganz Hamburg verteilt Prostitution in Lauf­häusern, in Bordellen und insbesondere auch in Apartments.

Wie viele Frauen kommen zu Ihnen?

Weit über 200 im Jahr.

Und viele davon in prekären Lagen?

Ja, das merken wir eben daran, wie viele Frauen unsere Basisverpflegungs­angebote nutzen. Viele haben keine Wohnung und arbeiten auch, um sich einen Schlafplatz in kleinen Hotels zu finanzieren. Ein Hotel kostet zwischen 30 bis 40 Euro pro Nacht, und diese Summe muss die Frau am Tag erst einmal erwirtschaften. Wenn man das auf den Monat hochrechnet, kann man sich vorstellen, wie schwierig das ist.

„Es ist wahnsinnig schwierig, aus diesem Kreislauf herauszukommen.“

Es kann also vorkommen, dass sie sich keinen Schlafplatz leisten kann?

Genau. Es kommt auch vor, dass eine Frau krank ist, einen medizini­schen Eingriff braucht und deswegen eigentlich nicht arbeiten kann, weil sie zu schwach ist – es aber trotzdem tun muss, allein um sich einen Schlafplatz zu sichern. Das ist Realität in St. Georg.

Wie sieht das „typisches“ Schicksal ­einer Prostituierten in St. Georg aus? Welche Vorgeschichte hat sie?

Es gibt kein typisches Schicksal, weil die Frauen alle sehr unterschiedlich sind. Aber wenn wir verallgemeinern wollen, können wir sagen: Die Prostituierten hier in St. Georg haben oft einen Migrationshintergrund, waren in ihrem Heimatland sehr arm, haben eine geringe Bildung und sind hoffnungsgeleitet mit dem Ziel nach Hamburg gekommen, für sich und ihre Familien ein besseres Leben zu schaffen.

Ist ein Ausstieg aus der Prostitution möglich?

Die Lage ist schlichtweg massiv: Keine Wohnung, keine geregelte finanzielle Sicherheit, keine Krankenversicherung. Es ist wahnsinnig schwierig, aus diesem Kreislauf herauszukommen, wenn die Frauen das wollen. Was sollen sie einem zukünftigen Arbeit­geber sagen, wenn er fragt, wo sie vorher gearbeitet haben? Wie sollen sie eine Wohnung bekommen, wenn sie keine Lohnabrechnung haben? Wenn die Frau den Wunsch hat auszusteigen, ist das ein sehr langwieriger Hilfsprozess für uns und kann anderthalb Jahre dauern, auch weil es wahnsinnig schwierig für sie ist, einen anderen Job zu finden. Aber möglich ist das durchaus.

www.sperrgebiet-hamburg.de


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, September 2018. Das Magazin ist seit dem 30. August 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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