2022 heißt es beim Hamburger Comedy Pokal anstatt „hingehen – lachen – Sieger machen“ – Corona sei Dank – schon wieder: „stoppen – schieben – später lachen“. Wie schon im letzten Jahr, muss der Pokal seinen Wettbewerb vom traditionellen Januar-Termin in den Sommer schieben. Grund ist die aktuelle Infektionslage.
Doch Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Der 20. Hamburger Comedy Pokal soll trotzdem im altbekannten Format – mit elf Spielstätten in ganz Hamburg und dem großen Finale im Schmidts Tivoli – vom 8. bis 11. Juli 2022 stattfinden. Ob alle nominierten Comedians dann auch mit dabei sind, steht aktuell noch nicht fest.
Wer aber sicher mit dabei ist, ist Sebastian Schnoy, Initiator des Pokals und Moderator der Shows im Schmidts Tivoli.
Jeden Abend gewinnen
SZENE HAMBURG: Sebastian Schnoy, warum gilt der Comedy Pokal als der härteste Kleinkunstwettbewerb?
Sebastian Schnoy: Weil er sich über vier Tage erstreckt, die Teilnehmenden müssen jeden Abend gewinnen. Man muss also dreimal gewinnen, bis man einen Pokal in der Hand hält. Schon am ersten Abend, wenn zehn gegen zehn in zehn Hamburger Kulturzentren auftreten, fliegen zehn raus, im Halbfinale scheiden weitere fünf aus. Aber auf diese 15 wartet die Second Chance Show am Sonntagabend im Schmidts Tivoli, vielleicht die aufregendste Show des Pokals. Wer es hier ganz nach vorne schafft, kommt doch noch ins Finale. Eine besondere Magie: Es hat sich die letzten Jahre gezeigt, wer am Anfang rausfliegt und in der Second Chance Show gewinnt, der schafft es im Finale meist unter die ersten drei oder gewinnt sogar noch den Pokal, was für eine Nervenanspannung!
Deutschlands größter Comedy-Wettbewerb
Was hat Sie vor zwanzig Jahren bewogen, den Comedy Pokal ins Leben zu rufen?
Am Anfang hatte ich eine ganz persönliche Motivation. Im Januar verbreitet sich oft Katerstimmung. Weihnachten, Silvester, die Leute haben viel gefeiert, waren oft aus, und nun ist man vernünftig und geht lieber joggen. Für mich hieß das immer, dass ich im Januar nur wenige Auftritte hatte. Also dachte ich mir: Ein großes wiederkehrendes Event wäre doch eine gute Strategie, den Januar aufzuwerten. Im Juli 2022 werde ich mit 52 Jahren den Hamburger Comedy Pokal moderieren, den ersten moderierte ich mit 32. Es ist erstaunlich, welche Bedeutung er gewonnen hat.
Der Pokal ist eine Veranstaltung von zehn Hamburger Kulturzentren in den Stadteilen von Barmbek bis Bergedorf. Gemeinsam machen sie Deutschlands größten Comedy-Wettbewerb, zu dem Leute von den größten deutschen Comedy-Agenturen anreisen, um zu gucken, welche neuen Sterne am Comedy-Himmel aufgehen. Was mir besonders wichtig ist: Die Hauptarbeit leisten Petra Niemeyer und Peter Rautenberg. Seit einigen Jahren ist ihr Verein Hamburger Comedy Pokal e.V., auch Veranstalter des Wettbewerbs.
Auch 2022 muss der Pokal wieder in den Sommer verlegt werden, nimmt das etwas von der Magie?
Wenn die Magie darin besteht, im Schneeregen nach Hause zu gehen, dann ja. Da der Pokal auch im Juli indoor stattfindet und auf genau denselben Bühnen, bleibt es wie im Winter. Ich freu mich drauf! Nach dem letzten Bier wird die Sonne über St. Pauli schon aufgegangen sein, das ist doch auch schön.
„Es geht allein um Witzigkeit“
Wie viele Pokal-Anwärter bewerben sich jedes Jahr?
Mehrere hundert.
Und welche Kriterien müssen die Bewerber erfüllen: Soll ein breites Spektrum gezeigt werden oder gilt nur Witzigkeit?
Es geht allein um Witzigkeit: Werden die Leute zum Lachen gebracht? Allerdings können Originalität, abgründige Themen, der eigene, möglichst besondere Blickwinkel auf die Welt, alles, was einen von anderen unterscheidet, entscheidend sein, um den Pokal einzusacken. Es gibt reichlich Stammpublikum beim Pokal, das schon viel Comedy gesehen hat. Eine Imitation der Stimmen von Grönemeyer oder Udo Lindenberg, Stand-up über Ikea, Männer und Frauen können beim Publikum Gähnen auslösen. Die Betonung liegt auf kann, denn es gibt kein Thema, das schon durch ist. Es geht nur um gute Gags. Es ist also möglich, dass im Januar jemand erfolgreich ist mit einer Nummer, wie Grönemeyer und Lindenberg bei Ikea aufeinandertreffen und mit ihren Frauen in Streit geraten.
