Radikale Romantik mit Caspar David Friedrich

Zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich versammelt die Schau „Kunst für eine neue Zeit“ in der Hamburger Kunsthalle eindrücklich viele Werke des visionären Malers – und schlägt den Bogen ins Heute, zur Klimakrise und Künstlern wie Ólafur Elíasson oder Kehinde Wiley
Elina Brotherus: Der Wanderer 2, 2004 (©Elina Brotherus/VG Bild-Kunst, Bonn 2023)

Caspar David Friedrich (1774–1849) hat lange an der Elbe gelebt. Und das sogar mit Blick auf sie. Doch auch wenn dieser von seinem Atelierfenster in Dresden auf den Fluß fiel, kommt es einem manchmal fast so vor, als sei das in Hamburg gewesen. So innig ist das Verhältnis zu seinen berühmten Werken „Wanderer über dem Nebelmeer“ und „Das Eismeer“ und so präsent ist er auch sonst immer wieder in der Stadt, auf Plakaten und allerlei anderem mehr.

Zum 250. Geburtstag des Künstlers bekommen die beiden Meisterwerke der Sammlung der Kunsthalle nun Gesellschaft von mehr als 60 weiteren seiner Gemälde. Darunter Ikonen wie „Kreide­felsen auf Rügen“ und „Der Mönch am Meer“, die nur äußerst selten auf Reisen gehen. Seit Jahren hat man nicht mehr so viele Werke Caspar David Friedrichs zusammen gesehen, ergänzt zudem mit rund 100 Zeichnungen und mit Arbeiten von Zeitgenossen, die einmal mehr zeigen werden, wie unique er war.

Viel zu feinsinnig für einen Mann seiner Zeit

Kehinde Wiley: Prelude (Ibrahima Ndiaye und El Hadji Malick Gueye), 2021 (©Kehinde Wiley)

Wegweisend ist dabei auch Caspar David Friedrichs Biografie. Der frühe Tod seiner Mutter und vier seiner neun Geschwister. Darunter auch ein Bruder, der bei dem Versuch, ihn aus einem vereisten See zu retten, selbst ertrank. Melancholisch soll Caspar David Friedrich gewesen sein, wahrscheinlich sogar depressiv. Vor allem aber war er auch ein Eigenbrötler, der die Natur immer der Gesellschaft von Menschen vorzog. Wann immer er Zeit fand, wanderte er durch das Elbsandsteingebirge und die Elbe entlang und reiste nach Rügen, um dort das Meer zu erleben.

Doch so still und zurückgezogen sein Leben schien, so eigensinnig ist es gewesen. Und so verträumt seine Bilder wirken, so radikal sind sie. Er war ein Künstler, der mehr wollte als zu gefallen. Der sich gegen den Realismus der Zeit stemmte, gegen die vorherrschende Detailtreue und, dass Bilder ein Fenster zur Welt sein sollten. Stattdessen ging er an Grenzen und seinen eigenen Gefühlen nach. Er erkundete seine Empfindungen, die viel zu feinsinnig für einen Mann seiner Zeit waren und eine solche emotionale Intensität hatten, dass das im 18. Jahrhundert geradezu revolutionär war.

Caspar David Friedrich: Ein Vermittler zwischen Mensch und Natur

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer, 1808–1810 (©BPK/Nationalgalerie, SMB/Andreas Kilger)

Anstatt um Idealbilder von Natur ging es ihm darum, was er bei ihrem Anblick empfindet. „Des Künstlers Gefühl ist sein Gesetz“, wird Caspar David Friedrich zitiert. Und auch das, was er sieht, ist nicht so wichtig. Als perfekte Seelenlandschaften komponiert, setzte er sie aus der Wirklichkeit, dem Gefühlten und der Fantasie zusammen. Er schob ein gefrorenes Meer mit dramatischen Eisspitzen zusammen, stellte einen Mönch an eine See, die nur noch aus Farbwolken besteht – und zeigt die Welt, wie man sie bisher noch nicht gesehen hat. Etwas dramatisch und gleichzeitig sehr fasziniert hat der Lyriker Heinrich von Kleist notiert, dass das Betrachten der Bilder Caspar David Friedrichs so weh täte, als seien einem die Augenlider abgeschnitten worden. Manche mutmaßten, dass der Mönch angesichts des so wuchtig düsterem Meer wohl eine Pistole unter seiner Kutte trug. Andere verspotteten sein Werk oder verurteilten seine Gleichsetzung von Natur und Religion in Bildern wie Kreuz im Gebirge zutiefst.

Gegen alle Widrigkeiten malte er für ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur, von der man sich auch schon im 18. Jahrhundert entfremdet hatte. Als Städter lebte man nicht mehr in ihr, sondern fuhr am Wochenende zu ihr hinaus, um sie zu durchwandern und sich eine Auszeit zu gönnen.

Deshalb sah Caspar David Friedrich es als seine Aufgabe als Maler an, zwischen Mensch und Natur zu vermitteln, die Distanz zu überwinden, neue Verbindungen zu schaffen und zu beschwören, dass man selbst ein untrennbarer Teil von ihr ist.

Ein besonders spannender Bogen

Caspar David Friedrich: Mondaufgang am Meer, 1822 (©BPK/Nationalgalerie, SMB/Jörg P. Anders)

Wie dringlich dieser Gedanke war, zeigt sich heute umso mehr. Längst leben wir im Zeitalter des Anthropozäns und inmitten der Klimakrise – und es ist besonders spannend, dass die Jubiläumsschau diesen Bogen mit Arbeiten von Ólufar Elíasson, Hiroyuki Masuyama, von Susan Schuppli oder David Claerbout schlägt. Es lodern Waldbrände, stehen Wanderinnen am See oder zwei Schwarze vor Caspar David Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen. Kehinde Wiley, berühmt geworden durch sein Präsidentenporträt Obamas, hat sie in lieblos scheinender Photoshop-Manier, die jeden Pathos zerstört, vor der dramatischen Felsenkulisse platziert – und zeigt, wie zugeschnitten auf eine weiße Herrschaftsschicht kunsthistorische Motive sind. Fragen über Kolonialismus stellen sich, Utopien werden formuliert. Ganz so wie auch Caspar David Friedrich es getan hat, der nach dem Sieg über Napoleon 1814 auf den Aufbruch in eine neue Zeit hoffte. Da das jedoch vergeblich war, zog er sich noch mehr zurück und starb vergessen und verarmt 1840 in Dresden.

Bis ins 20. Jahrhundert sollte es noch dauern bis erkannt wurde, wie einzigartig sein Werk ist – und er zu einem der bedeutendsten Landschaftsmaler wurde. Zu seinem 250. Geburtstag wird er jetzt gefeiert. Und es wird ein großes Fest. Mehr als 40.000 Tickets wurde bereits vor Beginn der Ausstellung verkauft.

„Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit“ ist noch bis zum 1. April 2024 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen. Es folgen Stationen in Berlin und Dresden.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 01/2024 erschienen.

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