Wenn Rio Guenther (13) auf Kufen übers Eis flitzt, ist die Welt für ihn in Ordnung. Das große Nachwuchstalent liebt Eishockey – und seinen Verein. „Die Hamburg Sailors sind für mich ein zweites Zuhause. Sie sind wie eine zweite Familie. Auch meine Freunde spielen hier. Ich wäre sehr traurig, wenn es die Sailors nicht mehr geben würde“, sagt Rio. Mit seinem Verein wurde er in der U 13 und im vergangenen Jahr in der U 15 jeweils Norddeutscher Meister. Im niederländischen Tilburg gelang sogar ein internationaler Turniersieg. Klar, dass Rio Guenther gerne noch etwas bei den Sailors spielen möchte, bevor er seinen Traum („Ich habe zu 100 Prozent vor, Profi zu werden“) in die Tat umsetzen will. Doch das ist gar nicht so einfach. Die U 15 der Sailors hat sich fast aufgelöst. Die U 17 gibt es schon nicht mehr. Vollständig geblieben sind vier Teams von der U 7 bis zur U 13 plus das Landesligateam der Herren. Der wichtige direkte Unterbau der Herren erodiert aber.
Hamburg Sailors: Mangelnde Eiszeiten in Hamburg
Am Club selbst, der mit dem Slogan „Echtes Eishockey aus Hamburg“ für sich wirbt, liegt das nicht. Die Clubgeschichte weist viele Erfolge im Jugendbereich auf. Die Eingliederung der Hamburg Sailors in den von russischstämmigen Hamburgern gegründeten Molot Eishockey Club ging 2018 ebenso reibungslos über die Bühne wie die Zusammenführung beider Vereine unter dem Namen Hamburg Sailors mit Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Die Hamburg Sailors reagierten damals auf ihre Weise und finanzierten ukrainischen Flüchtlingskindern über Spenden ein Jahr kostenloses Eishockey. Die Probleme des Vereins liegen vielmehr an den mangelnden Eiszeiten in Hamburg. Für alle im Hamburger Eis- und Rollsportverband (HERV) organisierten Sportarten, zu denen mit Curling, Eishockey, Eiskunstlauf, Eisstockschießen und Eisschnelllauf fünf Stück gehören, die Trainingszeiten auf dem Eis erfordern, stehen aktuell in Hamburg gerade einmal zwei Eishallen zur Verfügung: eine in Farmsen und eine in Stellingen. Zu viele Clubs kämpfen also um zu wenig Eiszeiten. „Für alle unsere Teams haben wir insgesamt nur acht Trainingsstunden in der Woche“, sagt Rios Vater Daniel Guenther (42). Er engagiert sich bei den Sailors, seit sein Sohn Rio dort mit acht Jahren zum ersten Mal die Pucks mit dem Schläger ins Netz schoss. Erst war Daniel Guenther Kassenwart, dann zweiter, schließlich erster Vorsitzender. Letzteres fünf Jahre lang. Mittlerweile ist er Mannschaftsbetreuer und sitzt im Beirat der Sailors, setzt sich weiter für die Belange des Clubs ein.
Gestiegene Energiekosten sind besonders tragisch für den Verein
Ich habe zu 100 Prozent vor, Profi zu werden
Rio Guenther
Seit 2008 spielten die Sailors in der q.beyond Arena in Bahrenfeld am Altonaer Volkspark. Doch die Alexander Otto Sportstiftung konnte die Halle als Besitzer aufgrund der stark gestiegenen Energiekosten nicht mehr weiterbetreiben. Sie wurde im Frühjahr 2024 geschlossen und an den HSV verschenkt. „In der q.beyond Arena hatten wir genügend Eiszeiten. Sie war unsere Heimat und ihre Schließung hat uns allen im Herzen sehr wehgetan“, sagt Daniel Guenther. Die Teams der Sailors pendeln seitdem. Einige trainieren in Farmsen, einige in Stellingen. Oft hat man pro Team die Hälfte des Eises zur Verfügung, ab und zu auch nur ein Drittel. „Durch den beschränkten Platz ist es natürlich schwierig, taktische Dinge mit unseren Teams einzuüben. Wir können auch nur selten Spiele über das komplette Eis im Training spielen, da wir mit mehreren Jahrgängen gleichzeitig auf der Eisfläche trainieren“, erläutert Guenther. Dies wiederum ist für die Sailors besonders tragisch, da der Verein sich durch seine exzellente und leistungsorientierte Jugendarbeit immer wieder als wichtig für die Hamburger Eishockeylandschaft erweist. Reihenweise schaffen es junge Talente der Sailors, die auch auf fachlich kompetente Trainer großen Wert legen, in den Leistungsbereich. Der Kapitän der U 20 der Eisbären Berlin, Tom Fitschen, spielte bei den Sailors. Ex-Sailors-Spielerin Eva Sorokin wurde jüngst in die U-16-Nationalmannschaft berufen. Sailors-Jugendspieler Hannes Corleis spielt seit dieser Saison in Augsburg und in der Bayernauswahl. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.
