Nachts in der S3 stadteinwärts: Die von der Partynacht müden Augen sind kurz geschlossen, der Kopf ans Fenster gelehnt – doch plötzlich ist da die fremde Hand des Sitznachbarn auf dem eigenen Oberschenkel. Am späten Nachmittag in der S1 Richtung City: Ohne sich großartig umzusehen auf einem Sitz niedergelassen – auf einmal holt das männliche Gegenüber sein Smartphone heraus und macht ungefragt ein Foto. Das sind nur zwei von vielen übergriffigen Situationen, die weiblich gelesene Personen täglich im ÖPNV erleben müssen. Hätten Videoüberwachung, Rufsäulen und Sprechstellen die Betroffenen vor diesen Vorfällen schützen können? Wohl eher nicht, sie können höchstens dazu beitragen, sie im Nachhinein aufzuklären. Auch das Sicherheitspersonal vermag das nicht, wenn es nicht gerade zufällig im selben Abteil ist. Was solche Situationen aber verhindern kann: Frauenwaggons in U- und S-Bahnen, weil diese bereits im Vorfeld einen präventiven Schutzraum schaffen.
Abteile für Frauen: In anderen Großstädten schon Standard
Die Hamburgerin Doruntina Bajraktaraj hat vor Kurzem eine Online-Petition für genau solche Abteile gestartet, nachdem sie in der U1 Richtung Norderstedt von einem Mann angeschrien, geschubst und beleidigt wurde. Mittlerweile haben schon fast 25.000 Personen unterschrieben. Der Need ist also vorhanden. Doch die Verantwortlichen – von Parteien bis zu Verkehrsbetrieben – tun sich schwer mit dem Thema.
Die Einführung von Frauenwaggons impliziere, dass die Sicherheit nur in bestimmten Bereichen gewährleistet werden könne, heißt es etwa von Seiten der Hamburger Hochbahn. Sie verweist stattdessen auf die Kampagne „Sicher unterwegs im hvv“, wozu unter anderem die Kooperation mit dem Heimwegtelefon gehört. Deren Maßnahmen sind aber leider nicht in der Lage, weiblich gelesene Personen umfassend vor Belästigung und Übergriffen zu schützen. Zwar bieten auch Frauenwaggons keine hundertprozentige Sicherheit, sie tragen aber zur Verbesserung des Schutzes bei. In Japan etwa hat sich das Modell durchgesetzt. Nicht nur in den U-Bahnen von Tokio oder Osaka, sondern auch im Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen. Andere Großstädte wie Mexiko-Stadt, Dubai oder Rio de Janeiro sind ebenfalls auf den Zug aufgesprungen, die Umsetzung ist also praktikabel.
Frauenwaggons: Weder diskriminierend noch unemanzipatorisch
Interessanterweise sind es vor allem männlich gelesene Personen, die in den Social-Media-Kommentaren zu dem Thema plötzlich wahlweise die Gleichberechtigungs- oder die Diskriminierungs-Fahne gleich ganz hochhalten. Allerdings ist an Frauenwaggons nichts diskriminierend. Denn es verhält sich damit wie mit Frauenparkplätzen oder Bade- und Saunazeiten für Frauen: Sie sollen die persönliche Sicherheit einer bestimmten Gruppe, in diesem Fall weiblich gelesene Personen, die nachweislich häufiger Opfer von sexuellen Übergriffen werden, gewährleisten oder deren Intimsphäre schützen. In solchen Fällen ist eine Ungleichbehandlung legitim, das ist sogar im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert.
Außerdem scheinen einige Schreihälse zu vergessen, dass es sich bei den Frauenwaggons um ein freiwilliges Angebot handelt. Es besteht hier also keine Gefahr, dass Familien oder Freundesgruppen an der Fahrzeugschwelle auseinandergerissen werden. Jeder weiblich gelesenen Person steht es frei, zu entscheiden, welches Abteil sie wählt. Doch hier bestimmt das Angebot die Nachfrage: Mit Sicherheit würden viele alleinfahrende weiblich gelesene Personen die Waggons nutzen, wenn sie erst mal vorhanden wären. Darin einzusteigen ist nicht unemanzipatorisch. Denn solange die Bedingungen, sich frei und sicher im öffentlichen Raum bewegen zu können, nicht für alle (Geschlechter) gleich sind, braucht es Übergangslösungen wie die besagten Abteile. Gleichzeitig kann parallel weiter an der Bekämpfung der Ursachen und an der Umsetzung der Idealvorstellung gearbeitet werden: Sicherheit überall und für alle.