Theaterkritik: „Die Abweichlerin“

Die Regisseurin Karin Henkel bringt in ihrer Inszenierung „Die Abweichlerin“, basierend auf Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“, ein packendes Porträt einer Ehe auf die Bühne
Probleme mit dem Untermieter (Mirco Kreibich): Lina Beckmann als Lise in „Die Abweichlerin“ (©Lalo Jodlbauer)

„Ich war fast tot.“ Die Körpertemperatur hatte sich schon auf 26 Grad gesenkt, berichtet Lina Beckmann. Sie verkörpert Tove Ditlevsen und erzählt vom gescheiterten Selbstmordversuch. Knapp zwei Jahre später nimmt die populäre dänische Dichterin sich tatsächlich das Leben, im März 1976. In der Zeit dazwischen schrieb Ditlevsen ihren letzten Roman: „Vilhelms Zimmer“. Der diente nun als Vorlage für Karin Henkels Inszenierung „Die Abweichlerin“, die als deutschsprachige Erstaufführung im Schauspielhaus auf dem Spielplan steht. Der 140-minütige Abend ist viel mehr als die Dramatisierung von Literatur, er entwirft das ebenso facetten- wie entbehrungsreiche Leben der 1917 geborenen Schriftstellerin, die zeitlebens unter Abhängigkeiten litt.

„Die Abweichlerin“: Eine Sammlung gescheiterter Existenzen

Ausgangspunkt für die Erzählung ist das Scheitern von Ditlevsens vierter Ehe, „Vilhelms Zimmer“ ist ein leeres Zimmer. In ihrem Roman lässt sie ihre Protagonistin Lise erleben, was ihr widerfuhr. Lina Beckmann springt zwischen den beiden Frauenfiguren hin und her: Als Lise erzählt sie in der dritten Person, als Tove wird sie zur Ich-Erzählerin. Alle anderen Akteurinnen und Akteure scheint sie zu dirigieren: ihren Sohn, den neuen Mitbewohner, ja sogar die Geliebte ihres Mannes. Ebenso oft fällt sie jedoch in die Rolle derjenigen, über die verfügt wird. Zeiten, in denen sie ihre Gedichte und Romane schreiben konnte, waren teuer erkauft: Meist entstanden sie nach unregelmäßigen Zusammenbrüchen während ihrer Aufenthalte in Nervenheilanstalten. Lina Beckmann ist Angelpunkt des Abends: Sie berührt als Alkoholkranke, gewinnt das Publikum in Rückblenden in die Kindheit und fasziniert als verzweifelte, fast fröhlich in den Tod gehende Künstlerin, die am Schluss sagt, man müsse sie nicht verstehen. Sie endet in einem schwarzen Plastiksack. Bewegendes Theater.

Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 04/2025 erschienen. 

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