„Lift Not the Painted Veil“: Auf menschliche Weise kreatürlich

In der Schau „Lift Not the Painted Veil“ im Ernst Barlach Haus zeigt die belgische Bildhauerin Berlinde De Bruyckere zahlreiche Objekte aus mehreren Jahrzehnten – und bringt sie in einen Dialog mit Werken von Ernst Barlach
Berlinde De Bruyckere: Lift Not the Painted Veil, 2025, courtesy of the artist. Kunstwerk: Berlinde De Bruyckere
Berlinde De Bruyckere: Lift Not the Painted Veil, 2025, courtesy of the artist. Kunstwerk: Berlinde De Bruyckere (©Mirjam Devriendt)

Zusammengekauert, mit krummem Rücken und zur Brust gesenktem Kopf, kniet Berlinde De Bruyckeres „Wezen“ aus Wachs auf einer Art Holzkiste. Bis auf die obere Hälfte der Beine, nackt und blass, ist sein menschenähnlicher Körper von einem groben, grauen Stoff umhüllt – und wirft Rätsel auf. Wurde dem Wesen Gewalt angetan? Sucht es Schutz? Trauert es? Man möchte die Decke fast wegziehen, nachsehen, das Geheimnis lüften. Doch würde man damit womöglich auch einen Teil der Magie von De Bruyckeres Objektkunst wegnehmen, die zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit oft bewusst keine eindeutigen Zustandsbeschreibungen zulässt und genau in diesem Dazwischen lebendig zu werden scheint und ihre Wirkungskraft entfaltet.

kreatürlich, fremd und zugleich doch vertraut: Mensch oder Masse?

So zumindest ließe sich auch der Titel ihrer großen Einzelschau im Ernst Barlach Haus verstehen: „Lift Not the Painted Veil“, in Referenz auf eine Zeile aus einem Gedicht des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley: „Heb nicht den bemalten Schleier, der Lebenden das Leben ist“. Gezeigt werden im Barlach Haus ausgewählte Skulpturen und Zeichnungen von De Bruyckere aus mehr als drei Jahrzehnten. Viele davon stellen Körper dar, oft auf eigenartig nahbare Weise kreatürlich, fremd und zugleich doch vertraut. Häufig initiieren die Objekte ein reizvolles Wechselspiel aus Formation und Deformation – wie etwa „After Cripplewood III“, eine Art Baumstumpf aus verschiedenen Materialien, dessen Form an einen Menschen erinnert, der komplett verkrampft oder sich unter Kraftanstrengung aus Fesseln zu befreien versucht: ein Patient, Gefangener, Gebeutelter? Und immer wieder taucht das Schleiermotiv auf, zum Beispiel ganz direkt auf der Zeichnung „Maria Cossijns“ von 1994: Hier lässt sich letztlich nicht sagen, ob die von einem roten Stoff bedeckte, blasse Person überhaupt noch lebt oder nicht. „Lift Not the Painted Veil“ ist De Bruyckeres erste Soloshow in Hamburg – und das ist kein Zufall. Denn ihre Objekte treten hier im Barlach Haus in den Dialog mit den Skulpturen von Barlach selbst. Auch er behandelte existenzielle Themen, auch seinen Figuren verleiht oft ein Stück Stoff physische Präsenz und lädt sie mit Geschichten und Emotionen auf – wie etwa bei seinem „Wanderer im Wind“ oder dem „Frierenden Mädchen“.

Was verbirgt sich unter dem Stoff? Eine aufreibende Frage, die Berlinde De Bruyckeres Objekte bewusst unbeantwortet lassen. Kunstwerk: Berlinde De Bruyckere; (©Mirjam Devriendt)

Diese Anknüpfungspunkte mögen unter anderem auch mit dazu geführt haben, dass De Bruyckere nach einem Besuch des Ernst Barlach Hauses im Herbst 2021 auf die Idee kam, künstlerisch auf dessen Arbeiten zu reagieren, insbesondere auf die Werke aus Holz. Und so entstand tatsächlich eine neue Werkgruppe aus polychromen Holzskulpturen – die De Bruyckere jetzt zum ersten Mal präsentiert: an jenem Ort also, der ihr als Inspirationsquell dafür diente.

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