SZENE HAMBURG: Lutz Gröchtemeier, was ist das Krankenmobil und wer wird darüber versorgt?
Lutz Gröchtemeier: Das Krankenmobil ist ein niedrigschwelliges medizinisches Angebot für obdachlose Menschen und ist seit über 20 Jahren auf den Straßen Hamburgs unterwegs. Es fährt von Montag bis Freitag nach einem festen Tourenplan die Treffpunkte und Einrichtungen der Obdachlosenhilfe an, steht aber auch an einigen Standorten alleine wie zum Beispiel auf der Reeperbahn, dem Hansaplatz oder dem Bahnhof Altona. Pro Tour werden drei bis vier Standorte angefahren. Das Team besteht auf jeder Tour aus einem Fahrer oder einer Fahrerin, einem Arzt oder einer Ärztin, einer Pflegekraft und einem Sozialarbeiter oder einer Sozialarbeiterin.
Wie viele Menschen werden pro Tag und Standort im Krankenmobil versorgt?
Aktuell werden pro Tour 30 bis 50 Patienten behandelt. Der Trend geht, was die Behandlungszahlen betrifft, eindeutig nach oben. 2024 haben wir im Vergleich zum Vorjahr über 1000 Behandlungen mehr durchgeführt.
Welche sind die häufigsten Krankheitsbilder?
Die Krankheitsbilder die wir am Krankenmobil sehen sind sehr vielfältig. Zum Alltag gehören Wunden und dermatologische Erkrankungen. Zu den häufigsten chronischen Erkrankungen gehören Bluthochdruck, Diabetes, Atemwegserkrankungen und Lebererkrankungen. Hinzu kommen Infektionserkrankungen wie HIV, Hepatitis B und C oder Tuberkulose. Ebenfalls stark verbreitet sind psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen. Viele Patienten leben zudem mit einer Suchterkrankung, insbesondere Alkohol- oder Drogenabhängigkeit.
„Obdachlose Menschen leiden häufig an mehreren gesundheitlichen Problemen gleichzeitig“
Lutz Gröchtemeier
Worin liegt die Schwierigkeit bei der Behandlung von obdachlosen Menschen?

Da kommen viele komplexe Faktoren zusammen. Obdachlose Menschen leiden häufig an mehreren gesundheitlichen Problemen gleichzeitig: eine chronische Erkrankung wie Diabetes zusammen mit einer psychischen Erkrankung und dazu kommt dann noch eine Suchtproblematik. Therapien werden durch die Lebensumstände erschwert. Medikamente und Unterlagen werden geklaut oder können nicht fachgerecht gelagert werden, Wiedervorstellungen finden nicht statt und Therapien werden darum oft nicht zu Ende geführt. Der Allgemeinzustand der Menschen ist durch Mangelernährung oder Dehydrierung verschlechtert und Stress, Gewalt und Schlafmangel behindern jede Therapie. Obdachlosen Menschen ist der Zugang ins Gesundheitssystem häufig erschwert. Gründe sind häufig eine fehlende Krankenversicherung, fehlende Kenntnis über Anlaufstellen oder Angst vor Stigmatisierung. Wir erleben häufig, dass obdachlose Menschen schon traumatische Erfahrungen mit Behörden und Institutionen gemacht haben. Das führt zu fehlendem Vertrauen und verhindert das Aufsuchen von Hilfe beziehungsweise dass die Patienten häufig erst spät zur Behandlung kommen.
In Hamburg bedroht der Hib-Erreger wohnungslose und obdachlose Menschen. Inwiefern betrifft das die Arbeit im Krankenmobil?
Obdachlose Menschen haben häufig ein geschwächtes Immunsystem, einen ungenügenden Impfschutz oder erschwerten Zugang zu routinemäßigen Auffrischimpfungen und Gesundheitskontrollen. Dadurch steigt die Anfälligkeit für eine Hib-Erkrankung. Für die Arbeit auf dem Krankenmobil bedeutet es, die Patienten für die Erkrankung zu sensibilisieren, Info-Material auszugeben und Patienten im Zweifel zur Diagnostik oder Behandlung ins Krankenhaus einzuweisen beziehungsweise an Impfangebote zu verweisen.
Krankenmobil der Caritas: Lutz Gröchtemeier über seine Erfahrungen
Gibt es einen Krankenfall, der Ihnen besonders im Kopf geblieben ist?
Besonders im Kopf geblieben ist der Fall einer 35-jährigen obdachlosen Patientin mit der Diagnose Eierstock-Karzinom. Die Erkrankung war schon so weit fortgeschritten, dass wir eine palliative Situation hatten. Durch den Einsatz im Team und das dazugehörige Netzwerk konnten wir die Patientin stationär in einem Hamburger Krankenhaus unterbringen. Dort ist sie dann in einem würdigen Rahmen und im Beisein von Familienangehörigen, die ermittelt werden konnten, verstorben.
Wie finanziert sich das Krankenmobil?
Zum einen durch Spenden und zum anderen durch die Stadt Hamburg.
Arbeiten die Ärzte und Helfer ehrenamtlich?
Aktuell sind 34 Ärzt:innen und vier Gesundheits- und Krankenpfleger:innen auf dem Krankenmobil aktiv. Sie sind alle ehrenamtlich dabei.
Wobei kann das Krankenmobil der Caritas helfen?
Welche Art von Krankheiten kann das Krankenmobil behandeln? Und wann wird ein weiterer Rettungsdienst hinzugezogen?

Auf dem Krankenmobil haben wir nur begrenzte Ressourcen, zum Beispiel keine umfangreiche Diagnostik. Darum können wir Wunden versorgen, also offene Wunden, chronische Wunden, injektionsbedingte Komplikationen bei Drogenabhängigkeit; akute Erkrankungen wie Infektionen der Atemwege und Hautinfektionen behandeln und chronische Erkrankungen wie Diabetes, COPD oder Bluthochdruck, sofern diese stabil sind. Unser Angebot hat das Ziel, gesundheitliche Notlagen zu lindern, Komplikationen zu verhindern und gegebenenfalls ins weiterführende Hilfesystem zu vermitteln. Ein Rettungswagen wird bei entgleisten chronischen Erkrankungen oder Notfällen gerufen.
Geben Sie den Menschen Medikamente mit?
Wir geben den Patienten Medikamente und einen Medikamentenplan mit. Die ausgegebenen Mengen sind so gewählt, dass wir die Patienten regelmäßig wiedersehen und somit kontrollieren können, ob die Medikation gegebenenfalls angepasst werden muss.
Woher stammen Medikamente und Verbandmaterial?
Aus Spenden von Apotheken oder privaten Haushalten. Die gängigsten Medikamente kaufe ich von meinem Budget dazu.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 09/25 erschienen.