Frauenfußball in Hamburg: Es fehlt an der Basis

Die Deutschen sind bei der WM in Australien und Neuseeland ausgeschieden und kommen nach Hause. In Deutschland steht der Frauenfußball jetzt auf dem Prüfstand. Doch wie sieht es eigentlich in Hamburg aus? Ein Gespräch mit Dennis Tralau, Leiter der Frauenfußballabteilung beim ETV, über die Arbeit an der Basis, unverhältnismäßige Prämiendiskussionen und eine Stadt ohne Team in der ersten Bundesliga
Dennis Tralau (2. v. l. hinten) mit dem Team der 1. Frauen des ETV  (©Justus Stegemann)

SZENE HAMBURG: Dennis, seit wann bist du beim Eimsbütteler Turnverband (ETV)?

Dennis Tralau: Ich bin seit 2014 Trainer beim ETV. Zuerst als Co-Trainer der 1. Frauen, ein Jahr später bin ich dann Cheftrainer geworden und seit der Saison 2016/17 leite ich die Frauenfußballabteilung beim ETV.

Du hast mal gesagt, dass dich der Männerfußball nervt, bist du deswegen Trainer bei den Frauen?

Nein, das war eigentlich nie mein Ziel. Ich war früher Spieler bei Grün-Weiß Eimsbüttel. Mein Vater hat damals dort durch Zufall die B-Mädchen übernommen und so kam der Kontakt zum Frauen- und Mädchenfußball erstmals zustande. Dann wurde der Co-Trainer-Posten beim ETV frei. Ich hatte als Schiedsrichter die Frauen schon oft gepfiffen und so war ich mit dem damaligen Trainer Flemming Nielsen ohnehin schon im Austausch. Der Rest hat sich ergeben.

Letztendlich wollte ich gar nicht gezielt in den Frauenfußball. Ich wollte primär mit Flemming Nielsen arbeiten und von ihm lernen. Dann habe ich sehr schnell gemerkt, dass der Frauenfußball eine dankbare Aufgabe ist, weil die Spielerinnen deutlich angenehmer sind.

Am Ende fehlt es nicht an Top-Talenten oder der Begeisterung im Frauenfußball, sondern es krankt an den Strukturen vor allem an der Basis

Dennis Tralau

Inwiefern?

Bei den Herren wird, vor allem in den unteren Ligen, viel mehr gesabbelt und jeder denkt, er wird Profi. Das gibt es bei den Frauen so nicht. Die sind ein bisschen ehrlicher und motivierter. Das liegt auch daran, dass Spielerinnen selbst in der Bundesliga zum Teil immer noch nicht vom Sport leben können. Es ging und geht einfach bei den Frauen viel mehr um Fußball und weniger um den Zirkus drum herum.

Verantwortung und fehlende Strukturen

Dennis Tralau leitet seit der Saison 2016/17 die Frauenfußballabteilung beim ETV und trainiert das Team der 1. Frauen(©Justus Stegemann)

Wie geht es dem Frauen- und Mädchenfußball im Moment in Hamburg?

Wir haben in der kommenden Saison mit dem HSV ein Team in der 2. Bundesliga. Das ist top, auch für den Frauenfußball in der Stadt. Und auch der FC St. Pauli versteht langsam, dass es sinnvoll ist, Synergien aus dem Männer-Profibereich zu nutzen – beispielsweise durch ihre professionalisierte Präsenz der Frauen auf Social Media. Auch wenn die beiden großen Vereine selbst im Frauenfußball vorankommen, müssen sie aber auch verstehen, dass sie eine Verantwortung gegenüber dem Rest in Hamburg haben. Sie müssen irgendwann auch alle anderen mitnehmen. Stand heute braucht das aber noch Zeit, weil sie selbst noch im Aufbau sind.

Wo steht ihr da als ETV?

Auch wir haben die Verantwortung, allein durch unsere Größe mit fünf Frauenteams, den Frauenfußball in der Stadt nach vorne zu bringen und andere mitzunehmen. Deswegen stellen wir zum Beispiel sicher, dass wir in der C- und B-Mädchen-Oberliga (die höchste regionale Spielklasse für Mädchen von 13 bis 16 Jahren in Hamburg, Anm. d. Red.) vertreten sind. Wenn wir diese Liga aufgeben würden, aus welchem Grund auch immer, ist das Risiko da, dass es die Liga irgendwann nicht mehr gibt und dann haben alle ein Problem. Zwar kriegst du die Top-Talente gefördert, weil die mit Jungs trainieren, aber alle anderen haben dann nichts.

