Aus dem Umfeld von Hafenklang und Off the Radar Festival engagieren sich Menschen wie Thomas Lengefeld, um Tausenden auf der Balkanroute Gestrandeten über den Winter zu helfen. Spenden werden dringend benötigt. Auch feiern hilft.
Text: Jan Paersch
Fotos: Christoph Löffler
Sebastian Kurz frohlockte: „Wenn die Flüchtlinge sehen, dass es kein Durchkommen nach Europa gibt, werden die Ströme weniger werden“, so der österreichische Bundeskanzler im Februar 2016. Kurz darauf wurde in einer Konferenz aus EU-Staaten und Westbalkan-Ländern offiziell beschlossen, die sogenannte Balkan-Route zu schließen. Problem gelöst, alle zufrieden?
Anfang 2017 konstatierte der Tagesspiegel, der Andrang sei ungebrochen, der Weg lediglich „schwieriger, teurer und brutaler geworden“. Über Griechenland, Albanien und Montenegro führt die Route die Geflüchteten bis an die EU-Außengrenze zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien. Dort ist Endstation.
„Wenn die Kroaten dich erwischen, schlagen sie dich, nehmen dir das Geld ab, zerbrechen deine SIM-Karte und bringen dich wieder nach Bosnien zurück“, zitiert die „Zeit“ einen Marokkaner, der im Juli 2018 in der Grenzstadt Velika Kladuša gestrandet war. Dort gab es vier Toiletten und zwei Duschverschläge – für mehr als 500 Menschen. Seitdem hat sich die Lage noch verschlechtert.
„Wir wollten die Netzwerke der Partyszene für Hilfsaktionen nutzen“
Im Dezember 2018 ist die Situation in Sarajevo angespannt. „Die Menschen verbrennen alles, was sie finden, um sich zu wärmen“, beschreibt Thomas Lengefeld die Lage in der bosnischen Hauptstadt, 250 Kilometer südlich der Grenze. „Die Geflüchteten hausen in der Wildnis, zum Teil in besetzten Häusern. Bosnien lässt niemanden mehr aus Sarajevo heraus oder schickt Menschen in Bussen zurück.“
Thomas Lengefeld ist keiner, der um seine Taten großes Aufsehen macht. Der ruhige Mann mit Hoodie und blauroter Wollmütze ist der Typ, der einem den Kaffee bezahlt, ohne es zu erwähnen. Der Hamburger gehört zum Verein Off the Radar (OTR), der jeden Sommer das gleichnamige Festival in der schleswig- holsteinischen Provinz durchführt. Lengefeld, seit Jahren als Booker im Hafenklang tätig, hat die Geschäftsführung inne. „Musik war schon immer Vehikel neuer Strömungen, aber auch konkreter Ideen“, schreiben die OTR-Macher auf der Homepage.
Die Idee in diesem Fall: Die Festival-Skills für höhere Ziele benutzen. Lengefeld: „Wir wollten nicht nur Müll und verkaterte Leute hinterlassen, sondern versuchen, die Netzwerke der Partyszene zu nutzen, um auf unsere Zwecke hinzuweisen. Wir sind es gewohnt, auf freiem Feld viele Leute zu versorgen. Im Winter aber werden Generatoren, Gaskocher und Kochtöpfe nicht genutzt.“
Off the Radar sammelte Geld und Equipment für das Projekt NoBorder-Kitchen, das sich auf den griechischen Inseln und der Balkanroute für Geflüchtete engagierte. Später schloss man sich dem Berliner Verein Cadus an.
Die Hilfsorganisation gründete sich 2014 aus dem Umfeld des Fusion Festivals und der Berliner Clubszene. Ihr Geschäftsführer, der lange Jahre in leitender Funktion im Rettungsdienst arbeitete, hat sich vor allem die Hilfe zur Selbsthilfe auf die Fahnen geschrieben. Cadus begann 2014 mit Erste-Hilfe-Kursen in Nord-Syrien. Dort sind auch vier Jahre später noch zwei Lkws als mobile Krankenhäuser unterwegs. Cadus – der Name kommt von einer syrischen Wüstenblume. Es ist eine sehr robuste Distel, die nur einmal im Jahr blüht.
„Die großen NGOs sind in Sarajevo kaum sichtbar“
Bosnien-Herzegowina hatte nach Schätzungen der UNHCR allein bis zum Juli 2018 mehr als 10.000 Neuankömmlinge zu verkraften. Und noch immer kommen mehr. Im November ist der erste Schnee gefallen. „Der Winter ist kälter als in Deutschland“, sagt Thomas Lengefeld. „Die Geflüchteten in Sarajevo laufen mit Flipflops herum und haben schwere Erfrierungen. Dazu kommen die Traumatisierungen.“ Cadus ist mit einem ausgebauten Sprinter und einem Pick-up vor Ort, ein 50 Jahre alter Unimog soll zum Duschwagen umgerüstet werden. Parallel zur Essensausgabe wurden schon in der ersten Woche 200 Bedürftige medizinisch versorgt.
Neben Ärzten braucht Cadus auch Logistiker und Crowdmanager, denn, so Lengefeld: „Man muss schauen, dass niemand bei der Ausgabe untergebuttert wird.“ Müssten Rotes Kreuz und Co. nicht eigentlich in Sarajevo helfen? „Die großen NGOs sind dort kaum sichtbar“, sagt Lengefeld. „Die sind auf die Politiker angewiesen. Die sehen nicht, wie wichtig es wäre, sich auf den Weg zu machen.“
Medizinische Hilfe vor Ort: Cadus in Sarajevo
Bis Ende Februar läuft das Projekt zunächst, die Kosten für drei Monate belaufen sich auf etwa 80.000 Euro – medizinisches und technische Equipment, das bereits vor Ort ist, nicht enthalten. Thomas Lengefeld wird Anfang Januar nach Bosnien reisen. „So etwas Sinnvolles habe ich das ganze Jahr nicht gemacht.“
Um bis zum Ende des Winters in Sarajevo vor Ort sein zu können, braucht Cadus Geld. Damit könnte die Organisation auch speziellere Stationen aufbauen, darunter eine Gynäkologie oder einen radiologischen Bereich.
Wer Cadus unterstützen mag, kann neben Spenden noch etwas anderes tun: Feiern. Der Verein Off the Radar spendet einen Großteil seines Jahresüberschusses an humanitäre Projekte. Vom gleichnamigen Festival, 2019 vom 25. bis 28. Juli, wird also auch Cadus profitieren. In der Hoffnung, dass 2019 weniger Menschen mit Flipflops durch den Schnee laufen müssen.
CADUS – Redefine Global Solidarity e.V.: Spendenkonto: CADUS e. V. Volksbank Berlin, IBAN DE55 1009 0000 2533 5240 04, BIC BEVODEBBXXX
Dieser Beitrag stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Januar 2019. Das Magazin ist seit dem 21. Dezember 2018 im Handel und zeitlos im Online Shop und als ePaper erhältlich!