Neuer Kupferhof: Urlaub vom Pflege-Marathon

Am Wohldorfer Wald können Familien mit pflegebedürftigen Kindern für eine Woche loslassen. Während das Team vom Verein „Hände für Kinder“ die Betreuung und Pflege übernimmt, können Eltern und Geschwister Kraft tanken
 Familie Rueß aus Baden-Württemberg: Kathrin und Christian Rueß mit ihren Kindern Erik (v. M.) und Toni
 Familie Rueß aus Baden-Württemberg: Kathrin und Christian Rueß mit ihren Kindern Erik (v. M.) und Toni (©Alina Fedorova)

In der „kleinen Elphi“ ist es noch wuselig. Kinder laufen umher, andere kichern, rufen, zappeln auf ihren Stühlen. Dann erklingt eine Klangschale, ein feiner Ton legt sich wie ein Schleier über die Geräusche, langsam kehrt Ruhe ein. Der Morgenkreis beginnt. Das Team klatscht in die Hände und stimmt ein Lied an: „Halli Hallo, wie schön, dass du da bist!“ tönt es durch den Raum in sanften Grün- und Beigetönen. Erik Rueß, ein achtjähriger Junge mit Downsyndrom, klatscht begeistert in die Hände. Dann schwingen sie gemeinsam das große Regenbogentuch. Erik legt sich lachend darunter, schaut nach oben in die flirrenden Farben. Keine Zurechtweisung, kein Zwang – hier im Neuen Kupferhof, dem Kurzzeit-Zuhause für Familien mit pflegebedürftigen Kindern, darf er einfach sein.

Christian und Kathrin Rueß aus Vaihingen bei Stuttgart sind bereits zum zweiten Mal zu Besuch gemeinsam mit ihren Söhnen Toni (10) und Erik. Der Alltag zu Hause ist fordernd. „Erik hat eine unglaubliche Energie“, sagt Kathrin Rueß. „Man muss ständig nach ihm schauen, er braucht viel Beschäftigung.“ Ihr Ehemann ergänzt: „Große Menschenmengen machen ihm Angst, er hat eine Weglauftendenz wie viele Kinder mit Downsyndrom. Wenn wir unterwegs sind, sind wir laufend unter Adrenalin.“ Im Neuen Kupferhof dagegen darf die Familie loslassen. „Das ist hier wie eine kleine Oase“, sagt Christian Rueß. „So, als hätte man wochenlang nichts getrunken, und hier kann man die Speicher wieder auffüllen.“ Kathrin Rueß nickt. „Der Ort hier gibt uns Ruhe und erdet uns. Hier sitzen alle in ähnlichen Booten, das merkt man im Umgang miteinander.“

Ein warmes Klima: das schafft der Neue Kupferhof 

Auch für Eltern gibt es Freizeitangebote, Entspannungsprogramme und Rückzugsmöglichkeiten  (©Alina Fedorova)

Geschäftsführer Steffen Schumann kennt das Gefühl der Erschöpfung, das viele Eltern hierherbringt. „Jeder Mensch braucht im Leben mal eine Pause. Und diesen Eltern wird keine Pause zugestanden. Wir waren selbst betroffen. Einfach mal ausschlafen, das war wie ein Lottogewinn.“ Schumann verlor seinen Sohn Noah an einem seltenen Gendefekt, als dieser 14 Jahre alt war.  Aus dieser Erfahrung entstand die Idee, einen Ort zu schaffen, der Familien entlastet, bevor sie zusammenbrechen. Die weiße 113 Jahre alte Villa liegt eingebettet zwischen hohen Bäumen im Naturschutzgebiet des Wohldorfer Waldes. Heute arbeiten hier rund 70 Festangestellte, darunter Pflegekräfte, Pädagogen und Therapeuten sowie über 70 Ehrenamtliche. Rund 400 Familien im Jahr kommen für bis zu 28 Tage zu Besuch.

