Hannah Paulini im Torrausch

Hannah Paulini_Foto_Justus Fotos
Im Vordergrund: Torschützin Hannah Paulini vom Eimsbütteler TV, direkt dahinter ihre Mitspielerin Pina Frädert und ganz hinten Pauline Juraschek (Foto: Justus Fotos)

Frauenfußball Stürmerin des Eimsbütteler TV erobert mit 58 Treffern die Hamburger Fußballwelt

Text: Mirko Schneider

Wenn es eine Szene gibt, die Hannah Paulini (26) perfekt beschreibt, so ist es ihr 8:0 im Heimspiel ihres Eimsbütteler TV gegen den Harburger TB. Paulini erhält den Ball an der Mittellinie. Sie wird gefoult und gerät ins Straucheln, erkennt aber gleichzeitig die Chance auf einen Alleingang aufs gegnerische Tor. Von der Mittellinie zündet Paulini mit Ball den Turbo, umkurvt schließlich die Harburger Keeperin, schiebt ein – und fällt danach mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden. „Dieses Tor vergesse ich vermutlich nie“, sagt ihr Trainer Dennis Tralau (30). „Das war Hannah pur! Der pure Wille, das Tor zu machen, waren größer als ihre Schmerzen durch das Foul.“

Die Viertligatorschützenkönigin von Deutschland

Dieser „pure Wille“ der Hannah Paulini hat wesentlich zum Aufstieg des Eimsbütteler TV von der Oberliga Hamburg in die Regionalliga Nord beigetragen. Im Frauenfußball ist das die 3. Liga. Diese große Leistung des gesamten Teams wäre medial wohl – leider – eine Randnotiz der abgelaufenen Saison geblieben. Wenn da nicht Paulini wäre. In nur 22 Partien erzielte sie sage und schreibe 58 Treffer! Damit sicherte sie nicht nur ihrem Team den Aufstieg, sondern fand über „Kicker“ bundesweit Beachtung. Denn zum ersten Mal vergab der „Kicker“ die „Torjägerkanone für alle“. Und Paulini darf sich nun mit satten 20 Treffern Vorsprung vor Sandra Weihmann vom 1. FC Union Berlin „Viertligatorschützenkönigin von Deutschland“, nennen.

„Ich hätte mir als Ziel vor der Saison nie 58 Tore gesetzt und ich habe vorher nicht annähernd so häufig getroffen“

Hannah Paulini, Eimsbütteler TV

„Als ich nach drei Spieltagen acht Tore hatte, wurde ich im Verein schon auf diese Torjägerinnenliste angesprochen. Es ist krass. Ich hätte mir als Ziel vor der Saison nie 58 Tore gesetzt und ich habe vorher nicht annähernd so häufig getroffen“, sagt Paulini. Wie also hat sie das gemacht? „Wir haben uns aufgrund der besonderen Situation in einen Rausch gespielt. Das war auch bei mir so“, sagt Paulini.
Diese besondere Situation ergab sich durch den Zweikampf mit dem zweiten Team des HSV. Es ist der klare Favorit, führt die Tabelle lange an. Mit zwei Punkten und bis zu 20 Toren Vorsprung. Am 10. April muss der ETV beim HSV II antreten. In der sechsten Minute der Nachspielzeit schafft der ETV noch das 1:1 und vertagt die Entscheidung über den Titel. „Trotzdem haben die HSV- Spielerinnen nach Spielschluss vor uns gefeiert, als seien sie schon Meister. Ich habe auf dem Platz zu hören bekommen, sie würden es sowieso schaffen. Das war nicht der entscheidende Punkt, aber für viele von uns war dieses Verhalten sicher eine kleine Extramotivation“, sagt Paulini. „Als ein paar Spieltage vor Schluss klar war, dass wahrscheinlich die Tordifferenz über den Titel entscheidet, haben wir uns eingeschworen, so viele Tore zu schießen wie möglich. Unser Trainer Dennis Tralau sagte vor jedem Training zu uns: ,Wer nicht dran glaubt, kann gleich wieder nach Hause gehen.‘“

Titel und Aufstieg des ETVs

Nun beginnt das, was Paulini als „Rausch“ bezeichnet. Der Tabellenletzte Harburger TB wird beispielsweise mit 19:0 nach Hause geschickt. Paulini trifft elfmal. Es ist nicht so, dass die Gegnerinnen sich nicht wehren. Sie kommen gegen diesen ETV einfach nicht mehr an. Vor dem letzten Spieltag hat der ETV nur noch drei Tore Rückstand. Der HSV II schlägt Concordia zwar 8:0, der ETV den Tabellenvorletzten Berne aber 18:0. Mit sieben Paulini-Toren. Titel und Aufstieg sind perfekt. „Wir waren so fokussiert, dass nach dem Spiel keine mehr von uns wusste, wie wir eigentlich gespielt haben. Wir hatten wochenlang nur noch ein Ziel: Ball ins Tor schießen, ihn wieder an der Mittellinie auf den Anstoßpunkt legen, nächstes Tor schießen“, sagt Paulini. Die Feier nach dem letzten Spieltag, es ist an ihrem Schmunzeln im Gesicht abzulesen, muss legendär gewesen sein.

