Bukahara: „Alles war erlaubt“

Einst Kommilitonen im Jazz-Studium, heute Kollegen in einer Global-Folk-Band: Bukahara aus Köln haben die akademische Laufbahn sein lassen, um „Musik für alle“ zu machen, wie Frontmann Soufian Zoghlami im Interview erklärt
Bukahara will „Musik für alle“ machen, erzählt Soufian Zoghhlami (2. v. r.) im Interview (©Rheinproduktiv)
Bukahara will „Musik für alle“ machen, erzählt Soufian Zoghhlami (2. v. r.) im Interview (©Rheinproduktiv)

SZENE HAMBURG: Soufian, Bukahara gründeten sich einst als Gegenentwurf zum elfenbeintürmigen Uni-Alltag ihrer Mitglieder: Ihr habt zusammen Jazz in Köln studiert. Habt ihr euch damals schnell auf eine bestimmte Klangästhetik einigen können?

Soufian Zoghlami: Anders als im Studium oder in der Jazzszene ging es uns nicht darum, zu zeigen, was wir können, und auch nicht um einen vermeintlichen Anspruch, der irgendwie über anderen Arten von Musik steht. Wir wollten Musik für alle machen und deswegen war auch alles erlaubt: egal, welcher Stil, welche Sprache, ob zwei Akkorde oder 20. Ich habe damals Schlagzeug studiert, aber schnell angefangen Songs zu schreiben und auf die Gitarre zu wechseln. Dadurch hatten wir nie einen Schlagzeuger, die Musik war aber immer sehr rhythmisch. Das Ganze dann auf unseren akustischen Instrumenten, und der Sound war gefunden.

„Abenteuer war es immer“

Richtig los ging es für euch als Straßenmusiker. Rückblickend eure wichtigste Karrierestation?

Sagen wir die beste Schule. Auf der Straße ist niemand, der zu deinem Konzert kommt und deine Musik kennt. Wenn du eigene Stücke spielst, musst du irgendwie die Aufmerksamkeit der Leute gewinnen und halten. Dabei lernt man eine ganze Menge über Songwriting, Instrumentation, Energie und so weiter. Der Sound entwickelt sich nicht im Proberaum oder im Studio, sondern in unmittelbarer Interaktion mit Leuten, die zufällig vorbeikommen. Das Wichtigste dabei ist vielleicht die Tatsache, dass du nicht für eine bestimmte Art von Leuten oder eine Szene spielst, sondern für alle, die sich an öffentlichen Plätzen aufhalten: vom Wohnungslosen bis zum Banker. Diesen Anspruch haben wir bis heute.

Vermisst ihr manchmal die Freiheiten, die ihr damals hattet? Oder habt ihr die großen Hallen, in denen ihr mittlerweile spielt, schon zu liebgewonnen?

Wir haben viele Jahre on the road gelebt mit allem, was dazu gehört, das Schöne und das weniger Schöne. Abenteuer war es immer. Und das will niemand von uns missen. Aber ganz ehrlich, wir sind nicht mehr zwanzig und inzwischen ist es dann auch ganz geil, schon auf der Bühne zu wissen, wo man nachts schläft.

„Es ging immer um die Konzerte“

Die Hallen sind groß, aber die ganz große öffentliche Aufmerksamkeit wurde euch dennoch nicht geschenkt – bis jetzt. Fluch oder Segen?

Segen. Und durchaus beabsichtigt. Wir haben ganz bewusst nie eine PR-Maschine angeschmissen, um zum Beispiel medial präsent zu sein. Es ging immer um die Konzerte. Wenn du auf und hinter der Bühne alles gibst, was du hast, bringen die Leute das nächste Mal ihre Freunde mit. Jeder, der mal auf einem unserer Konzerte war, weiß, dass man das im Publikum spürt. Das ist eine über die Jahre gewachsene Community und kein Publikum, dass sich zum Beispiel nach einem großen Radiohit Tickets besorgt hat.

Aber vielleicht ist es genau jetzt an der Zeit, wirklich neu zu denken.

Soufian Zoghlami

Kürzlich erschien euer fünftes Studioalbum: „Tales Of The Tides“. Musikalisch agiert ihr weiterhin grenzenlos – und textlich plädiert ihr für ein ebensolches Denken. Es geht unter anderem um Rassismus und eine Gesellschaft, die zu oft auf Abwegen ist. Es heißt, du hättest im Vorfeld Sachbücher und Romane zu dem Thema gelesen. Magst du Beispiele nennen?

Ein Buch, dass mich im Vorfeld sehr inspiriert hat, ist „Anfänge“ von David Graeber und David Wengrow. Anhand neuer archäologischer Funde und anthropologischer Erkenntnisse wird die gängige „Geschichte der Menschheit“ in Frage gestellt und rekonstruiert, wie sich dieses Narrativ entwickelt hat. Ich glaube, es ist wichtig, die Vergangenheit anders denken zu können, um zu verstehen, wie grundsätzlich anders die Zukunft sein kann. Und das wollte ich unbedingt aufs Album bringen.

Auf der Suche nach Alternativen

Bukahara sind nun nicht zum ersten Mal politisch. Gibt es dennoch etwas, dass du in Sachen Politik erst durch den Entstehungsprozess von „Tales Of The Tides“ gelernt hast?

Ich habe mich im Vorfeld viel mit Flutmythen befasst. Weltweit gibt es Hunderte alter Geschichten, die von einer großen Flut berichten. Bei uns ist die Geschichte von Noah und seiner Arche wohl die bekannteste. In den meisten dieser Mythen ist die Flut nicht nur eine Katastrophe, sondern auch ein Neuanfang. Heutzutage wirkt es oft so, als steuerten wir auf eine globale Katastrophe zu, die wir nicht aufhalten, sondern maximal bremsen können, da wir uns keine Alternative zu bestehenden Systemen vorstellen können.

Aber vielleicht ist es genau jetzt an der Zeit, wirklich neu zu denken. Sich all die Regeln, Hierarchien, Grenzen, aber auch die Geschichten und vermeintlichen Selbstverständlichkeiten noch mal genau anzuschauen und eine Menge davon über Bord zu werfen, damit wir uns – vor allem international – eine andere Welt überhaupt erst einmal vorstellen können. Dafür braucht es unter anderem Mut und Fantasie und ich hoffe, dass die eine oder der andere vielleicht eine kleine Inspiration auf unserem neuen Album findet.

Live gibt es Bukahara am 2. und 3. April 2023, jeweils um 20 Uhr in der Großen Freiheit, beide Konzerte sind ausverkauft. Doch SZENE HAMBURG verlost 2 x 2 Gästelistenplätze für den 2. April. Wie man mitmmachen kann? Einfach eine E-Mail mit Betreff „Bukahara“ bis zum 31.3. an verlosung@szene-hamburg.com. Das aktuelle Album „Tales Of The Tides“ von Bukahara ist am 24. Februar bei BML Records/Rough Trade erschienen

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Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 04/2023 erschienen.

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