SZENE HAMBURG: Ulrike Lorenz, 2012 begann Ihr Engagement in der Fabrik. Was hat Sie am Haus gereizt?
Ulrike Lorenz: Die Grundidee. Ich finde ein genreübergreifendes Programm enorm wichtig, und das gibt es in der Fabrik, seit es das Haus gibt. Keine Grenzen im Kopf haben, verschiedene Formen von Kultur und Kunst darstellen: Das ist eben in der Fabrik möglich. Ich muss dazu sagen: Ich war damals eigentlich schon kurz davor, einen anderen Job anzunehmen. Der wäre im Ruhrgebiet gewesen, in einem größeren Haus als die Fabrik. Nach zwei Gesprächen in der Fabrik und einer Vorstellung beim Aufsichtsrat habe ich im Ruhrgebiet abgesagt. Dabei hat der Job an sich sowie Hamburg als Stadt eine Rolle gespielt.
Mit 48 die Jüngste
Sie haben das Programm der Fabrik angesprochen. Als Sie damals als Geschäftsführerin anfingen, waren Sie direkt mit allen Punkten zufrieden oder haben Sie Verbesserungsmöglichkeiten gesehen?
Es war damals sogar zwingend nötig, Dinge zu verbessern. Denn so vielfältig das Programm auch einmal gewesen sein mag: Es war schlicht und einfach nicht mehr erfolgreich.
Woran genau lag das?
In der Programmabteilung war es versäumt worden, sich weiterzuentwickeln, etwa, indem man neue Bands, auch neue Trends ins Haus holt. Mein Vorgänger, der weit über 70 war, als ich anfing, hatte die Fabrik am Ende nicht mehr geführt, sondern die Dinge einfach laufen lassen. Die Glückwünsche an mich, als ich 2012 begann, hielten sich deshalb auch in Grenzen. Ich hörte dann so Sachen wie: „Fabrik? Da spielen immer nur diese alten Gitarrenbands.“ Auch Kommentare wie: „… in den Achtzigern war der Laden mal richtig gut.“ Es gab einen dringenden Bedarf, sowohl inhaltlich als auch wirtschaftlich, das Ganze aufzufrischen und aus den alten verstaubten und verkrusteten Strukturen herauszuholen.
Wie sind Sie das Auffrischen konkret angegangen? Einfach nur jüngere Künstler in die Fabrik zu holen, hätte sicher nicht gereicht.
Es brauchte ein Change-Management, weil das Haus 2012 nahezu bankrott war und auch kaum noch Publikum hatte. Das war ein komplexes Unterfangen. Als ich zur Fabrik kam, war ich mit 48 die Jüngste in der Crew. Als ich dann junges Personal ins Haus holen und neue Formate und Partner beauftragen wollte, waren ein paar der Älteren nicht immer dabei. Aber mit den weiteren Mitarbeitenden wurden sukzessive, auch gegen diese Widerstände, neue Themen und Konzepte erarbeitet sowie neues Personal und Partner an Bord geholt, die wiederum neue Impulse mitbrachten. Dadurch haben sich auch unsere Kultur und unsere Werte weiterentwickelt. Die ganze damalige Fabrikkultur war doch sehr stark patriarchal geprägt. Das hat sich zum Glück verändert, wenn dafür auch ein harter Kampf mit alten Männern nötig war, der die Fabrik aber endlich ins 21. Jahrhundert geführt hat. Heute sind wir in allen Bereichen, sowohl bei den Mitarbeitenden als auch im Programm, viel diverser aufgestellt. Auch den Gender-Pay-Gap habe ich nach und nach auflösen können. Als ich 2012 als Geschäftsführung anfing, verdienten die weiblichen Mitarbeitenden in der Fabrik um einiges weniger als die männlichen. Heute spielen auch Themen wie Awareness und Nachhaltigkeit in der Fabrik eine große Rolle und wir versuchen, darin ständig besser zu werden.
Viel Unterstützung
Es wurden dann aber auch neue Formate entwickelt …
… wie der Nachtflohmarkt, den wir ins Programm genommen haben, und der sofort richtig gut funktioniert hat. Genau wie die Marktzeit am Samstagvormittag, die ich als Kooperationspartner in den ersten Jahren stark unterstützt habe. Ziel war es, auch die 20- und 30-Jährigen zu erreichen, und die kamen durch solche Formate – und wollten in der Fabrik bestenfalls auch mal Konzerte sehen. Es war ein Image-Transfer, der über ein gutes Erlebnis im Haus, also zum Beispiel den Nachtflohmarkt, geklappt hat.
Von mir aus dürfte das Programm sogar noch etwas jünger werden – und weiblicher
Ulrike Lorenz, Geschäftsführerin der Fabrik in Altona
Wurde noch mehr verändert?
Wir haben weitere Musikfarben wie Country und Rockabilly ins Programm genommen, mehr junge Songwriter:innen ins Haus geholt und insgesamt den Anteil der weiblichen Acts erhöht. Anfang 2019 habe ich einen neuen Booker eingestellt – das war der Durchbruch. Er hat frische Ideen mitgebracht und sofort sehr kooperativ mit mir und der gesamten Crew zusammengearbeitet. Die Entwicklung lief sehr gut – und dann kam Corona …
… und hat die Fabrik ernsthaft gefährdet?
Nein. Das kann ich deshalb so klar beantworten, weil wir hier in Hamburg mit der Kulturbehörde und der Politik eine Unterstützung haben, die sehr viel für uns Einrichtungen getan und uns jederzeit das Gefühl vermittelt hat, dass wir das zusammen irgendwie hinbekommen. Bei der Kulturbehörde kann ich mich dafür erneut noch einmal bedanken. Zudem haben wir als Branche in der Stadt über die verschiedenen Interessensverbände – IHM, Clubkombinat, BDKV – sehr gut zusammengehalten, immer miteinander kommuniziert, uns gegenseitig informiert. Dadurch haben wir uns als Fabrik nie alleine gelassen gefühlt, was in diesen bizarren Zeiten wirklich wichtig war.
„Es geht immer besser.“
Als es dann wieder losgehen durfte, wie haben Sie das Fabrik-Publikum erlebt? Sofort wieder bereit für Live-Kultur?
Ja, wir hatten schnell ein volles Haus. Das lag auch an den aufgeschobenen Konzerten sowie – einmal mehr – an den jungen Themen. Die lockten natürlich auch ein junges Publikum an, das einiges an Nachholbedarf hatte. Darüber hinaus war es großartig zu erleben, wie wir als Fabrik mit der gesamten Crew aus dem Corona-Kaltstart mit unglaublichem Engagement und Herzblut wieder von null auf 100 Prozent hochgefahren sind.
Also sind Sie mit dem Ist-Zustand vollends zufrieden?
Es geht immer besser. Von mir aus dürfte das Programm sogar noch etwas jünger werden – und weiblicher. Da sind wir auch dran und auf einem guten Weg.