Bornplatzsynagoge: Das Für und Wider der Rekonstruktion

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Postkartenmotiv der Bornplatzsynagoge von 1906 (Foto: Stift)

Der Wiederaufbau der ehemaligen Bornplatzsynagoge am heutigen Joseph-Carlebach-Platz im Grindelviertel ist das derzeit meist diskutierte Bauprojekt der Stadt. Die Bürgerschaft möchte die Synagoge so errichten, wie sie war, bevor sie 1938 von den Nazis zerstört wurde – an gleicher Stelle, im gleichen Stil, in einer anderen Zeit. Über das Für und Wider der Rekonstruktion

Text: Marco Arellano Gomes

Es gibt Bauprojekte mit starker Symbolkraft. Die Speicherstadt war ein solches Projekt. Sie offenbarte die ökonomische Macht des Hafens, war funktional und traf den Zeitgeist. Der Fernsehturm war ebenfalls ein solches Projekt. Er stand für Modernität und Erhabenheit und strahlte neben dem technischen Fortschritt den Wohlstand der Nachkriegszeit aus.

Auch die Elbphilharmonie gehört in ­diese Kategorie. Sie offenbart Hamburgs Ambition, kulturell in der ersten Liga mitzuspielen und vereint das Klassische mit dem Modernen. Ob der ge­plante Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ein solches Projekt sein kann, wird sich zeigen. Zumindest ist es der Versuch, die Gegenwart und die Vergangenheit zu verstehen, zu vereinen, zu versöhnen. Kann das gelingen?

Bekenntnis zum jüdischen Glauben

Die Rekonstruktion der Synagoge sei ein klares Bekenntnis der Stadt zum jüdischen Glauben, der jüdischen Gemeinde, und ein politisches Zeichen gegen den gewachsenen Antisemitismus. So sagt es die Hamburgische Bürgerschaft, die sich geschlossen – über alle Fraktionen (SPD, Grüne, CDU, Linke, FDP und AfD) hinweg – für den Bau ausgesprochen hat. Ziel sei es, das jüdische Leben in Hamburg deutlich zu stärken und sichtbar werden zu lassen.

So viel Geschlossenheit gibt es nicht alle Tage. Die antisemitischen Anschläge in Halle und Hanau sind an Hamburg jedenfalls ebenso wenig vorbeigegangen wie der lebensgefährliche Angriff auf einen jüdischen Studenten mit einem Spaten vor der derzeitigen Hauptsynagoge Hohe Weide – mitten im Herzen von Eimsbüttel (SZENE HAMBURG berichtete in der November-Ausgabe).

Die Gedenkstätte

Am Joseph-Carlebach-Platz (ehemals Bornplatz), dem Ort, an dem die Synagoge wieder errichtet werden soll, befindet sich seit 1988 eine auf den ersten Blick nicht erkennbare Gedenkstätte. Man muss schon demütig den Blick senken, um das von der Künstlerin Margrit Kahl entworfene Bodenmosaik zu erkennen, das an den Sakralbau erinnert.

Diskret zeichnet es den Grundriss und das Deckengewölbe mit Granitsteinen nach. Einige Schilder und eine Stele auf dem Gehweg informieren über die Geschichte des Platzes, zeigen Bilder der Sy­nagoge und des damals prakti­zierenden Rabbiners Joseph Carlebach, der 1941 in das ­Lager Jungfernhof, nahe Riga (Lettland), deportiert und dort ebenso wie seine Frau und drei seiner Töchter ermordet wurde.

Größtes jüdisches Gotteshaus Norddeutschlands

Die Synagoge wurde am 9. November 1938 in der Reichs­pogromnacht von Nationalsozialisten geschändet und in Brand gesetzt, wie viele andere jüdische Gotteshäuser und Geschäfte in ganz Deutschland auch. Augenzeugen in Hamburg berichteten von klirrenden Scheiben, von Feuerflammen, die ein bis zwei Tage loderten, während die Feuerwehrleute nur daneben standen und zuschauten. Übrig blieb eine Ruine, die ein Jahr später auf Kosten der jüdischen Gemeinde abgerissen wurde.

Dabei sollte die nach den Plänen der Architekten Ernst Friedheim und Semmy Engel erbaute Bornplatzsynagoge ursprünglich ein neues Kapitel des gesellschaftlichen Zusammenlebens zwischen Juden und Nichtjuden in Hamburg einläuten: Es war das größte jüdische Gotteshaus Norddeutschlands.

