Regisseur Georg Münzel: „Likes erzeugen eine Art körperliche Sucht“

Georg Münzel inszeniert Dave Eggers’ dystopischen Roman „The Circle“ am Altonaer Theater. In dem Stück übt ein mächtiger Internetkonzern umfassende soziale Kontrolle aus
Inszeniert am Altonaer Theater „Der Circle“ von Dave Eggers: Georg Münzel (©G2 Baraniak)

SZENE HAMBURG: Georg, wie würdest du es finden, wenn du beim Inszenieren eine Miniaturkamera tragen müsstest, die den gesamten Vorbereitungs- und Probenprozess live und für jeden zugänglich ins Netz überträgt?

Georg Münzel: Eine sehr gute Frage. Denn genau darum geht es im Roman „The Circle“, den wir jetzt auf die Bühne bringen: um den Wunsch oder die Vision von totaler Transparenz. Furchtbar würde ich das finden, denn Privatheit und Intimität haben für mich einen hohen Stellenwert. Da stehe ich ganz auf einer Seite mit dem Autor Dave Eggers, der die Social-Media-Welt stark kritisiert.

Transparenz kann nur über verlässliche Wahrheiten erzeugt werden. Aber sind die digitalen Medien noch ein probates Mittel, um zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden? Wurde Eggers’ Roman zwölf Jahre nach seinem Erscheinen nicht von der Wirklichkeit überholt?

Sobald wir wie in „The Circle“ eine Kamera tragen, die durchgängig Live-Bilder streamt, wird die nächste technische Entwicklung sein, dass diese Bilder live manipuliert werden können. Letztlich geht in privaten Beziehungen bis hin zu öffentlichen Prozessen also nichts ohne Vertrauen. Teilweise hat die Gegenwart Eggers’ Science-Fiction-Vision tatsächlich überholt. Aber es bleiben die sozialen Probleme, die er beschreibt. Wie gehen wir mit den technologischen Möglichkeiten um, und was bedeutet das für unser Zusammenleben? Dabei ist der grundsätzliche philosophische Wert der Privatsphäre meistens viel schwerer zu erklären als der Nutzen, den uns die Technologie bringen könnte.

Georg Münzel über die Transparenz im Netz

Die Hauptfigur Mae Holland ist eine junge Uni-Absolventin, die von „The Circle“ angestellt wird und schon bald zum wichtigsten Gesicht des Konzerns avanciert. Sie trägt eine Miniaturkamera an ihrem Körper, die alles, was sie selbst sieht, hört und sagt als Videostream ins Netz sendet. Warum lässt Mae sich auf diesen Handel eine?

Man könnte sich fragen, ob sie nicht einfach ein bisschen naiv ist? Man sollte aber bedenken: Für jüngere Menschen ist es ganz normal, permanent sehr viel von sich preiszugeben und aus ihrem ganzen Umfeld ständig Informationen zu erhalten und diese auch für bare Münze zu nehmen. Mae ist also eine junge Frau, die den sozialen Medien grundsätzlich positiv gegenübersteht und in deren Leben es nicht so gut läuft. Sie hat einen schlechten Job, bevor sie beim Circle eingestellt wird, und bekommt dort plötzlich alles, wovon sie bis dahin nur träumen konnte. Die Gehälter sind hoch, die Arbeitsbedingungen toll. In der Kantine arbeiten Sterneköche, man kann Sport machen, abends laufen Partys, auf denen Superstars Freilichtkonzerte geben.

Die Transparenz ist der Preis, den man für dieses Paradies zahlt. Sie wird auch als etwas komplett Positives beschrieben, nach dem Motto „Wer nichts zu verbergen hat, der braucht auch keine Angst vor Überwachung zu haben“. Die Vision des Circles ist eine Art Rückführung in den Garten Eden, in dem es kein Fehlverhalten, keine Verbrechen und keine Peinlichkeit mehr gibt. Hinzu kommen die positiven Kommentare, die Mae ständig erreichen. Im Circle heißen sie „Smiles“, wir kennen sie als „Likes“. Sie sorgen für ständige Endorphinausschüttungen. Das ist wie eine körperliche Sucht, was ja mittlerweile auch nachgewiesen wurde.

Privatheit und Intimität haben für mich einen hohen Stellenwert

Georg Münzel 

Die großen Tech-Firmen der Gegenwart arbeiten profitorientiert. Beim Circle hingegen scheint Gewinnmaximierung keine Rolle zu spielen. Von welchen übergeordneten Motivationen wird das Unternehmen angetrieben?

