SZENE HAMBURG: Herr Tjarks, Sie sind mit dem Vorhaben angetreten, dass Hamburg zur Fahrradstadt werden soll. Wie ist der Stand?
Anjes Tjarks: Wir wollen, dass bis 2030 25 bis 30 Prozent der Wege in Hamburg mit dem Rad zurückgelegt werden. Aktuell wächst der Radverkehrsanteil und der Autoverkehrsanteil auf Stadtstraßen ist abnehmend. Während Corona hat der Radverkehr auch noch mal einen deutlichen Sprung gemacht, ein Niveau, das wir aktuell halten können.
Was ist ein realistisch erreichbares Maximalziel, wenn es bis 2030 25 bis 30 Prozent sein sollen?
Die Mobilitätswende ist ein in die Zukunft gerichteter Prozess und muss sich stetig weiterentwickeln. Bei den Schülerinnen und Schülern der weiterführenden Schulen haben wir jetzt schon einen sehr hohen Radverkehrsanteil, da sie ja beispielsweise noch kein Auto fahren dürfen. Wenn wir die großen weiterführenden Schulen perspektivisch noch besser an das Hamburger Radnetz anschließen, sehe ich besonders bei dieser jungen Zielgruppe viel Potenzial.
Veränderungen, Herausforderungen und ein langer Prozess
Hamburg wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Stadt für das Auto geplant und die großen Verkehrsachsen dominieren bis heute das Stadtbild. Ist vor diesem Hintergrund eine Verkehrswende überhaupt möglich?
Man kann es auf jeden Fall hinbekommen, dass diese Achsen sich verändern. Das sieht man aktuell an der Königstraße, wo es erst einen Pop-up-Radweg gab, den wir jetzt zu einem permanenten Radstreifen umbauen. Damit entsteht ein Weg für den Radverkehr von Altona in die Innenstadt, auch über die Reeperbahn, wo es vorher nicht einmal einen Radweg gab. Mit der Veränderung solcher Achsen schaffen wir Raum für den Radverkehr und ermöglichen dessen Wachstum. Doch ein Umbau ist nicht an allen Hauptverkehrsachsen sinnvoll und muss daher im Vorfeld umfassend geprüft werden.
Es gibt noch sehr viel zu tun
Anjes Tjarks
Warum ist ein Umbau nicht an allen Hauptverkehrsachsen sinnvoll?
Hauptverkehrsachsen sind sehr komplexe Gefüge, ein Umbau erfordert oft umfangreiche Maßnahmen. Bevor wir einen Umbau planen, betrachten wir den Verkehrsraum ganzheitlich und schauen uns beispielsweise das Verkehrsaufkommen der einzelnen Verkehrsträger genauer an. An manchen Stellen in unserer Stadt können kleinere Eingriffe wie die Optimierung von Ampelschaltungen schon zielführend sein. Auch müssen wir in einer Großstadt wie Hamburg die Ressourcen dort einsetzen, wo der Bedarf am größten ist.
Sie beziehen sich in Ihren Beispielen auf Projekte in der inneren Stadt. Hamburg ist aber von der Fläche her die viertgrößte Stadt in der EU. Wie sieht es mit der bestehenden Infrastruktur auch außerhalb des Ring 2 aus, die oft in schlechtem Zustand ist?
Ja, es stimmt, es gibt noch sehr viel zu tun. Deswegen kann ich auch immer nur sagen: Hamburg ist dabei, eine Fahrradstadt zu werden. Das ist ein langfristiger Prozess. Von der bestehenden Radinfrastruktur, die wir ausbauen, liegen je nach Jahr 75 bis 80 Prozent außerhalb des Ring 2 – mit der Elbe als südliche Grenze. Aktuell haben wir in Bergedorf den Oberen Landweg und in Harburg die erste Fahrradstraße fertig gestellt. Das sind Projekte, die für den innerstädtischen Radfahrer natürlich nicht sofort sichtbar sind.
Das Projekt Fahrradstadt: Eine Frage der Kompromisse
Als Verkehrssenator müssen Sie sich neben den Bezirken auch mit der Innenbehörde abstimmen. Wie läuft die Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen?