Wo man im Frauenfußball nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland aufpassen muss, ist, die simplen Grundlagen nicht zu vergessen. Es wird oft nicht das große Ganze gesehen, sondern viel zu eindimensional gedacht. Am Ende fehlt es nicht an Top-Talenten oder der Begeisterung im Frauenfußball, sondern es krankt an den Strukturen vor allem an der Basis.

Was heißt das genau?

Es sind viele Kleinigkeiten. Aktuell haben wir zur Saison 23/24 keinen Oberliga-Absteiger, der in der Landesliga spielt. Und warum? Weil Bramfeld sich leider aufgelöst hat und in der Kreisliga neu anfängt und weil Bergedorf einfach vergessen hat, sich zum Spielbetrieb zu melden. Das wäre bei einem Oberliga-Männerteam undenkbar. Es geht dabei aber nicht darum, wer Schuld hat, sondern, dass sich das Team aufgelöst hat und die Spielerinnen in alle Himmelsrichtungen weg sind. Unterdessen wird im Vorfeld der Weltmeisterschaft über Equal Pay und Prämien diskutiert, wenn man diese Geschichten aus Hamburg kennt, kommt das einem noch mal ganz anders vor.

Talente ohne Liga

Der Deutsche Fußball Bund (DFB) schafft zur Saison 24/25 auch noch die Juniorinnen-Bundesliga ab …

Genau das meine ich. Wir haben einerseits fehlende Strukturen an der Basis und andererseits werden damit vorhandene Strukturen (die Juniorinnen-Bundesliga, als höchste bundesweite Spielklasse für Mädchen, Anm. d. Red.) auch noch abgeschafft. Wenn ich mir die Männer angucke, mit denen ich auf dem Niveau auch zu tun habe, dann spielen die bei den B-Junioren zum Teil in den Ferien sogar unter der Woche. Da wird Vollgas gegeben und bei den Frauen heißt es, ein Ligabetrieb sei zu teuer. Wir reden da von 30 Teams in ganz Deutschland. Wir vom ETV bekommen aktuell rund 20.000 Euro für die Teilnahme und die Lizenzvereine rund 17.500 Euro. Für den DFB, den größten Fußballverband der Welt, sind 17.500 bis 20.000 Euro pro Team bei 30 Teams doch Peanuts.

Du bekommst eine Spitze an Spielerinnen nur aus einer guten Breite

Dennis Tralau

Und was soll mit den Juniorinnen jetzt passieren?

Die sollen in Jungs-Ligen spielen. Da frage ich mich bei Hamburg: Ja wo denn? Jede Top-Truppe bei den U14-Jungs haut jedes U17-Mädchenteam locker weg. Dazu kommt, dass es auf inhaltliche Fragen nach Qualifikation, Abstieg und Melderegularien vom DFB aktuell noch keine Antwort gibt.

Und wie begründet der DFB dann das Abschaffen der Juniorinnen-Bundesliga?

Unter anderem damit, dass die aktuellen Spitzenspielerinnen diese Liga nicht mehr durchlaufen würden und es sie daher nicht bräuchte. Es stimmt, dass viele dort nicht gespielt haben. Aber heißt das auch automatisch, dass es die Liga nicht mehr braucht? Wir produzieren ja nicht nur Nationalspielerinnen. Was machst du denn mit denen, die mal 2. Bundesliga oder Regionalliga spielen sollen? Die musst du doch auch ausbilden und für die Breite an Spielerinnen hat die Juniorinnen-Bundesliga einen Wert. Im Zweifel hilft es dann auch den Top-Talenten, denn die lernen genau dort, unter ihresgleichen voranzugehen und Verantwortung zu übernehmen. Das lernst du nicht, wenn du mit körperlich überlegenen Jungs spielst. Diese Mischung macht die Liga aus und letzten Endes bekommst du eine Spitze an Spielerinnen nur aus einer guten Breite.

Förderung, Doppelmoral und kleine Erfolge

Statt der Liga möchte der DFB, ähnlich wie schon vor Jahren bei den Männern, jetzt Förder- und Leistungszentren bei den Frauen und Mädchen einführen. Ist beim ETV so ein Zentrum denkbar?

