„Dix und die Gegenwart“ in den Deichtorhallen: Die Welt in Flammen

In umwerfender Vielfalt führt „Dix und die Gegenwart“ in den Deichtorhallen in das Kriegs- und Krisengeschüttelte Heute
Tobias Zielony: Alexej, 2023 (©Tobias Zielony)

Es leuchtet Rot in den Deichtorhallen, Schrift, Wände und der Kubus, der durch einen dramatischen schwarzen Gang in die Ausstellung führt. Es ist ein eindrucksvoller Auftakt für eine beeindruckend umfassende Schau, in der es noch öfter Rot aufflammen wird.

Berühmt war Otto Dix (1891–1969) für seine grellen Tänzerinnen, lasterhaften Großstädter, Kriegskrüppel und der entfesselten Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Nur wenige dieser Bilder sind in der Schau zu sehen, die sich auf das spätere Werk von Dix konzentriert. Im kulturellen Gedächtnis aber sind sie fest verankert und umso spannender sind die Fährten, die von ihnen zu den 100 zeitgenössischen Werken der Schau gelegt werden und man muss sich Zeit nehmen, um ihnen in den Kabinetten, Kino-Kabinen und auf den langen eingezogenen Wänden nachzugehen. Den Motiven, die sich direkt auf Dix beziehen, die seine Sujets ins Heute übersetzen oder ähnliche Themen auf die Leinwand bringen, die Bildsprache oder Stil des Malers zitieren, der zwischen Realismus, Kubismus und Verismus changierte und schon früh altmeisterliche Maltechniken anwandte.

Überraschendes

Otto Dix: Gewitter im Riesengebirge, 1942 (©VG Bild-Kunst Bonn, 2023)

Glühend Rot wie Dix’ berühmtes »Bildnis der Tänzerin Anita Berber“ (1925) ist Nicholas Partys „Portraits with a Lawyer“ (2021), das ein Bildnis von Marlene Dietrich mit Dix’ Porträt des jüdischen Rechtsanwaltes Hugo Simons verwebt. In „Hospital Triptych No 1“ für das Dix’ berühmtes „Großstadt“-Triptychon von (1927/28) Pate stand, klagt der Maler Zeng Fanzhi 1991 das chinesische Gesundheitssystem an. Die Malerin Kati Heck hingegen führt mit Hummer, Shabby Chic und Dekadenz in den „Salon Chef“ (2018) und Nan Goldin durch drei Jahrzehnte drogengeschwängerter Subkultur.

Strauchelnde fängt Miron Zownir in seinen schwarzweißen Fotografien aus den Metropolen der Welt ein und besonders ergreifend ist, wenn Ron Muecks lebensgroße Plastik „Woman with Shopping“, 2013, die von einer erschöpften Mutter und von Stress, Armut und sozialer Ungerechtigkeit erzählt, Bezug auf Dix’ Porträt einer „Mutter und Kind“ (1924) nimmt, das direkt gegenüber hängt. Mit leerem Blick sitzen die beiden vor einer Trümmerlandschaft während im Vordergrund die groben und von der Arbeit geschundenen Hände der Mutter zu sehen sind.

Ron Mueck: Woman-with Shopping, 2013–2015 (©Ron Mueck, Foto: Eva Herzog)

Die Fährten sind vielfältig und aktuell, führen ins Heute aber auch in die Vergangenheit zurück. Anselm Kiefer ist mit zwei großen „Erinnerungslandschaften“ vertreten und mit Arbeiten von Georg Baselitz klingt die Kriegserfahrung der beiden Maler an. Und während die grotesken „Adolf and Eva“-Spektakel von Paul McCarthy in abgetrennten Räume abspulen, wird Marina Abramovićs ikonische Antikriegs-Performance „Balkan Baroque“ bei der sie 1997 vier Tage lang blutige Tierknochen schrubbte, als Installation gezeigt.

Besonderes spannend ist, dass es durchaus Entdeckungen gibt und Arbeiten, denen man nicht regelmäßig begegnet. Wie der Video-Loop „Beauty Duty“ (2014) des Hamburger Künstlers Thorsten Brinkmann, der als Erster-Weltkriegs-Soldat mit Blecheimer auf dem Kopf strauchelt und steppt. Simin Jaliliah, die nach ihrem Bachelor-Studium in Teheran an die HFBK in Hamburg ging, prangert in ihrer expressiven Ölmalerei patriarchale Machtstrukturen an während Marc Brandenburg in zartem Schwarz-Weiß mitten in Großstadt und Subkultur hinein führt. Friedrich Kunath hingegen breitet seine aufgeladenen Landschaften aus und die junge Malerin Sandige Tshabalala aus Soweto richtet in „Lady in Fur Coat IIIII“ (2021), den Blick einmal mehr auf selbstbewußte afrikanische Frauen – und diese auf uns zurück.

Ein wolkiger Ausklang

Nicolas Party: Portraits with a Lawyer, 2021 (©Courtesy the artist and Hauser & Wirth. Photo: Adam Reich)

Die Sichtachsen, die die Kuratorin Ina Jessen öffnet, sind abwechslungsreich. 2019 hat sie in Hamburg über Otto Dix und den Nationalsozialismus promoviert und sich bei den 50 gezeigten Gemälden von Dix vor allem auch auf diese Zeit konzentriert, als Dix, nachdem er 1933 seine Professur in Dresden verlor, in Deutschland blieb. Unbehelligt und als Mitglied der Reichskammer der Bildenden Künste, die „entartete“ Kunst fahndete und gesinnungstreue förderte, arbeitete er am Bodensee, nahm Porträts in Auftrag und stellte selten aus. „Ich bin eben anonym durchgerutscht“, hatte Dix etwas lapidar nach Kriegsende gesagt.

Er hatte die Großstadt verlassen und sich auf dem Land in Deckung gebracht. „Hier ist alles zum Kotzen schön“, beschrieb er die Umgebung, die er schließlich in seinen Landschaftsbildern festhielt. Die dunklen Wolken, die geborstenen Bäume und Gewitter, die auf ihnen toben, werden als Metaphern für den Faschismus gelesen und sind am Ende der Ausstellung als „politische Landschaften“ zu sehen. Das ist ein überraschend wolkiger Ausklang einer so wuchtigen Schau, die bildgewaltig und hochaktuell lange nachhallt.

„Dix und die Gegenwart“ ist noch bis zum 25. Mai 2024 in der Halle für aktuelle Kunst in den Deichtorhallen zu sehen

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 12/2023 erschienen.

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