Paulinis Karriere im Frauenfußball

Doch es wäre zu kurz gegriffen, alleine den Rausch der letzten Spieltage für die epische Torflut verantwortlich zu machen. Schließlich ist Paulinis Karriere im Amateurfußball ein Paradebeispiel dafür, wie viel Beharrlichkeit Mädchen benötigen, um wirklich ihren Weg zu machen und im Frauenfußball anzukommen. So begann Paulini als Sechsjährige bei TuS Osdorf in einer Jungenmannschaft, da es kaum Mädchenteams gab. Dort spielte sie, bis sie in die fünfte Klasse kam. Nach ihrem Wechsel zu Altona 93 hatte der Verein schließlich keine U16, in der sie spielen konnte. Also ging Paulini als 14-Jährige zum SC Nienstedten, durfte dort sogar schon bei den Frauen der Oberligamannschaft mittrainieren und Testspiele bestreiten. Doch die Frauenfußballabteilung in Nienstedten löste sich 2015 auf. Bei so vielen Hürden hätten andere Mädchen sicher irgendwann entschieden, sich eine andere Sportart zu suchen. Paulini blieb dabei und ging zum ETV.

Hartes Training zahlt sich aus

Dort wurde die Corona-Zeit sehr prägend für sie. „Ich habe Laufen immer gehasst. Ich bin nie extra laufen gegangen, wollte immer nur auf den Fußballplatz. Aber während Corona habe ich meinen Extralaufplan voll durchgezogen. Ich habe Fußball so sehr vermisst und wollte voll da sein, wenn es wieder losgeht.“ Dazu schob sie, sobald es erlaubt war, individuelle Sonderschichten mit ihrem Trainer Dennis Tralau. „Schnelligkeit, Abschluss vor dem Tor – das waren die Hauptthemen.
Wir haben trainiert und trainiert und trainiert. Und es hat sich gelohnt“, sagt Paulini. Zum ersten Mal hat sie in dieser Saison eine Spielzeit verletzungsfrei durchgehalten, fühlt sich topfit.

Auszeichnungen für Paulini

Sogar für die Wahl zur Hamburger Spielerin des Jahres (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) wurde sie durch eine Vertreterin des Hamburger Fußball-Verbandes und des Hamburger Abendblatts besetzte Jury nominiert. Ebenso wie ihre Mitspielerin und ETV-Kapitänin Merle Oppenheim (26). „Ich habe bei dieser Wahl gar keine Chance.

„Hannah sollte Spielerin des Jahres werden. Sie hat es verdient. Ich habe ihr jedenfalls meine Stimme gegeben“

Merle Oppenheim, Eimsbüttler TV-Kapitänin

Und das völlig zu Recht nicht“, sagt Oppenheim lachend. „Hannah sollte Spielerin des Jahres werden. Sie hat es verdient. Ich habe ihr jedenfalls meine Stimme gegeben.“
Eine Auszeichnung hat Paulini schon sicher. Ihre „Kicker“-Torjägerkanone erhält sie am 23. September in der Halbzeitpause des Herren-Länderspiels Deutschland gegen Ungarn in der UEFA-Nations-League in Leipzig. Sie freut sich sehr darauf. Und wünscht sich für den Frauenfußball, auch als Trainerin der C-Mädchen (12– 14Jahre) des ETV, die ein gutes Gespür für das hat, was an der Basis läuft, mehr Wertschätzung.

Potential des Frauenfußballs födern

„Die Europameisterschaft der Frauen hat gezeigt, wie krass positiv sich der Frauenfußball technisch, taktisch und von der Geschwindigkeit in den letzten 20 Jahren entwickelt hat.

„Es braucht bessere Anstoßzeiten, mehr Sichtbarkeit im TV, einen Mindestlohn für Profispielerinnen und vor allem viele starke Angebote an der Basis, damit junge Mädchen Fußball spielen“

Hannah Paulini, Eimsbüttler TV

Aber es braucht bessere Anstoßzeiten, mehr Sichtbarkeit im TV, einen Mindestlohn für Profispielerinnen und vor allem viele starke Angebote an der Basis, damit junge Mädchen Fußball spielen“, sagt Paulini. „Außerdem ist die Unterstützung der Vereine wichtig. Ich war schockiert, als ich in der Dokumentation über die Frauennationalmannschaft „Born for this“ die Kabine von Champions-League-Teilnehmer Eintracht Frankfurt gesehen habe. Die Kabine der Frauen dort sieht aus wie unsere und wir waren in der letzten Saison noch Oberligist. Das kann nicht sein.“

Paulinis Ziel: Viele Tore schießen

Es gibt also noch viel zu tun. Auch für Paulini selbst. In dieser Saison will sie den Klassenerhalt mit in der Regionalliga Nord dem ETV. Wird sie dabei ihre 58 Treffer wiederholen können? „Nein“, sagt Paulini. „Aber ich will wieder viele Tore schießen.“


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