Chilly Gonzales-Doku – Punk war nicht genug

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Foto: Olivier Hoffschir

Mit Peaches, Leslie Feist und natürlich the one and only Chilly Gonzales führt Philipp Jedicke durch die rasende Karriere des kanadischen Entertainers. Wir haben den Regisseur von „Shut Up and Play the Piano“ getroffen.

Dieser Film muss einfach im Herbst starten. Möglichst an einem grauen, verregneten Tag. Rein ins Kino und heraus mit überbordend guter Laune und der Gewissheit, dass Leidenschaft ein unglaublicher Motor ist. So wie Chilly Gonzales sie lebt, Rapper, Klavierkünstler, begnadete Rampensau.

Er legt die Maske nur selten ab. Auch in Philipp Jedickes Dokumentation, die einmal quer durch die Karriere des Kanadiers führt. Von Montreal nach Berlin, Paris und Köln. Von den wilden Shows mit The Shit über die legendäre Pressekonferenz, die er ausrief, um sich zum Präsidenten des Berliner Undergrounds zu krönen bis hin zu aktuellen Auftritten in Puschen und seidenem Morgenmantel mit den Wiener Philharmonikern.

Steht Chilly Gonzales auf der Bühne, ist er schweißnass. Sich völlig zu verausgaben gehört zu seiner Kunst – genauso wie die verschiedenen Rollen, in die er schlüpft, ob mit Schnauzer und im rosa Anzug, mit dicker Goldkette und freigelegtem Brusthaar oder in ironisch gebrochener Oscar-Wilde-Pose. Eigentlich heißt er Jason Charles Beck und man sieht Fotografien seines Vaters, einem der größten Immobilienspekulanten Kanadas, mit Clinton und Bush. Über seine Familie aber sagt er einzig, dass sie vor den Nazis aus Ungarn nach Kanada flüchtete und ihre einzige Religion das Geld war.

Chilly Gonzales: Der Künstler ohne Grenzen

Über sich selbst sagt er, dass es ihm nicht gereicht hat, Punk zu sein. Er ist viele Performance-Artist, Klavierkünstler, Wortakrobat und lakonischer Poet. Die Dissonanzen mit seinem Bruder, der heute Musik für Blockbuster wie „Hangover“ schreibt, bringt er mit dem Satz „Er mochte Sting“ auf den Punkt.

Gonzo, wie seine Freunde ihn nennen, macht keine Kompromisse, sondern überschreitet unermüdlich Grenzen. Wenn er sich am Ende eines Klavierabends wie auf einem Rockkonzert auf den Händen der Besucher durch den ehrwürdigen Konzertsaal tragen lässt, möchte man sich unbedingt dazugesellen.

SZENE HAMBURG: Philipp Jedicke, wie wird man vom Musikjournalisten zum Filmemacher?

Philipp Jedicke: Ehrlich gesagt war das eine ziemlich spontane Entscheidung. 2014 habe ich ein Interview mit Chilly Gonzales geführt, es sollte eigentlich nur 20 Minuten dauern, doch dann wurde eine Stunde daraus. Wir haben entdeckt, dass ich zur gleichen Zeit, als Gonzo von Toronto nach Berlin zog, nach Toronto gegangen bin und auch, dass wir einige gemeinsame Bekannte hatten.

Und da hast du entschieden, den Film zu machen?

Ich habe ihn ganz spontan gefragt, ob ich ein Porträt über ihn drehen könnte. Und eigentlich hat er direkt zugesagt.

Und war es von Anfang an klar, dass es ein Kinofilm wird?

Eigentlich war es als Fernseh-Doku geplant, doch dann gab es Finanzierungsprobleme und es wurde ein Kinofilm. Das war erst mal ein Schock für mich, denn ich habe ja noch nie meinen eigenen Dokumentarfilm gemacht.

„Die Doku soll ein Fantasma sein, ganz so wie Gonzales“

War dir klar, dass es umfangreiches Archivmaterial gibt?

Gonzo hat mir eine Kiste in die Hand gedrückt. Drin waren VHS-Kassetten, Betacams, Festplatten, alles ziemlich lückenhaft beschriftet. Und dann gab es dann noch den Spielfilm „Ivory Tower“ von und mit Chilly Gonzales, der von der Konkurrenz zwischen Gonzales und seinem Bruder erzählt. Daraus zeigen wir Szenen ohne sie großartig zu kommentieren. Die Doku soll ein Fantasma sein, ganz so wie Gonzales es ist, ein Rausch aus Bildern und Musik, bei dem Erklärungen nicht allzu wichtig sind.

Woher stammt das Material von den ganz frühen Auftritten?

Von Peaches. Ich habe sie erst an einem der letzten Drehtage interviewt und plötzlich kam sie mit diesen ganzen unglaublichen Sachen um die Ecke. Kennt man ihre Bühnenpersona, kann man kaum glauben, wie ordentlich und fein säuberlich sie alles archiviert, in durchsichtigen Boxen, durchnummeriert und mit Datum versehen. Sie hat mir einfach einen Stick in die Hand gedrückt und meinte, ich sollte mir runterziehen, was ich brauche. Da waren dann auch die Auftritte von The Shit drauf. Ich dachte, ich spinne, denn das Material ist noch nie so gezeigt worden.

War es schwierig über jemanden einen Film zu machen, der vor Ideen so sprüht wie Chilly Gonzales?

Etwas Besseres als ihn kann man sich natürlich nicht wünschen. Er hat einen unglaublichen Antrieb, eine unermüdliche Energie und Kreativität. Das wollte ich unbedingt zeigen. Eingemischt aber hat er sich nicht. Bei der Sichtung hat er bei einigen Close-ups von ihm gestöhnt, aber nie gefordert, etwas rauszunehmen. Auf Nachfrage hat er auch Ideen geliefert. Der Part mit dem Casting, als er einen Doppelgänger sucht, der ihn bei Promo-Termin ersetzt, war seine Idee. Die trug er schon lange mit sich herum und hat sich gefreut, sie umzusetzen.

Bühnengefährtinnen wie Peaches und Leslie Feist kommen in dem Film vor, aber auch Sibylle Berg. Sie bringt man eigentlich nicht mit Musik in Verbindung.

Wir wollten, dass Gonzo mal richtig gegrillt und aus der Reserve gelockt wird. So kamen wir auf Sibylle Berg. Sie hat auch sofort zugesagt, auch wenn sie im Englischen nicht so firm ist. Aber ich finde, das macht es noch besser, weil Chilly deswegen umso mehr geredet hat.

Aber sie hat ihn nicht gegrillt.

Hat sie nicht und das lag wohl auch an der Sprachbarriere. Dafür bringt sie tolle Pointen, lässt ihre Blicke sprechen und hat ihn mega im Griff. Daran, wie eifrig er antwortet, sieht man, dass er ihr unbedingt gefallen will.

Eines muss ich unbedingt noch wissen. Warum bloß wohnt Chilly Gonzales ausgerechnet in Köln?

Er ist ein großer Fußgänger und dafür ist Köln genial. Außerdem hält er die Stadt für das geheime Zentrum Europas, denn in ein paar Stunden kann man mit dem Zug in Paris, Kopenhagen, London oder Mailand sein.

Text & Interview: Sabine Danek
Foto: Olivier Hoffschir

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„Shut Up and Play the Piano“ ist ab 20.9. im Kino zu sehen; Hamburger Premiere mit Regisseur am 19.9., Abaton-Kino, 20 Uhr.


 Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, September 2018. Das Magazin ist seit dem 30. August 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich! 
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