Filmkritik: „All of Us Strangers“

„All of Us Strangers“ ist ein metaphysisches Melodram mit schmerzlich-schöner Sprengkraft und läuft ab dem 8. Februar auch in den deutschen Kinos 
Adam (Andrew Scott) und Harry (Paul Mescal) machen einen pulsierenden Trip in die Vergangenheit (©Parisa Taghizadeh/Searchlight Pictures/20th Century Studios)

Mit seinen unbewohnten Apartments ragt ein Wolkenkratzer am Rande Londons in den Himmel. Nur zwei Männer sind bereits eingezogen und trotzen – jeder für sich – der klaustrophobischen Stille des unbewohnten Gebäudes. Adam (Andrew Scott), ein Autor mit Schreibblockade, verharrt in öder Einsamkeit, als Nachbar Harry (Paul Mescal) eines Abends prompt und scheinbar alkoholisiert vor seinem Apartment auftaucht. Er stellt sich vor und sucht ungeniert seine Nähe, Adam lehnt vorerst höflich ab. „There are vampires at my door“, flüstert Harry noch bevor er geht. Ein seltsamer Satz, dessen schmerzliche Sprengkraft sich erst ganz am Ende des Filmes entfaltet.

Der große unbefriedigende Widerspruch überdauert

„All of Us Strangers“, ab dem 8.2. in den deutschen Kinos (©Parisa Taghizadeh /Searchlight Pictures/20th Century Studios)

„All of Us Strangers“ erzählt die aufkeimende, pulsierende Liebesgeschichte jener zwei Männer und verknüpft sie mit den Kindheitserinnerungen der Hauptfigur Adam, die ihn anlässlich eines Drehbuchprojekts einholen. Was passiert, wenn man seinen Eltern als Gleichaltriger begegnen könnte? Regisseur Andrew Haigh findet in diesem metaphysischen Melodram Antworten und verwebt geschickt die Wunden der Vergangenheit im Leben des homosexuellen Protagonisten mit den verhornten Narben seiner Gegenwart.

Offen bleibt, ob Adams Begegnungen mit seinen längst verstorbenen Eltern Bebilderung seines Buches, übernatürliche Ereignisse oder aber Anzeichen einer psychischen Störung sind. Vielmehr geht es darum, was Adam in diesen mystischen Sequenzen fühlt, begreift oder bewältigt – getragen von Andrew Scotts umwerfenden Schauspiel.

Der wunderbare Soundtrack löst die Grenzen zwischen Realität und Traum in „All of Us Strangers“ auf und nimmt den Zuschauer musikalisch mit in Adams Kindheit der 1980er-Jahre, ohne in nostalgischen Kitsch abzugleiten. Wenn im großen Finale Frankie Goes to Hollywood die Macht der Liebe besingt, hat der Film bereits eine beispiellos schmerzhafte Wendung genommen. Es ist der große unbefriedigende Widerspruch des Filmes, der bis zum Schluss an die Kraft der Liebe appelliert und doch eine kalte, stechende Leere hinterlässt. Es ist eben dieser Widerspruch, der den Film überdauert.

„All of Us Strangers“, Regie: Andrew Haigh. Mit Andrew Scott, Paul Mescal, Jamie Bell. 105 Min. Ab dem 8. Februar 2024 im Kino

Hier gibt’s den Trailer zum Film:

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Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2024 erschienen.

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