The Circle strebt ein Weltmonopol für alle Online-Dienstleistungen an, eine Art Weltherrschaft, wenn man so will. Aber eine vermeintlich gute. Der Kopf des Circles, Eamon Bailey, glaubt daran, dass das, was seine Firma macht, gut ist. Er gehört zum Typ „lieber Diktator“, der ja heute wieder ziemlich populär ist. Viele Menschen sind genervt von demokratischen Streitprozessen und sehnen sich nach einem „guten Menschen“ oder einem „guten Unternehmen“, das seinem sagt, wo es langgeht. Spannend finde ist, dass es aktuell eine Unternehmerfigur gibt, die ihre Macht ganz ähnlich nutzt, auch wenn sie politisch dabei in eine ganz andere Richtung zielt: Elon Musk. Er hat für 44 Milliarden Dollar Twitter aufgekauft und in X umgewandelt, wobei ihn das Monetäre überhaupt nicht zu interessieren scheint. Dadurch hat er jetzt eine unglaubliche Macht und nimmt komplett an allen demokratischen Prozessen vorbei nicht nur in den USA politisch Einfluss. Das ist erschreckend. 

Georg Münzel: „Die digitalen Medien befördern Verschwörungstheorien“

„The Circle“, inszeniert von Georg Münzel, ist am Altonaer Theater zu sehen (©Altonaer Theater)

Auch die Rumänen haben kürzlich erlebt, wie ein ultranationalistischer Präsidentschaftskandidat, den die meisten Menschen bis dahin kaum kannten, bei den Wahlen dank einer geschickten Tiktok-Kampagne den ersten Platz belegte …

Eine der Ideen des Internets und der sozialen Medien ist deren demokratischer Anspruch, dass nämlich die Gatekeeper der klassischen Medien abgeschafft werden. Das kann man durchaus positiv sehen. Ich glaube aber, letztlich sind die Auswirkungen negativ. Die digitalen Medien befördern Verschwörungstheorien und extreme rechtspopulistische Bewegungen. Warum man Leuten, die auf Facebook oder Instagram ihre Thesen verbreiten, mehr Glauben schenkt als Leuten, die Journalismus studiert haben und mit dieser Arbeit Geld verdienen, ist mir ein Rätsel. Letztendlich ist die Zeit, um sich zu informieren, begrenzt. Deshalb braucht man eine Vorauswahl. Da vertraue ich doch lieber einer Tageszeitung, die Geld dafür verlangt, gründlich recherchieren und die Resultate qualitativ hochwertig abbilden kann, als mich in irgendwelchen Bubbles oder Rabbit Holes zu verlieren, in denen von obskuren Dingen wie der jüdischen Weltherrschaft gefaselt wird.

Im Film „The Circle“ spielt Emma Watson die Hauptrolle. Wer schlüpft bei euch in die Rolle der Mae?

Miriam Schiweck. Sie kommt frisch von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, wollte jetzt eh nach Hamburg ziehen, um hier frei zu arbeiten, und passt wahnsinnig gut in die Rolle. Ein echter Glücksfall.

Warum man Leuten, die auf Facebook oder Instagram ihre Thesen verbreiten, mehr Glauben schenkt als Leuten, die Journalismus studiert haben und mit dieser Arbeit Geld verdienen, ist mir ein Rätsel

Georg Münzel 

Wie gehst du bei der Übertragung der Buchvorlage auf die Bühne vor?

Auf die technologischen Aspekte gehen wir nicht so detailliert ein, wie der Roman. Wichtig scheint mir, dass hier eine vermeintlich freundliche, moderne Welt erschaffen wird, in die die Hauptfigur und hoffentlich auch das Publikum regelrecht hineingesogen werden. Das versuchen wir über die Musik des Hamburger Hip-Hoppers Levin Liam und eine Choreografie zu lösen.

Und sobald das Publikum sich mit der Inszenierung wohlfühlt, wurde es ebenfalls von den Verführungsstrategien des Circles überwältigt?

Ja, genau. Man soll nachempfinden können, was Mae durch den Circle alles gewinnt, um zu verstehen, warum sie sich auf das alles einlässt, und schließlich seine eigenen Schlüsse daraus ziehen zu können.

The Circle“, Altonaer Theater, 22. Februar (Premiere), 28. Februar, 1.+2., 5. Märzund weitere Termine

Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 02/2025 erschienen.

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