Deichkind: „Die alten Gazellen sind noch am Dancen“

Deichkind sind wieder unterwegs und kommen am 30. August 2024 auf die Trabrennbahn Bahrenfeld – ein Gespräch mit Philipp und Porky über das Älterwerden, KI in der Musik und Hamburg
Deichkind am Park Fiction in Hamburg
Denken noch lange nicht ans Aufhören: Philipp (l.) und Porky von Deichkind (©Johanna Zobel)

SZENE HAMBURG: Ihr seid beide um die 50 Jahre alt. Eine Zeit, um euphorisch oder melancholisch durchs Leben zu gehen?

Philipp: Beides auf eine Art. Ich versuche mir meine euphorischen Momente zu schaffen, habe aber keine Angst vor Melancholie. Es tut uns allen gut, sich aufs Leben einzulassen und nicht zu sehr in die eine oder andere Richtung auszuschlagen.

Porky: Beides sind Extreme mit großen Ausschlägen. Wir haben für uns ein angenehmes Mittelding gefunden. Ich habe keinen Bock mehr, mich aufzuregen und genieße das Jetzt. Wir sind halt die Älteren und alle, die uns besuchen kommen, können froh sein, dass die alten Dinosaurier noch zu bestaunen sind.

Auf eurem aktuellen Album „Neues vom Dauerzustand“ beschwert ihr euch in „Kids in meinem Alter“ über Menschen eurer Generation …

Porky: Nein, wir beschweren uns nicht, das ist eine Bestandsaufnahme.

Philipp: Wir merken, dass wir in einer Generation leben, die politisch, kulturell, sozial und finanziell unterschiedlich aufgestellt ist. Wir haben damals mit Gereon Klug zusammen für „Kids in meinem Alter“ einen Text geschrieben und eine Liste aufgestellt, die uns und andere Leute unserer Generation zeigt, mit Zeilen wie „Ohrringe größer als Klobrillen“.

Kann man von Deichkind auch weiterhin Songs wie „Arbeit nervt“ erwarten?

Philipp: Natürlich, man kann Dinge von uns erwarten, wie sie früher waren, aber auch Neues, weil wir uns auch mit aktuellen Dingen beschäftigen und in anderen Lebensumständen sind als früher.

Porky: Wir haben unseren Sound. Songs wie „Kids in meinem Alter“ und „Arbeit nervt“ sind aus unserer bandeigenen Herangehensweise entstanden und die hat sich etabliert. Philipp macht seinen Sound und ich habe dazu meinen sarkastischen, vielleicht zynischen Blick auf die Dinge.

Philipp: Wir setzten uns natürlich damit auseinander, was wir sagen wollen und in welche Richtung wir gehen wollen.

Porky: Es gibt so vieles. Ich habe gestern auf Arte eine Doku über evangelikale Christen in den USA gesehen und wie die gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe wettern. Dann gehe ich hier zu Hause durch St. Pauli und da vorne hängt eine Regenbogenflagge an einer Kirche. Das ist das komplette Gegenteil. Und solche Details und Gegensätze fließen bei uns auch in das Songschreiben ein.

Philipp: Niemals die Hoffnung verlieren.

Geht Deichkind auch mit KI?

Deichkind am Park Fiction in Hamburg
Haben KI für sich entdeckt: Deichkind (©Johanna Zobel)

Die SZ hat einmal versucht die KI einen Song im Herbert Grönemeyer-Stil schreiben zu lassen. Wäre so etwas auch für Deichkind vorstellbar?

Philipp: Aber der Algorithmus konnte Herbert Grönemeyer nicht so gut (lacht).

Porky: Alter das mit KI, das wird so geil.

Das heißt, KI ist für euch durchaus ein Instrument?

Porky: Wir haben in der Band viel darüber diskutiert und unser Bandkollege Henning Besser macht sich da total die Sorgen. Aber ich finde das geil: Ich will Raumschiffe und eine neue Leber aus dem 3-D-Drucker. Du bekommst KI nicht mehr weg, also lass uns das Ding mit geilem Scheiß füttern.

Philipp: Die einen sehen KI komplett apokalyptisch und die anderen flashen da mega drauf ab. Da gibt es dann auch einen typischen Deichkind-Blick drauf, was wir mit „Könnt ihr noch“ versucht haben.

