Der Druck-Raum von St. Georg

Peter Möller leitet das Drob Inn seit 17 Jahren.

Glaube, Liebe, Straßenkampf. In unserer Oktober-Ausgabe stellen wir euch den Stadtteil St. Georg vor. Dieses Mal: das Drob Inn

Seit 29 Jahren holt das Drob Inn die offene Szene von den Straßen St. Georgs. Am Rande des Viertels können Drogenabhängige ganz legal Drogen nehmen. Auch wer aussteigen will, bekommt hier Hilfe

Ali ist ungeduldig. Schimpft leise vor sich hin und knüllt das nächste Papiertuch zusammen auf den blutigen Berg vor ihm. Sein linker Arm liegt ausgestreckt auf dem Metalltisch, um den Oberarm ein knallroter Abbinder, in der Armbeuge eine blutgefüllte Spritze. Dass hier Kokain drin ist, ist nicht mehr zu erkennen. Es will nicht in die Vene, Ali wird sauer. Haut auf seinen Arm, zieht die Spritze raus, versucht es wieder und wieder. „Ali, du musst fertig werden“, ruft Luisa vorsichtig, aber bestimmt. Die 29-Jährige arbeitet seit sechs Jahren im Konsumraum des Drob Inns und weiß: „Drängeln macht es noch schlimmer. Wer Kokain spritzt, ist sehr verbissen.“ Sanft legt sie Ali die Hand auf die Schulter. Dass es nicht gesund ist, sich verklumptes Blut zurück in die Venen zu schießen, weiß er. Abhalten kann sie ihn trotzdem nicht. Aber sie kann Tipps geben: „Filtere das wenigstens einmal und dann versuchst du es noch ein letztes Mal. Vielleicht solltest du dann einfach alles wegwerfen.“ 80 Euro. Für nix. Das will Ali nicht. Tut es schließlich dann aber doch.

Neun weitere Plätze sind um Ali herum besetzt. Frauen, Männer, Junge, Alte, Kaputte, Gestriegelte – Drogensucht kennt keine Grenzen. Sie sitzen am Tisch und unterhalten sich wie andere bei Kaffee und Kuchen – nur dass sie nebenbei ihr Heroin aufkochen und spritzen. Alis Problem interessiert hier niemanden. Es ist Alltag im Konsumraum. Im Rauchraum nebenan sitzen fünf weitere Abhängige. Wer fertig ist, räumt seinen Müll weg und geht. Der Durchlauf ist groß, die Schlange vorm Konsumraum lang. Wer Drogen konsumieren will, bekommt im Drob Inn alles, was er dafür braucht. Nur den Stoff müssen die Abhängigen mitbringen. Am Tresen geht es zu wie beim Bäcker: „Ich hätte gern eine Spritze, einen Löffel, zwei 16er Kanülen, ein hautfreundliches Pflaster, einmal Ascorbin, Tupfer, Papiertuch und einen Abbinder“, sagt Martina und ergänzt: „Shore.“ Luisa macht einen Strich hinter Heroin, der 89. an diesem Nachmittag.

Wie viele Abhängige hierherkommen, weiß niemand so genau, da sie die Einrichtung auch anonym nutzen können. „Wir notieren uns nicht die Namen, sondern zählen nur die Kontakte im Konsumraum und die konsumierten Drogen“, betont Einrichtungsleiter Peter Möller. Rund 520 sind das am Tag. Mehr als 140.000 Kontakte im Jahr – „eine Inanspruchnahme, die es so im ganzen Land nicht gibt“, sagt Möller und zeigt auf den Vorplatz des Drob Inn. Etwa 180 Süchtige sitzen hier in der Sonne unter den Bäumen. „Manche Menschen glauben, es gäbe keine offene Drogenszene mehr in Hamburg. Aber sie ist noch genauso da, sie ist nur hier.“

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Ein Erfolg, der einer offeneren Drogenpolitik zuzuschreiben ist. Das Drob Inn war 1987 die erste Einrichtung mit einem niedrigschwelligen Ansatz. Wurden bis dahin nur Ausstiegswillige angesprochen, gab es plötzlich eine Drogenhilfe, die Überlebenshilfeangebote, wie das Tauschen von alten Spritzen gegen neue vorhielt und schließlich auch einen Konsumraum eröffnete. Die Abhängigen konnten endlich in einem hygienischen Umfeld, unter Aufsicht und ohne Angst ihre Drogen konsumieren.

