In seinem für den Oscar nominierten Film „Der schlimmste Mensch der Welt“ erzählt Regisseur Joachim Trier unkonventionell, kreativ und schwungvoll von den modernen Problemen junger Menschen und gewann dafür in Cannes jüngst auch die Silberne Palme
Text: Christopher Diekhaus
Grenzenlose Auswahlmöglichkeiten können ungemein befreiend sein, führen manchmal aber auch zu Verunsicherung und mangelnder Entschlossenheit. Wem alle Optionen offenstehen, der hat unter Umständen Angst, sich festzulegen. Denn vielleicht gibt es ja stets eine bessere Alternative. Die Last, Entscheidungen zu treffen, spürt in Joachim Triers „Der schlimmste Mensch der Welt“ die fast 30-jährige Julie (Renate Reinsve), die mehrere Studiengänge abgebrochen hat und in einer Buchhandlung jobbt.
Ihr deutlich älterer Partner Aksel (Anders Danielsen Lie) hingegen ist ein erfolgreicher Comiczeichner, der zudem immer öfter über die Gründung einer Familie spricht. Mit dem Gedanken, Kinder zu bekommen, kann sich Julie allerdings aktuell noch nicht anfreunden und zweifelt daher zunehmend an ihrer Beziehung. Umso mehr, als sie auf einer Hochzeitsfeier den charmanten Eivind (Herbert Nordrum) kennenlernt. Nachdem er mit dem Mysterythriller „Thelma“ zuletzt einen Ausflug in übernatürliche Gefilde wagte, kehrt Autorenfilmer Joachim Trier in seiner neuen Regiearbeit zu seinen näher an eigenen Erfahrungen und Existenzfragen liegenden Ursprüngen zurück.
Liebe und ein bisschen Tragik: erfrischend und unberechenbar
„Der schlimmste Mensch der Welt“ ist vor allem eine Tragikomödie über die Fallstricke der Liebe, sprengt aber die starren Erzählmuster des romantischen Kinos. Schon die Hauptfigur fällt komplexer aus als üblich. Und immer wieder überrascht der Film damit, wie er Standardsituationen originell abwandelt. Das beste Beispiel: der amüsante erste Flirt zwischen Julie und Eivind. Eher ungewöhnlich ist zudem, dass gesellschaftliche Erwartungen und generationsbedingte Unterschiede regelmäßig nicht nur an der Oberfläche verhandelt werden. Triers unkonventionelle Herangehensweise macht schließlich auch vor den Bildern und der Inszenierung nicht Halt. Etwa, wenn die Welt um die Protagonistin herum buchstäblich stillsteht, während sie durch die Straßen Oslos läuft. Nur einer von vielen Einfällen, die das Ganze erfrischend und unberechenbar machen.
„Der schlimmste Mensch der Welt“, Regie: Joachim Trier. Mit Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum. 127 Min. Seit dem 2. Juni 2022 im Kino
Einen Vorgeschmack gefällig? Hier gibt‘s den Trailer zu „Der schlimmste Mensch der Welt“: