Ein Poller in der Einfahrt zum Ottenser Gewerbehof Hagen ist zum Symbol eines jahrelangen Rechtsstreites zwischen zwei Vermietern geworden. In der Schusslinie: 80 ansässige Künstler, Handwerker und Kleingewerbetreibende
Text & Fotos: Sophia Herzog
An einem Backsteingebäude in der Ottenser Straße Hohenesch flackert ein Banner im Wind: „Gewerbehof Hagen bleibt!“. Seit den 30er Jahren ist das Gelände im Besitz der Familie Hagen, die heute als Hagen Verwaltung GbR agiert, und seitdem einer der wenigen Ottenser Hinterhöfe, in denen Kleingewerbe ohne Angst vor Verdrängung existieren konnte, denn die Mieten sind seither bezahlbar.
Das führte dazu, dass sich hier eine vielfältige Mischung der Mieter eingefunden hat: Neben einigen Handwerkerbetrieben wie zwei Lampenherstellern und einer Siebdruckwerkstatt sitzen hier auch Landschaftsarchitekten, Designer, Schulen für Kunst, Tanz und Musik, ein Gitarrenbauer, ein Tonstudio, mehrere Künstler und die Suppenküche „La Cantina“, in der Menschen mit geringem Einkommen jeden Tag warmes Essen bekommen.
Rund 80 Gewerbetreibende sind insgesamt auf dem Hof beschäftigt, viele wohnen im Viertel und wissen die Nähe zum Arbeitsplatz sowie die günstigen Mieten zu schätzen. „Einen Hof wie unseren, in dem so eine vielfältige Mischung an Menschen zusammenarbeitet, gibt es in Ottensen kaum noch“, so Jan Hempel, der auf dem Hof eine Lampenmanufaktur betreibt. Doch seitdem die einzige Hofeinfahrt Ende Februar gesperrt wurde, droht die Hinterhofidylle, die hier viele Jahre herrschte, zu kippen.
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Einige Mieter müssen jetzt direkt auf der Straße statt im Hinterhof verladen, andere haben noch größere Sorgen: „Gewerbe wie der Getriebedienst, die hier hinten an Pkws arbeiten, machen erhebliche Verluste, seit niemand mehr auf den Hof fahren kann“, so Jan Hempel. „Lange ist dieser Zustand für uns nicht tragbar.“
Grund für die Sperrung der Hofeinfahrt ist ein langwieriger Rechtsstreit zwischen der Hagen Verwaltung GbR, der der Gewerbehof gehört, und den Eigentümern des Nachbargrundstücks – ein Streit, in dem sich die Aussagen beider Parteien oft widersprechen. Das Problem: Die Einfahrt liegt nicht etwa auf dem Grundstück des Gewerbehofs Hagen mit den Hausnummern 66-68, sondern auf dem benachbarten Grundstück Hohenesch 70-72.
Eine sogenannte Grunddienstbarkeit, die das Wegerecht für die Hagen Verwaltung GbR sichern würde, gibt es nicht – lange war im Grundbuch eine „Vormerkung der Grunddienstbarkeit“ eingetragen, bestätigt Jan Hempel. „Diese Vormerkung wurde in den 90er Jahren, aus nicht mehr rekonstruierbaren Gründen, ebenfalls gelöscht.“
Im zivilrechtlichen Verfahren, das zwischen den beiden Parteien läuft, pocht die Hagen Verwaltung GbR also auf ihr Gewohnheitsrecht: Schon seit Jahrzehnten nutzen die Mieter des Gewerbehofs sowie ihre Kunden diese Einfahrt, Probleme hätte es mit dieser Regelung nie gegeben, so Hempel – bis vor fünf Jahren ein Ehepaar das Nachbargrundstück erwarb. Schon damals wäre klar gewesen, dass die Kellerdecke und Stahlträger, die unter der Einfahrt liegen, durchgerostet und nicht dafür geeignet wären, darüber zu fahren, behaupten die Eigentümer.
Von besagter Einsturzgefahr hätten sie der Hagen Verwaltung GbR schon vor Jahren berichtet, diese hätte ihre Mieter aber nicht darüber informiert und die Nutzung mit Pkw weiterhin zugelassen, so das Ehepaar.
„Da wir in einem Schadensfall haften, sahen wir uns gezwungen, gegen die Hagen Verwaltung GbR zu klagen, um das Befahren unseres Grundstückes zu unterlassen.“ Dass die Eigentümer des Nachbargrundstücks von Anfang an gesagt hätten, dass die Einfahrt einsturzgefährdet ist, bestätigt auch die Hagen Verwaltung GbR.
Ein Gutachten, das die Einsturzgefahr belegt, wäre ihnen aber nie vorgelegt worden. „Da die Eigentümer des Nachbargebäudes die Einfahrt immer selbst genutzt haben und ihre Hofstellplätze für Fahrzeuge vermietet haben, sind wir davon ausgegangen, dass der Zustand der Kellerdecke als Druckmittel genutzt wird“, so die Hagen Verwaltung GbR.
2017 startete ein Mediationsverfahren zwischen den beiden Parteien. Einigung versprach eine neue Einfahrt, die durch das Vorderhaus des Gewerbehofs gebaut werden sollte. „Vertrauend auf den vor Gericht beschlossenen Kompromiss mit der Hagen Verwaltung GbR, eine eigene Zufahrt auf dem Grundstück Hohenesch 66-68 errichten zu wollen, haben wir die Überfahrt während der dreijährigen Mediationsgespräche nicht gesperrt“, sagen die Eigentümer des Nachbargrundstücks.