Ich arbeite mit der SPD gut zusammen. Am Ende geht es um die Frage: Wie entwickelt man den öffentlichen Raum? Und da gibt es nicht nur eine Lösung und ein Verkehrsmittel. Auch die Autofahrer haben nachvollziehbare Bedürfnisse, ebenso wie die Fußgänger. Wie man das am besten organisiert, erarbeiten wir gut in der koalitionsinternen Auseinandersetzung. Aber natürlich gibt es auch hier herausfordernde Problemstellungen.
Städte wie Rotterdam und Paris zeigen heute, dass es geht
Anjes Tjarks
Sie sprechen die verschiedenen Bedürfnisse an. Wie schwierig ist es, diesen Dreiklang zwischen Fuß-, Auto- und Radverkehr zu verhandeln, wenn eine Oppositionspartei im Bezirkswahlkampf mit einem tendenziell autofreundlichen Plakat wirbt?
Der Punkt ist, dass die damit Wahlkampf machende CDU auf die Frage, wie man die Verkehre gut zusammenbringt, keine Antwort hat. Ich persönlich hätte nichts gegen die von der CDU vorgeschlagenen Quartiersgaragen (Garagen, die ausschließlich den Bewohnenden eines Quartiers zur Verfügung stehen und den öffentlichen Raum von Verkehr entlasten sollen, Anm. d. Red.) zu schaffen, aber das ist häufig kein wirtschaftlich tragendes Modell. Deswegen ist das, was die CDU vorhat, in der Regel keine Lösung.
Vorbilder für die Fahrradstadt Hamburg
Wenn es um konkrete Lösung, aber auch um Vorbilder auf dem Weg zur Fahrradstadt geht, werden häufig Amsterdam und Kopenhagen genannt. Doch in diesen Städten wird seit den 1970er-Jahren an der Verkehrswende gearbeitet. Taugen sie daher überhaupt als Vorbild für Hamburg?
Ja, weil sie ein ähnliches Wetter- wie Höhenprofil haben. Dass Kopenhagen schon so lange an der Verkehrswende arbeitet, zeigt auch, dass wir durchaus noch einen Weg vor uns haben. Früher gab es oft das Argument, dass eine Verkehrswende in einer Millionenstadt wie Hamburg nicht möglich sei. Städte wie Rotterdam und Paris zeigen heute, dass es geht.
Am Ende geht es um die Frage: Wie entwickelt man den öffentlichen Raum?
Anjes Tjarks
Sie sprechen Paris an. Die dortige Bürgermeisterin hat den Autoverkehr stark eingeschränkt und als radikal bezeichnete Maßnahmen umgesetzt. Ist das ein Vorbild für Hamburg?
Ich finde die Leistung von Anne Hidalgo sehr gut. Ich glaube aber, es ist nicht zielführend, das eins zu eins auf Hamburg zu übertragen. Denn die Herausforderungen sind in Paris andere. Die französische Hauptstadt hat mit 20.000 Menschen pro Quadratkilometer eine fast zehn Mal so hohe Einwohnerdichte wie Hamburg und dem gegenüber ist Hamburg sieben Mal größer. Das heißt auch, der Raum für ein privates Auto und sogar für ein privates Fahrrad ist in Paris zum Teil gar nicht vorhanden.
Ist bei der größeren Dichte der Stadt die Leistung von Frau Hidalgo nicht sogar noch höher anzurechnen?
Ich will die Leistung von Frau Hidalgo nicht schmälern, aber ich glaube, es ist noch offensichtlicher, dass sie diese Maßnahmen ergreifen musste. Denn je größer die Einwohnerdichte ist, desto mehr macht eine Mobilitätswende Sinn.
Für Sie steht 2025 die nächste Bürgerschaftswahl an. Haben Sie noch die Lust und die Kraft auch nach 2025 an der Verkehrswende zu arbeiten?
Ich bin jetzt 43 Jahre alt, stehe voll im Saft (lacht). Die Aufgabe macht mir jeden Tag Spaß und ich hätte auch nach 2025 Lust und Energie, die Arbeit weiter voranzutreiben. Denn ich sehe, das wir vorankommen, dass die Stadt sich entwickelt und wir als Verkehrsbehörde unseren Teil dazu beitragen. Vor allem weil wir viele unserer Projekte weitestgehend im Konsens realisieren.
Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 07/2024 erschienen.