Mitten in dem Stadtteil, in dem das jüdische Leben zu Hause war: das Grindelviertel. Gestaltet im neoromanischen Stil, mit Rundbögen und gotischen Elementen. Auf der mächtigen, knapp 40 Meter hohen braunen Kuppel war ein Stab mit einem vergoldeten Davidstern angebracht. Die 1908 eingeweihte Synagoge bot 1.200 Besuchern Platz und war mit ihrer schlichten und doch erhabenen Präsenz Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins.

Spatenschlag statt Spatenstich

Shlomo Bistritzky, der derzeitige Landesrabbiner der Freien und Hansestadt Hamburg, hat die Synagoge in einem Interview mit dem „Hamburger Abendblatt“ im Oktober 2019 wieder ins Gedächtnis gerufen und schlug kühn vor, sie erneut zu errichten. Exakt so wie damals.

Auch Philipp Stricharz, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, sprach sich dafür aus, ebenso wie die Hamburgische Bürgerschaft. In der Sitzung im Februar 2020 brandete Beifall unter den Abgeordneten auf. Der Schock von Halle saß noch tief – und die Bürgerschaft wollte offensichtlich mehr bieten als verbale Anteilnahme. Die Politik stand also dahinter, die Presse und große Teile der Bevölkerung auch.

Dann folgte am 4. Oktober statt eines Spatenstichs der besagte Spatenschlag, vor der Synagoge Hohe Weide. Es war die zweite aufsehenerregende antisemitische Attacke in Hamburg innerhalb eines Jahres. Zuvor wurde Landesrabbiner Shlomo Bistrit­zky auf dem Rathausmarkt angespuckt. Wie könnte man jetzt noch Nein sagen? Wenn es jetzt nicht an der Zeit ist, ein klares, selbstbewusstes Zeichen der Solidarität mit der jüdischen Gemeinde zu setzen, wann dann?

„Hamburg hat keinen Zentimeter Platz für Antisemitismus.“

Peter Tschentscher

Am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, gedachten Hunderte der im Holo­caust ermordeten Hamburger Juden und stellten Kerzen neben den vielen Stolpersteinen auf. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher stellte sich hinter das Projekt: „Mit einem Wiederaufbau der von den Nationalsozialisten zerstörten Synagoge am Bornplatz kann dort erneut ein zentraler Ort des jüdischen Lebens in Hamburg entstehen“, sagte er und fügte hinzu: „Hamburg hat keinen Zentimeter Platz für Antisemitismus.“

Mitte November folgte die Finanzierungszusage des Bundes in Höhe von 600.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie. Diese soll Klarheit bringen, ob und wie eine Rekonstruktion der Synagoge aussehen kann. Viele Fragen gilt es hierbei zu klären: Passt das Gebäude überhaupt in den zur Verfügung stehenden Platz? Gibt es bauliche Schwierigkeiten aufgrund des angrenzenden, denkmalgeschützten Luftschutzbunkers? Müssen Bäume gefällt werden? Gibt es bautechnische Voraussetzungen, die eine Umsetzung erschweren oder teurer werden lassen? Was wird der Bau kosten? Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie werden für Ende 2021 erwartet.

Kritische Stimmen

Am 27. November bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestags 65 Millionen Euro für den Wiederaufbau. Der Hamburger Haushalt soll sich in gleicher Höhe beteiligen. Machbarkeitsstudie finanziert, Gelder bewilligt, alle dafür – es hätte nicht besser laufen können. Dann meldeten sich erste kritische Stimmen.

Den Anfang machte der ehemalige Journalist Michel Rodzynek. Er habe Bedenken, dass die immensen Kosten – mitten in der Pandemie – alte Vorurteile schüren könnten. Er plädiert für ein jüdisches Zentrum statt einer Synagoge.

Mitte Dezember machte dann ein Thesenpapier die Runde, zu dessen Autoren die Historikerin Prof. Miriam Rürup, der Bauhistoriker Prof. Gert Kähler sowie die frühere Eimsbütteler Bezirksamtsleiterin Ingrid Nümann-Seidewinkel (SPD) zählen. Darin machen sie mehrere Einwände geltend. Besonders problematisch empfinden die Verfasser, „dass dadurch das Resultat verbrecherischer Handlungen unsichtbar gemacht und die Erinnerung an diese Verbrechen erschwert wird.“ Es könne zudem die Illusion erzeugt werden, „es sei nie etwas geschehen“.