Die Hagen Verwaltung GbR reichte einen Bauantrag ein. Anfang Februar dieses Jahres stimmte dann das Bezirksamt dem Vorhaben zwar zu, der Bauausschuss lehnte den Antrag jedoch einstimmig ab – weil die Bausubstanz alt und die Kosten für eine neue Einfahrt unkalkulierbar wären, so Jan Hempel. „Unser Anliegen war es, den Gewerbehof ökonomisch nicht zu gefährden“, betont auch Christian Trede von der Bezirksfraktion der Grünen, der im Bauausschuss sitzt.
Wenige Wochen nach diesem Beschluss tauchte dann der Poller in der Einfahrt auf – nach einer Ortsbesichtigung habe das Bauamt die Durchfahrt aufgrund der einsturzgefährdeten Kellerdecke gesperrt, sagen die Eigentümer der Hausnummern 70-72. „Dem Bauamt liegen dazu zwei statische Berechnungen vor, die belegen, dass die Hofkellerdecke bei Befahren mit Kraftfahrzeugen einsturzgefährdet ist.“ Die Mieter der Hagen Verwaltung GbR dürften die Durchfahrt weiterhin zu Fuß, mit Fahr- oder Motorrädern überqueren.
„Wir bemühen uns seit Jahren, eine tragfähige Lösung für die Gewerbemieter zu erreichen.“ Deshalb hätten sie im Zuge der Mediation auch zugesagt, die Kostendifferenz zu übernehmen, falls die Herstellung der neuen Tordurchfahrt 100.000 Euro übersteigen sollte. „Auch für eine Zwischenlösung bis zur Herstellung der Tordurchfahrt sind wir weiterhin offen.“
Laut Jan Hempel hätte die Hagen Verwaltung GbR angeboten, die Kellerdecke für die Pkw-Nutzung auf eigene Kosten zu sanieren, damit die Mieter die Einfahrt wenigstens bis zu einer Entscheidung im zivilrechtlichen Prozess nutzen könnten. Diesen Vorschlag hätten die Eigentümer des Nachbargrundstücks aber abgelehnt.
Erst einmal bleibt der Poller – ob die Mieter des Gewerbehofs die Einfahrt irgendwann wieder dauerhaft befahren dürfen, klärt sich im laufenden Rechtsstreit zwischen den beiden Parteien. „Aber das kann noch Jahre dauern“, sagt Jan Hempel. Ein Gewerbehof ohne Zufahrt könne sich so lange nicht halten, „die Sperrung bedroht jetzt unsere Existenz“. Das bestätigt auch Robin König, der auf dem Hof eine Gitarrenwerkstatt führt.
„Wenn die Einfahrt nicht frei wird, dann werden hier einige gehen müssen“, fürchtet er, „und bezahlbare Mieten in so einer Lage, wie sie die Hagen Verwaltung GbR anbietet, findet man kaum noch.“
Mit einer Petition wollen die Mieter des Gewerbehofs jetzt öffentliches Aufsehen auf den Konflikt lenken. „Wir kriegen unheimlich viel Zuspruch aus dem Viertel“, erzählt Jan Hempel. „Es schauen immer wieder Nachbarn vorbei und bieten ihre Unterstützung an.“ Um die laufenden Kosten für den Rechtsstreit zu decken, hätte die Hagen Verwaltung GbR auch die Miete etwas erhöht. „Es ist schon ungewöhnlich, dass wir einen Vermieter haben, der sich so für uns einsetzt“, so Hempel.
Denn die Hagen Verwaltung GbR hätte den Hof längst schon verkaufen können. „Deshalb ist es für uns auch selbstverständlich, ihr mit etwas mehr Mieteinkommen den Rücken zu stärken.“
Auch die Lokalpolitik, insbesondere die Abgeordneten aus dem Bauausschuss, versuchen inzwischen zu vermitteln, um so doch noch einen Kompromiss zu finden. „Wir kümmern uns seit Jahren darum, Gewerbeflächen wie auf dem Hof der Familie Hagen zu schützen“, betont der Grünen-Politiker Christian Trede. „Die Mischung aus Wohnen und Gewerbe in einem bunten Viertel wie Ottensen müssen wir unbedingt erhalten.“
„Wir lassen uns nicht alles gefallen“
Sven Hielscher, der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion in Altona und Vorsitzender des Bauausschusses, ist ähnlicher Meinung: „Kleine Gewerbe stehen durch den Bauboom in Hamburg natürlich unter Druck“, so Hielscher. „Sie sollen aber nicht aufgrund von teurem Wohnungsbau an den Stadtrand verdrängt werden.“
Egal, welcher Seite das Gericht letztendlich Recht geben wird: „Das Ziel ist völlig eindeutig, das Gewerbe im Hof zu schützen“, so Hielscher. Denn die Mieter seien im Streit zwischen den Eigentümern des Nachbargrundstücks und der Hagen Verwaltung GbR nur die Dritten im Spiel, die wenig Einfluss auf ihre Situation nehmen könnten.
Kommt keine Einigung zustande, würde der Bauausschuss auch in Betracht ziehen, dem Bauantrag für die neue Durchfahrt doch noch stattzugeben, so Hielscher. Eine Zufahrt muss in jedem Falle her: „Die Hagen Verwaltung GbR hat auch eine mietrechtliche Verpflichtung, einen Zugang zum Hof zu gewährleisten.“
Die Stimmung unter den Mietern des Gewerbehofs bleibt derweil angespannt, aufgeben wollen sie trotzdem nicht. „Durch diesen Konflikt sind wir noch enger zusammengewachsen“, fügt Jan Hempel hinzu. „Wir lassen uns nicht alles gefallen.“
Gewerbehof Hagen: Hohenesch 64-68 (Ottensen)
Dieser Text stammt aus SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Juni 2019. Das Magazin ist seit dem 25. Mai 2019 im Handel und zeitlos im Online Shop oder als ePaper erhältlich!