Der Zusatz „Einmal schwerelos und zurück“ im deutschen Titel könnte aktueller als kurz nach der Uefa EURO 2024 nicht sein. Klingt doch direkt die Torhymne „Major Tom“ im inneren Ohr an. Ansonsten hat „Gagarin“ weniger mit Fußball als mit Raumfahrt zu tun. Science-Fiction-Symbolik und Gentrifizierungskritik treffen im Film auf Coming-of-Age-Romantik und Züge eines Sozialdramas, bevor er in den magischen Realismus (ent)gleitet. Handlungsort: die 1963 von Kosmonaut Juri Gagarin eingeweihte Cité Gagarine in einer Pariser Vorstadt. In dieser Sozialbausiedlung traf das Regieduo bestehend aus Fanny Liatard und Jérémy Trouilh bereits im Jahr 2014 Bewohner für dokumentarische Porträts. Daraus entstand erst ein Kurzfilm, 2019 folgten die Dreharbeiten für ihr Spielfilmdebüt – zeitgleich zum Abriss der Cité Gagarine. Der Ort habe dabei die Impulse für die Handlung geliefert, sagen die beiden Filmschaffenden.
„Gagarin“ bringt Hochhäuser und Raumfahrt zusammen
Der 16-jährige Youri (Alseny Bathily) lebt in der Cité Gagarine und träumt davon, Astronaut zu werden. Weil seine Mutter nie zu Hause ist, ist er auf sich gestellt, aber nicht einsam. Denn die Gemeinschaft des Wohnprojekts trägt ihn, allen voran sein Freund Houssam (Jamil McCraven), das Mädchen Diana (Lyna Khoudri), in das er verliebt ist, und Nachbarin Fari (Farida Rahouadj). Doch dann wird bekannt, dass die Siedlung abgerissen werden soll. Obwohl Youri und seine Freunde alles tun, um den Gebäudekomplex wieder instandzusetzen, können sie den Beschluss nicht verhindern. Nach und nach ziehen alle Menschen aus. Nur Youri weigert sich zu gehen. Er verwandelt seine Wohnung in eine Raumstation, während die Umgebung immer lebensfeindlicher wird.
„Gagarin“ besticht durch die originelle Idee, die Hochhäuser der Cité Gagarine mit der Raumfahrt in Verbindung zu bringen, insbesondere visuell. Wenn Youri durch eine Luke auf das Dach des Gebäudes steigt, könnte man meinen, er würde von einem Raumschiff ins All gelangen. Auch die ästhetischen Aufnahmen (Bildgestaltung: Victor Seguin) der in Wahrheit eher tristen Siedlungsarchitektur machen die Cité neben Bathily zum heimlichen Protagonisten. Es macht Spaß, die Bewohner und ihren Zusammenhalt zu beobachten, etwa beim gemeinsamen Anschauen einer Sonnenfinsternis, und hätte sich mehr davon gewünscht, bevor der Film an manchen Stellen ins allzu Fantastische abdriftet.
Gagarin – Einmal schwerelos und zurück, Regie: Fanny Liatard, Jérémy Trouilh. Mit Alseni Bathily, Lyna Khoudri, Jamil McCraven. 95 Min. Ab dem 15. August 2024 im Kino
Hier gibt’s den Trailer zum Film:
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Diese Kritik ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.