Tanzen sollte nicht nur was für Mädchen sein, findet die Tanzdramaturgin Melanie Zimmermann. Die Workshops auf Kampnagel wollen dagegen steuern und zeitgenössischen Tanz für alle erlebbar machen.
SZENE HAMBURG: „Faux Pas“, das diesjährige Motto suggeriert, es komme nicht auf korrekte Schritte an, weil ein falscher Schritt – konkret und im übertragenen Sinn – jemanden mitunter weiterbringt?
Melanie Zimmermann: „Faux Pas“ hat drei Bedeutungen: falscher Schritt, gesellschaftliches Missgeschick und etwas, das man vermeiden sollte. 2018 stellen wir Künstler vor, die nicht das gesellschaftliche System bestätigen, sondern Formen und Choreografien immer wieder infrage stellen und sich trauen, weiter zu denken.
Kampnagel präsentiert ohnehin oft Tanz, warum einen zusätzlichen Fokus setzen?
Die Idee entstand 2014, als die Tanz-Plattform Deutschland auf Kampnagel stattfand. Diese nationale Plattform zeigt, ähnlich wie das Berliner Theatertreffen, die jeweils besten Produktio- nen, die im Laufe der vorigen Spielzeit in Deutschland produziert wurden. Damals wollten wir den Besuchern von außerhalb die Gelegenheit geben, gleichzeitig die Hamburger Tanzszene kennenzulernen. Kampnagel ist ohnehin ein Melting Pot, und wenn wir an einem langen Wochenende so viele Tanzproduktionen bündeln, können Kollaborationen zwischen lokalen und nationalen bzw. internationalen Künstlern entstehen. Das Publikum bekommt die Vielfalt des zeitgenössischen Tanzes zu sehen und die Hamburger Szene wird wahrgenommen.
Eine Sensation ist die Anwesenheit von Mohamad Abbasi aus dem Iran, wo Tanz ja offiziell gar nicht stattfindet.
Zur Eröffnung hält er einen Vortrag über „Tanz im Iran“, dort darf Tanz aufgrund der Sittengesetze nicht aufgeführt werden. Dennoch initiierte Abbasi in Teheran ein Untergrund-Tanzfestival unter schwierigen Bedingungen, das von offizieller Seite argwöhnisch verfolgt wird. Sein Kommentar über die Zustände: Falls er je eine Aufnahme einer seiner Produktionen brauche, müsse er sich nur an die Regierung wenden – die habe alles heimlich aufgezeichnet.
Wer hat über die Einladungen zu „Fokus Tanz #4“ entschieden?
Wir entscheiden das gemeinschaftlich im Dramaturgie-Team mit Amelie Deuflhard, der Intendantin. Tanz kommt manchmal elitär daher und man fragt sich, welche Aussage er hat. Tanz hat mitunter sich selbst als Thema. Wir wollen vermitteln, dass es viele verschiedene Formen und Ästhetiken im Tanz gibt. Wir wollen das Publikum neugierig machen, auch solches, das nicht vom Tanz kommt.
Aber dennoch gibt es Kriterien bei der Auswahl?
Wir haben uns entschlossen, in diesem Jahr nicht thematisch vorzugehen, sondern vier sehr gute Produktionen einzuladen oder zusammen mit Künstlern, die wir sehr schätzen, neue Arbeiten zu produzieren. Erst danach bildete sich ein gemeinsamer Nenner heraus: das Politische im Tanz. Dazu passend habe ich die Workshops geplant, die von der Baby- Disco über das Choreografieren für Kinder bis zur Werwolf-Verwandlung für Erwachsene ebenfalls eine große Bandbreite abdecken und dazu einladen, nicht nur aus Zuschauerperspektive, sondern Tanz aktiv besser verstehen zu lernen.
Es ist also sinnvoll, (zeitgenössischen) Tanz zu erklären?
Jeder hat ein individuelles Verständnis von Körper. Ich beschäftige mich täglich damit, andere Menschen haben einen anderen Blick. Neugierig zu machen auf verschiedene Bewegungsformen, das ist mir wichtig – egal, ob man zum ersten Mal zeitgenössischen Tanz sieht oder vom Fach kommt. Das Hamburger Publikum ist toll, auf Kampnagel kommen interessierte Leute, die auch ins Thalia Theater und ins Schauspielhaus gehen. Wenn sie sich dort nicht genug gefordert fühlen, kommen sie zu uns.
Das heißt, wenn es dem Publikum im Staatstheater nicht innovativ genug ist?
Ja, zum Beispiel. Oft sind die Künstler, die auf Kampnagel auftreten, noch nicht so bekannt; die Stücke auch nicht, weil keine Texte interpretiert, sondern Stücke entwickelt werden. Unsere Aufgabe ist es, Neues zugänglich zu machen. Das Publikum kommt eben nicht, weil es Ensemble-Schauspieler sehen will oder bekannte Stoffe, sondern weil es neugierig ist auf etwas Neues. Wir bieten bei Tanzproduktionen sehr oft Einführungen oder Publikumsgespräche an. Da kommen dann Fragen nach der Aussage. Aber im Tanz funktioniert es anders, über ein Bewusstsein von Körper und von Körpern im Raum. Da braucht es noch recht viel Vermittlungsarbeit.
Woran liegt das?
Das ist völlig normal, denn in der Schule lesen wir Shakespeare oder Goethe, damit sind wir vorbereitet auf den Theaterbesuch. Für den Tanz gibt es kein Äquivalent. Darin sehe ich meine Aufgabe: einen Zugang zu schaffen, zu sensibilisieren, am besten schon bei Kindern.
Die Tendenz, Tanz in Kindergärten und Schulen zu etablieren, ist indes schon zu beobachten …
Oft aber wird Tanz nur den Mädchen zugeordnet, da wird gesellschaftlich wenig gegengesteuert. Deshalb bieten wir im Rahmen der „Tanz für alle“-Workshops eine „Baby-Disco“ sowie „Choreografie für Kinder“ zwischen sechs und acht Jahren an. In der Baby-Gruppe imitieren professionelle Tänzer die Bewegungen der Kleinkinder und überführen sie in kurze Choreografien, begleitet vom DJ Magic Marcel, der auch in Clubs auflegt. Den Workshop für Grundschulkinder leitet ein Künstler, der auch Pädagoge ist. Hier geht es um Bewegungen jenseits der vom Ballett geprägten Schönheitskategorien – also insgesamt ein Angebot gegen die Verniedlichung in Tanz und Musik.
Was wird für alle über acht angeboten?
Die Hamburger Choreografin Ursina Tossi beschäftigt sich gerade mit der Figur der Werwölfin, sie bietet einen Choreografie-Workshop über Transformation an, sie ist als feministische, politische Künstlerin bekannt. Die Tanz-Workshops werden am Wochenende alle zur gleichen Zeit stattfinden, zwischen 16 und 18 Uhr. So können Eltern und Kinder zeitgleich tanzen und danach gemeinsam in eine Vorstellung gehen.
Interview: Dagmar Ellen Fischer
Foto: Janto Djassi
Fokus Tanz #4 auf Kampnagel, 15.-18. Februar
Dieser Text ist ein Auszug aus SZENE HAMBURG, Februar 2018. Das Magazin ist seit dem 26. Januar 2018 im Handel und zeitlos in unserem Online Shop oder als ePaper erhältlich!