Der DFB hat gesagt, dass es diese Zentren geben soll, aber bis dato gibt es dafür keine inhaltlichen Kriterien. Dazu ist nicht klar geregelt, wo die Teams aus diesen Zentren spielen sollen – die Juniorinnen-Bundesliga gibt es dann ja nicht mehr. Unabhängig davon, wann das klar ist, wollen wir als ETV alles dafür tun, die Kriterien für so ein Zentrum zu erfüllen, weil wir die optimale Förderung für unsere Spielerinnen gewährleisten wollen.

In Deutschland gibt es aktuell mit der SGS Essen nur noch ein Team in der 1. Bundesliga, hinter dem kein Name eines Profi-Männerteams steht. Ist vor dem Hintergrund ein Streben in Richtung 1. Liga für den ETV realistisch oder seid und bleibt ihr Talentschmiede?

Im Frauenfußball sind wir an einem Punkt, an dem wir höllisch aufpassen müssen. Einerseits verlangen die Frauen nach Aufmerksamkeit und auf der anderen Seite hängen fast alle Teams der 1. Liga am Tropf der Männervereine. Das ist eine Doppelmoral. Denn ich kann den Männerfußball nicht kritisieren und gleichzeitig mich voll abhängig machen.

Wir als ETV werden perspektivisch keinerlei Chancen haben in diesen Zirkus 1. Liga reinzurutschen. Wir wollen unsere Rolle auf regionalem Level spielen. Dabei habe ich keine Probleme mit einer Zusammenarbeit, beispielsweise mit dem HSV. Denn man kann in Hamburg wunderbar koexistieren. Der HSV hat mit seiner Größe Optionen, die wir nicht haben.

Wenn in der Jugend das Niveau steigt, steigt es in der Folge auch bei den Frauen

Dennis Tralau

Wie sieht es bei euch für die Frauen finanziell aus? Gibt es wie bei den Männern auch in den Klassen unter der 2. Bundesliga Geld oder eine Aufwandsentschädigung?

Nein, das gibt es nicht. Was wir geschafft haben: Bei uns sind die ersten Frauen seit ein paar Jahren beitragsfrei (beim ETV zahlen Fußballspielerinnen normalerweise rund 30 Euro pro Monat, Anm. d. Red.). Das heißt wir querfinanzieren sie und das ist schon mal ein großartiger Schritt. Das einzelne Spielerinnen Geld verdienen, davon halte ich auf Amateurebene nichts. Da finde ich Prämien interessanter, die dann in die Teamkasse fließen. Aber das ist aktuell noch kein Thema und ohnehin haben wir bis dahin noch tausend Dinge zu erledigen, die wichtiger sind.

Die Perspektive in Hamburg: Aufwind und Symbiose

Braucht Hamburg für seine Entwicklung im Frauenfußball ein Profi-Team, das dann auch in der ersten Liga spielt?

Wenn der HSV seinen aktuell Weg vernünftig weitergeht, kann das nur allen gut tun. Denn da entsteht dann ein Aufwind, von dem alle profitieren, auch auf Spielerinnenebene. Mit seinem aktuellen Kader könnte der HSV nicht in der ersten Liga spielen. Das heißt, sie müssten sich verstärken und einige Spielerinnen würden rausfallen. Diese spielen dann im zweiten Team des HSV oder wechseln auch zu anderen Vereinen in der Stadt, die somit in ihrem Niveau wachsen würden.

Wenn du dir die Entwicklung im Hamburger Frauenfußball für die nächsten fünf bis zehn Jahre wünschen dürftest, welche wäre das?

Ein funktionierender und vernünftiger Wettbewerb im C- und B-Mädchen-Bereich. Das gibt es seit Jahren in der Stadt nicht. Wenn da vereinsübergreifend bessere Arbeit passiert, wird ganz viel auch von allein kommen. Denn wenn in der Jugend das Niveau steigt, steigt es in der Folge auch bei den Frauen. Das klappt nicht, wenn du jedes einigermaßen talentierte Mädchen aus dem Mädchenfußball rausnimmst und zu den Jungs steckst. Dabei bin ich auch ein Freund der Symbiose: Wenn es für die Mädchen mal Sinn ergibt, bei den Jungs mitzutrainieren und mitzuspielen, ist das wunderbar. Aber wenn die talentierten Mädchen dem eigenen Wettbewerb entzogen werden, wird dieser in der Folge schlechter.

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