Wenn sich ein Mann an Kindern vergehe, sei er kein Mensch mehr, nur noch ein Tier. Diese Auffassung vertritt Sergeant Johnson, seit 30 Jahren im Polizeidienst. Als er Baxter, dem mutmaßlichen Vergewaltiger eines elfjährigen Mädchens, gegenübersteht, entlädt sich seine geballte Wut auf die Welt: Er, der physisch Überlegene, attackiert den schmächtigen Verdächtigen körperlich derart, dass dieser ins Krankenhaus gebracht werden muss. Der Polizist fürchtet sogar, dass er ihn umgebracht haben könnte, wie er seiner Frau bei der nächtlichen Heimkehr gesteht. So die Ausgangssituation für „Diese Geschichte von Ihnen“, einem spektakulären Drama von John Hopkins, uraufgeführt 1968. Das Alter sieht man dem Stück in keiner Szene an, sind doch tödliche Polizeieinsätze und Gewalt im Namen des Staates in den USA immer noch Alltag.
Am Schluss wird alles klar
Männer wie Sergeant Johnson sind bis heute im Dienst: Sie haben zu viel Grauen gesehen, Blut, verspritzte Gehirne und tote Babys – um nur jene Beispiele zu nennen, die hier im Nebensatz zur Sprache kommen – um noch mitfühlend zu sein. Johnson (unfassbar gut verkörpert von Ulrich Bähnk) ist ein Wrack und damit den von ihm gehassten Verbrechern verdammt ähnlich. Gestört und frustriert, wie er ist, kommt weder seine Frau noch sein Vorgesetzter mit ihm klar, doch nur dem perfekten Feindbild – dem verdächtigen, reichen Immobilienmakler Baxter – fühlt er sich überlegen. Als der sich über ihn lustig macht, brechen alle mühsam aufgebauten Dämme. Die drei Akte des Abends sind so gebaut, dass sich erst im letzten, als Rückblende gesetzten Akt nach der Pause der Zusammenhang erschließt. Regisseur Harald Weiler inszeniert mit seiner Wunschbesetzung – Katharina Abt, Stephan Schad und Boris Aljinovic – einen sensationellen, tief unter die Haut gehenden Thriller. Unbedingt anschauen, an einem Tag mit starken Nerven!
„Diese Geschichte von Ihnen“ ist noch bis zum 15. April 2023 am Ernst Deutsch Theater zu sehen.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 04/2023 erschienen.