Sprungbrett für die big player
„Es haben auch schon Spieler von uns im Herrenbereich den Weg in die höchste Deutsche Eishockey Liga geschafft. Darauf sind wir total stolz“, sagt Guenther. Doch die 100 Mitglieder starken Sailors, die es gewohnt sind, ihre Talente für die großen Nachwuchsleistungszentren im Süden Deutschlands auszubilden, wo Eishockey einen viel besseren Stand hat als in Hamburg, können ihrer Passion nur schwer weiter in dieser Qualität nachkommen, wenn sie nicht bald mehr Trainingszeiten bekommen. „Sollte die Eishalle in Stellingen durch den TÜV fallen und schließen müssen, wäre dies für alle Eissportarten in Hamburg existenzgefährdend. Auch für unseren Verein“, sagt Guenther. Eine Lösung des Dilemmas könnte eine neue Eishalle sein. Immerhin soll nun in Stellingen eine andere Rad- und Eishalle zusätzlich entstehen. Allerdings befinden sich die Pläne der Stadt Hamburg erst am Anfang. Was Guenther ärgert, ist der aus seiner Sicht mangelnde Wille der Stadt Hamburg und des HERV, sich für das Eishockey in Hamburg zu engagieren. Besonders die Worte von HERV-Präsidentin Irmelin Otten in einem „Abendblatt“-Artikel sind ihm sauer aufgestoßen.
Hamburg Sailors hofft auf erfolgreiche Zukunft für die Nachwuchsspieler
Es haben schon Spieler von uns den Weg in die höchste Deutsche Eishockey Liga geschafft. Darauf sind wir total stolz
Rio Guenther
„In Hamburg wird es unter den derzeitigen Bedingungen kein Profi-Eishockey geben. Das Aus der Hamburg Freezers in der Deutschen Eishockey-Liga war 2016 der Todesstoß. Es gibt nach Vorgaben des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zentralisierte Nachwuchsleistungszentren, in denen die Kinder im Rahmen ihrer Möglichkeiten trainieren können“, hatte Otten gesagt. Sie hatte zudem aber einen Zulauf von Kindern und Jugendlichen zugestanden, die „Lust haben, Eishockey oder Eiskunstlauf auszuprobieren“. „Ich halte das für äußerst problematisch“, erklärt Guenther. „Als HERV-Präsidentin bin ich für alle Sportarten verantwortlich. Wie kann ich zugestehen, dass Kinder und Jugendliche in Hamburg gerne Eishockey spielen wollen, ihnen aber sogleich den Wind aus den Segeln nehmen? Eishockey in Hamburg könnte eine gute Zukunft haben, wenn sich alle Beteiligten intensiv dafür einsetzen. Die 661-ste Dreifeld-Halle, die nun in der q.beyond Arena gebaut wird, wird uns aber ganz sicher nicht helfen.“ Vorerst bleibt aber nur Hoffen und Bangen für die Sailors. „Wir haben uns das Ziel gesetzt, dem Eishockey Nachwuchs in und um Hamburg eine erfolgreiche Zukunft zu ermöglichen“, steht auf der Website des Clubs. „Dazu stehen wir nach wie vor – und werden alles geben, um unseren Teil dazu beizutragen, Eishockey in Hamburg am Leben zu erhalten“, sagt Guenther.