„Jeder Mensch braucht im Leben mal eine Pause

Steffen Schumann

Doch die Finanzierung bleibt schwierig: Etwa 1,5 Millionen Euro an Spenden braucht der Trägerverein „Hände für Kinder“ jedes Jahr, um das Angebot aufrechtzuerhalten. „Die Eltern machen oft weit mehr als viele Arbeitnehmer. Sie stehen nachts fünf- bis zehnmal auf, haben nie Wochenende, nie Urlaub. Ich träume von einem Rechtsanspruch für diese Eltern und einer ausreichenden Finanzierung“, sagt Schumann. „Denn wenn sie zusammenbrechen, kostet das die Gesellschaft am Ende noch mehr.“

Im Haus selbst herrscht ein warmes, familiäres Klima. Auf der Kinderetage hängen Namensschilder mit kleinen Tiersymbolen – Schnecken, Schmetterlinge, Füchse. Ein großzügiger Spielraum lockt mit Bällebad, Schaumstoffklötzen und Unterwasserwelten an den Wänden. Hier liest eine Pflegerin einem kleinen Jungen ein Buch vor, während in der „kleinen Elphi“ die Musiktherapie beginnt. Musiktherapeut Bernhard Castro spielt am Klavier. Ein Junge im Rollstuhl wiegt sich im Takt, ein anderes Kind trommelt konzentriert zum Rhythmus. Eine Pflegerin nimmt sanft die Hand eines Mädchens und leitet sie über Harfensaiten, bis die Töne sie in den Schlaf wiegen.

Zwischen Alltag und Veränderungen im neuen Kupferhof 

Im Neuen Kupferhof gibt es neben Freizeit- und Therapieangeboten auch viel Platz zum Spielen und Toben (©Alina Fedorova)

„Jede Woche ist anders“, sagt Kira Sievers, Leiterin des Pädagogikteams. Bereits seit zehn Jahren ist sie dabei. „Die Gruppe ist sehr heterogen: Manche Kinder sind laut, andere ganz leise, manche können sich kaum bewegen, andere wollen rennen. Wir müssen auf alle eingehen – das ist eine Herausforderung.“ Weiter sagt sie: „Wir haben alle das gleiche Ziel: Den Familien Entlastung zu schenken und den Kindern eine tolle Zeit.“ Auch nachts wird im Kupferhof gearbeitet. Zwei Pflegekräfte wachen über die Kinder, kontrollieren Puls und Sauerstoff, wenn nötig. So auch Alina Koch, stellvertretende Leiterin des Pflegeteams: „Gerade die Nächte sind oft das große Thema bei den Familien. Manche Kinder brauchen viel Unterstützung, werden mehrmals wach. Aber egal, wie stressig es ist – die Dankbarkeit der Eltern und die Zufriedenheit der Kinder zeigen einem jeden Tag aufs Neue, dass man etwas Sinnvolles tut.“

Viele Familien fahren verändert nach Hause. Schumann erzählt von einer Mutter, die zehn Jahre lang mit ihrer Tochter, ein „Frühchen“, aus Sorge gemeinsam in einem Bett geschlafen hatte. „Hier hat sie es zum ersten Mal getrennt probiert. Danach sagte sie: Das hat mir die Augen geöffnet. Sie hat später ein Kinderzimmer eingerichtet, ist wieder arbeiten gegangen.“ Weiter heißt es: „Letztlich ist das hier auch Eingliederung. Dass Eltern mal rauskommen aus diesem Pflegetunnel, mal wieder leben können.“

Am Mittag blitzt nach einem Regenschauer die Sonne über den Garten samt Spielplatz, geschwungenen Sandwegen und Hühnerstall, in dem Cookie, Nacho und Oreo vor sich hin gackern. Auf dem Trampolin springen Erik und sein Bruder Toni lachend um die Wette, während ihre Eltern friedlich zuschauen. Für einen Moment scheint der Alltag weit weg. Kein ständiges Auf-der-Hut-sein. Nur das helle Lachen der Kinder und das Rascheln der Bäume im Wohldorfer Wald.

Toni (l.) und Erik Rueß (r.) spielen gemeinsam im Garten des Neuen Kupferhofs in Wohldorf  (©Alina Fedorova)
In der Kantine gibt es Frühstück und warmen Mittagstisch für die Familien (©Alina Fedorova)
Musiktherapeut Bernhard Castro musiziert während der Musiktherapie gemeinsam mit den Kindern (©Alina Fedorova)

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