KI hält uns auch in gewisser Weise den Spiegel vor

Philipp von Deichkind

In „Könnt ihr noch“ habt ihr KI-generierte Hintergrundstimmen eingesetzt.

Porky: Das stimmt, aber wir haben die Phonetik und Stimmlage eingesprochen und dann durch die KI gejagt.

Philipp: Das war ein tolles Experiment. Auch weil wir eine Band sind, die gar nicht so stark den Fokus auf den Stimmen hat. Deswegen konnten wir da auch mal rumprobieren. Es ist faszinierend, wenn die Stimme eines alten Mannes und eines kleinen Mädchens rappen wie ich.

Könnt ihr euch vorstellen, dass es bei euch auch mal über die Hintergrundstimmen hinaus geht?

Philipp: Es ist ja nicht so, dass du einer KI sagen kannst: „Mach mal einen Deichkind-Song“, das wird nichts. Da kommt man als Band auch an Grenzen, aber das wird sich auch noch weiterentwickeln.

Porky: Wenn wir als Band zusammensitzen, gibt es auch immer das Element des Unerwarteten und diese Improvisation, das kann KI noch nicht. Und du hast das Erlebnis des Musikmachens als Mensch: Wenn du dich an die Gitarre oder das Schlagzeug setzt, ohne ein Ergebnis zu erwarten, dann ist das ein Gefühl und ein Erlebnis, wo die Gedanken aufhören und du einfach spielst und damit hat KI nichts zu tun.

Philipp: Durch KI stellt sich für uns als Deichkind auch die Frage, warum wir etwas machen. Natürlich könnten wir einfach auf einen Knopf drücken. Oder wir machen eine Platte, weil wir Bock haben eine Platte zu machen. KI hält uns auch in gewisser Weise den Spiegel vor. Wir sind privilegiert jetzt unser neuntes oder zehntes Album zu machen …

Porky: Nein, sind wir nicht. Wir sind nicht privilegiert, wir haben uns das erarbeitet. Wenn du privilegiert bist, bist du da rein geboren.

Keine Sorge, wir hören nicht auf

Porky von Deichkind

„Millerntor, Digger!“

Deichkind am Park Fiction in Hamburg
Philipp (l.) und Porky von Deichkind schauen Voraus auf ihr Heimspiel am 30. August 2024 auf der Trabrennbahn in Hamburg (©Johanna Zobel)

Ihr habt euch mittlerweile so viel erarbeitet, dass ihr im zweiten Jahr in Folge auf der Trabrennbahn spielt. Was bedeutet euch das Heimspiel am 30. August 2024?

Philipp: Hamburg ist einfach zu Hause und unglaublich wichtig. Wir sind jahrelang rumgetingelt und alle haben uns gefeiert. Ich hatte immer das Gefühl, es läuft überall gleich gut. Aber Hamburg platzt irgendwie immer aus allen Nähten.

Porky: Wir freuen uns und ich beantrage schon mal jetzt ein optimales Hier und Jetzt für den Abend. Wir geben alles und machen vorher Stretching, Yoga und vielleicht noch mal zur Thai-Massage und dann geht das los.

Kann man sich denn beim Heimspiel 2024 auf Gäste freuen?

Porky: Nein, aber es gibt neue Farben und einen neuen Song. Wir haben keine Support-Acts mehr dabei, weil die Show in sich so steht. Das ist zwar schade, weil ich Support immer sehr mochte, aber wir sind zu sehr mit unserem Gefriemel beschäftigt. Die Show ist Deichkind pur – die alten Gazellen sind noch am Dancen.

Gibt es denn in Hamburg eine noch bessere Location als die Trabrennbahn?

Philipp: Millerntor, Digger!

Porky: Millerntor-Stadion, gib mal her Oke (Göttlich, Präsident des FC St. Pauli, Anm. d. Red).

Und gibt es nach dem Sommer auch noch mehr neue Musik von euch?

Porky: Wir fangen demnächst an, sind recht schnell und keine Sorge, wir hören nicht auf.

Live gibt es Deichkind am 30. August um 20.30 Uhr auf der Trabrennbahn Bahrenfeld, Tickets ab 64,95 Euro

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