Damals war das Drob Inn noch in der Stiftstraße, die 50 Quadratmeter wurden schnell zu klein. Das neue Zuhause zwei Jahre später in der Kirchenallee war sozial nicht verträglich. Links und rechts ein Hotel, unten drunter eine Moschee – Konflikte waren an der Tagesordnung. Der Umzug in eine Containeranlage an der Kurt-Schumacher-Allee 1997 und der Einzug in das ehemalige Bürohochhaus am Besenbinderhof 2003 waren schließlich eine gute Lösung.

Hier, an der Peripherie St. Georgs, nur einen Steinwurf vom Hauptbahnhof entfernt, hat man endlich geschafft, was man jahrzehntelang vergeblich versucht hatte: Die offene Drogenszene verschwand aus der öffentlichen Wahrnehmung, die Zeit der blutigen Spritzen in Hauseingängen und auf Spielplätzen war vorbei. „Die Beschwerdelage tendiert gegen null“, bestätigt auch Peter Möller (Foto), der seit 1992 an Bord ist und das Drob Inn seit 17 Jahren leitet. Die Polizei respektiert die Arbeit des Drob Inn. Das PK113 kennt die Szene, geht freundlich, aber bestimmt mit den Süchtigen um, erteilt auch mal Platzverweise. „Aber wirklich Stress gibt es nicht. Niemand hat Interesse daran, die Szene von hier wieder zu vertreiben“, so Möller. „Um diese Einzellage beneiden uns viele Städte.“

Im Café des Drob Inn herrscht Hochbetrieb. Hier stehen die Türen 20 Stunden am Tag offen. Für 1 Euro gibt’s eine warme Mahlzeit, ein Kaffee kostet 30 Cent. Duschen, Toiletten und Waschmaschinen sind for free. „Man muss alles im Blick haben“, sagt Annette, die seit 13 Jahren als Pädagogin im Drob Inn arbeitet. Die Klientel sei nicht immer nur freundlich. „Das sind zum Teil Drogenabhängige mit einer langen Suchtkarriere, durchschnittlich seit 15 Jahren in der offenen Drogenszene, 80 Prozent haben langjährige Hafterfahrung – man braucht eine gewisse Distanz und einen langen Atem“, sagt sie. Wer dealt, fliegt raus. Wer Drogen entgegennimmt oder illegal konsumiert – zum Beispiel auf dem Klo, weil er nicht warten will – auch.

Ein neuer Klient steht hilflos am Tresen. Er spricht kaum deutsch. Annette bringt ihn direkt zur Farsi-Übersetzerin. Ein Großteil der Klientel hat inzwischen einen migrantischen Hintergrund und kommt häufig schon mit einem Drogenproblem nach Deutschland.

„In Afghanistan ist es deutlich gesellschaftsfähiger, Opium zu rauchen als Alkohol zu trinken“, sagt Annette. Der Markt habe sich darum verändert. War lange Zeit Kokain die dominierende Drogen, steht heute im Drob Inn wieder Heroin ganz oben. Gefährlich wird es vor allem immer dann, wenn gemixt wird.

Plötzlich wird es hektisch. „Notfall!“, ruft Annette und gibt der Krankenpflegerin ein Zeichen. Im Konsumraum sitzt Markus zitternd auf dem Stuhl. Das Gesicht fahl, die Lippen blau. Er wird sofort versorgt. „Unsere Mitarbeiter sind alle bestens geschult“, betont Peter Möller. Bei rund 150 Notfällen im Jahr auch zwingend notwendig. „Jeder von uns hat schon mal jemanden wiederbelebt.“ Wie wichtig die Arbeit der Drogenhilfe ist, belegen die Zahlen. Gab es Anfang der 90er noch 180 Drogentote im Jahr, so waren es im vergangenen Jahr 59. „Der Konsumraum fördert nicht die Sucht. Wenn wir nicht wären, würden sie es draußen machen und das ist kontraproduktiv. Dann geht’s aufs Bahnhofsklo oder ins Gebüsch. Die Alternative ist immer die schlechtere. Dort kann niemand Leben retten.“ Sorgen bereitet ihm derzeit der Blick in die Zukunft. Der Senat hat den Etat 2010 für zehn Jahre eingefroren: „Es wird alles teurer, aber wir bekommen nicht mehr Geld. Wenn der Senat nicht nachsteuert, fällt bis 2020 ein Drittel der Drogenhilfe weg.“ / Text: Ilona Lütje / Foto: Philipp Jung

Glaube, Liebe Straßenkampf. St. Georg ist ein Stadtteil der Gegensätze. Mehr über dieses Viertel erfahrt ihr in unserer aktuellen Ausgabe. Jetzt am Kiosk und im Handel erhältlich.


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