Aber sind die Argumente überzeugend? Glaubt irgendjemand allen Ernstes, dass die jüdische Gemeinde ein Interesse daran hat, „die Erinnerung an diese Verbrechen zu erschweren“? Würde eine exakte Nachbildung einer historischen Synagoge nicht vielmehr die ­Menschen zwingen, sich stärker mit ihr auseinanderzusetzen und zugleich einen Neuanfang ermöglichen?

Neuer Altbau

Die Autoren plädieren für einen modernen Neubau und nennen als Vorbilder Dresden (2001), München (2006) und Mainz (2010). Auch das Kulturforum Hamburg sprach sich für einen Neubau aus. Aber passt ein solcher Neubau wirklich besser in das Grindelviertel als ein neuer Altbau?

Geklärt werden muss auch, wie man mit dem bisherigen Bodenmosaik umgeht. Aber müssen „wir“ wirklich zwingend „diese Wunde im Stadtbild zeigen – und diese Wunde offenhalten“, wie es die Ex-Senatorin Ingrid Nümann-Seidewinkel im Thesenpapier fordert und mit Rechten der Künstlerin begründet, die „1988 nicht erwarten konnte, dass ihr Werk nur 30 Jahre Bestand haben würde“?

„Die große Mehrheit der heutigen Hamburger sagt: Die Bornplatzsynagoge wurde der jüdischen Gemeinde von den Nazis genommen, ermöglichen wir den Wiederaufbau“, sagt Philipp Stricharz, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde. Es dürfe gerade nicht heißen: „Wo die Nazis keine Synagoge sehen wollten, soll der Platz auch leer bleiben.“

Im Grindelviertel wächst seit einiger Zeit etwas, das verloren schien. Mit der 2007 wiedereröffneten Joseph-Carlebach-Schule und dem angeschlossenen Kindergarten sowie dem nahe gelegenen Café Leonar ist die jüdische Gemeinde wieder im Aufwind. Sie wächst. Die Bornplatzsynagoge an irgendeinen anderen Ort in der Stadt aufzubauen, hält Stricharz daher für wenig zielführend. Die Synagoge müsse hier stehen. Nur hier vermag sie den Mitgliedern ein Gefühl zu geben, wieder angekommen zu sein: in Hamburg, im Grindelviertel, am Bornplatz.

Neue Initiative

Seit Anfang Januar hängen knapp 500 Plakate der Initiative „Nein zu Antisemitismus. Ja zur Bornplatzsynagoge“ verteilt im Stadtgebiet. Die Initiative des Unternehmers Daniel Sheffer hat viele namhafte Unterstützer hinzugewonnen. Nach Angaben der Pressesprecherin haben 100.000 Menschen die Kampagne bereits unterstützt (Stand: 20.1.2021). Wer wagt da noch zu widersprechen?

Zum Beispiel Esther Bejarano (96) und Peggy Parnass (93), zwei Holocaust-Überlebende. Beide vom Hamburger Senat mit der Ehrendenkmünze in Gold ausgezeichnet, der zweithöchsten Auszeichnung nach der Ehrenbürgerwürde.

Beide sind skeptisch, wenn es um die Rekonstruktion der Synagoge als Zeichen gegen den Antisemitismus in Hamburg geht. „Ich zweifle an der Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens“, sagte Bejarano nach Angaben des Auschwitz-Komitees. „Anti­semitismus können wir nur bekämpfen“, so Bejarano, „wenn wir die Jungen gewinnen.“ Sie plädiert deshalb für ein Haus der Begegnung für alle Menschen, „in dem über die Ursachen von Antisemitismus, über Lebensbedingungen heute, über Solidarität und Gerechtigkeit, über Umwelt und Bildung diskutiert wird“.

Auch Peggy Parnass, die als Gerichtsreporterin über zahlreiche NS-Pozesse berichtet hat und die alte Synagoge noch kannte, empfindet eine Rekonstruktion als nicht angebracht. Sie wünsche sich „eine kuschelige kleine Synagoge, wie ich sie in Prag gesehen habe. Für gigantische Projekte habe ich nichts übrig.“

Kann eine originalgetreue Rekonstruktion einer Synagoge einen angemessenen Neuanfang initiieren? Oder ist sie Ausdruck eines ­revisionistischen Geschichtsverständnisses? In jedem Fall verspricht sie ein Projekt von ungeheurer Symbolkraft zu werden. Mit allen Gefahren, die damit einhergehen.

bornplatzsynagoge.org

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