Filmkritik: „Ein Schweigen“

„Ein Schweigen“ von Regisseur Joachim Lafosse ist zeigt die zerstörerische Kraft der Scham – skizzenhaft
Rechtsanwalt François Schaar (Daniel Auteuil) wird von der Presse umzingelt (©Arsenal Filmverleih/Kris de Witte)

Das Haus des prominenten Rechtsanwalts François Schaar (Daniel Auteuil) wird wegen eines aufsehenerregenden Falls um einen pädophilen Straftäter von der Presse belagert. Doch die rechtschaffene, kämpferische Art, in der sich François als Verteidiger der Opfer nach außen hin inszeniert, verbirgt Abgründe. Das Verhältnis zwischen ihm, seiner Frau Astrid (Emmanuelle Devos) und Sohn Raphaël wirkt distanziert und merkwürdig. Es wird bald klar, dass ein Geheimnis die Atmosphäre vergiftet, über das einzelne Familienmitglieder nicht länger schweigen wollen …

Die Zuschauer bleiben Zaungast

„Ein Schweigen“ läuft ab dem 13. Juni im Kino (©Arsenal Filmverleih)

Regisseur Joachim Lafosse nimmt in seinem neuen Film, der auf einem wahren Fall beruht, weder die Seite von Opfern noch die der Ermittler ein, sondern seziert den Zustand, der systematischen Missbrauch ermöglicht: das titelgebende Schweigen. Dabei folgt er insbesondere dem Alltag Astrids, einer liebenden, fürsorglichen Mutter, die im lähmenden Zustand der Scham um die Neigungen ihres Mannes gefangen zu sein scheint. In diesem Vakuum liegt das Beklemmende, das Unheilvolle im Film „Ein Schweigen“, der zwar früh verrät, dass er ein tragisches Ende nehmen wird, aber vorher den Prozess des Verdrängens in seiner Konsequenz durchspielt: Jedes Aufblitzen der Wahrheit wird im Keim erstickt.

Doch das Moment der Irritation, das in den anfangs schwer zu lesenden familiären Beziehungen ruht, verliert im Verlauf an Kraft: Der Film gefällt sich darin, seine Figuren und ihre Abwehrmechanismen immer wieder in langen, sehr nahen Einstellungen zu studieren. Das gelingt nicht zur Gänze, der tiefere Blick in ihr Innenleben bleibt aus. Als ein rasch eingeführter Ermittlerstrang dann zügig zum anfangs angedeuteten Klimax führt, fühlt man sich als Zuschauer so wie die Journalisten an der Pforte zum Haus der Schaars: Man bleibt Zaungast. „Ein Schweigen“ nimmt zwar eine interessante Perspektive in der Familiendynamik um einen Missbrauchsfall ein und schafft damit fein beobachtete Momente des Verdrängens, kommt aber nicht über seine Skizzenhaftigkeit hinaus.

„Ein Schweigen“, Regie: Joachim Lafosse. Mit Daniel Auteuil, Emmanuelle Devos, Jeanne Cherhal. 99 Min. Ab dem 13. Juni 2024 im Kino

Hier gibt’s den Trailer zum Film:

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Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 06/2024 erschienen.

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