Wer wählt die 20 Kandidaten aus?
Das macht eine Jury aus zehn Leuten, die die zehn Kulturzentren leiten, in denen die Hauptrunde stattfindet. Sie schauen sich in einer endlosen Sitzung Youtube-Bewerbungen, DVDs und früher auch VHS- Kassetten an.
Den Heimvorteil gibt es
2022 sind auch wieder Bewerber aus Hamburg dabei, gibt es so etwas wie einen Heimvorteil?
Für den Publikumspreis auf jeden Fall, wenn man es schafft, zweihundert Freunde ins Tivoli zu setzen. Das Publikum freut sich immer, wenn ein Hamburger Gesicht auftaucht, es freut sich aber auch, wenn Comedians ihr Set mit dem Satz „Ich komme aus Südtirol …“ beginnen. Schön als Hamburger ist natürlich, dass man breitesten Slang reden kann und alle einen verstehen.
Chris Tall, Sascha Grammel und Cindy aus Marzahn gehörten vor Jahren zu den Teilnehmenden, bekamen sie hier den entscheidenden Karriereschub?
Die drei wären auch ohne Comedy Pokal ihren Weg gegangen, allerdings haben sie beim Pokal etwas Wichtiges gezeigt: Dass ihr Programm auch auf einer längeren Strecke funktioniert, sie müssen echte Menschen fast eine Stunde vom Hocker reißen, Jung und Alt, Publikum aus reicheren und auch ärmeren Stadtteilen. Das ist etwas, was Youtube-Stars oder künstliche Agentur-Comedians, die in Kölner Labors fürs Fernsehen gezüchtet werden, oft nicht können.
„Ich bin Comedian, der sich mit politischen Themen beschäftigt“
Sie selbst machen intelligentes, politisches Kabarett, fehlt Ihnen dieser Aspekt nicht hin und wieder bei den Kandidaten und deren Beiträgen?
Danke, danke. In meinem Herzen bin ich ein Comedian, der sich mit politischen Themen beschäftigt. Ich mache keinen Unterschied zwischen Kabarett und Comedy. Üblicherweise sagt man, Comedians machen einfach nur Gags, und im Kabarett geht es darum, mit Humor auf Missstände hinzuweisen. Natürlich haben auch Comedians eine Haltung, es gehört zur Comedy-Tradition, dem Publikum zu sagen, wer man ist und woher man kommt. Auf Comedy-Bühnen geht es viel diverser zu als im Kabarett. Ehemalige Flüchtlinge machen erfolgreich Comedy, mit Wurzeln in den unterschiedlichsten Ländern.
Mit Osan Yaran gewann ein Mann den Pokal, der zuvor bei Lidl an der Kasse gearbeitet hat. Kabarettisten sind meist alte, weiße Männer, in Bayern sogar alte, dicke, weiße Männer. Sie schwa- dronieren über den Mindestlohn und das harte Leben der Pflegekräfte und fahren selbst immer 1. Klasse Bahn mit der Jahreskarte und sammeln heimlich Immobilien. Darüber hört man in ihren Nummern aber nichts. Da sind mir Comedians lieber, da sie – Achtung überstrapaziertes Wort – authentisch sind. Ich selber spiele meine Soloprogramme immer in Alma Hoppes Lustspielhaus in Hamburg, eine Bühne, auf der ich mich sehr zu Hause fühle.
„Es gibt noch viele unentdeckte Komikerinnen“
Sie sind Kabarettist, Autor von „Spiegel“-Bestsellern, Moderator, Redner – was fordert Sie am meisten?
Der Kick auf der Bühne, die unmittelbare Reaktion des Publikums sind die beste und gesündeste Droge, die es gibt. Nach einem Auftritt ist man immer total aufgedreht und fühlt sich großartig und ist deshalb übrigens auch einen gewissen Zeitraum vermindert schuldfähig. Wenn man also vom Hoteldach auf die Reeperbahn pinkelt, einen Fernseher aus dem Fenster schmeißt oder Ähnliches, und es stellt sich vor Gericht heraus, dass man kurz zuvor noch auf der Bühne bejubelt wurde, ist das hilfreich. Bücher schreiben ist das genaue Gegenteil, ich bin ganz allein mit meinen Texten. Bücher sind immer Mammutprojekte. In der heißen Phase bringe ich meine Kinder, um 20 Uhr ins Bett, schlafe dann bis 22 Uhr und mache eine Nachtschicht bis der Wecker klingelt und ich die Kinder wieder anziehe, bizarr.
2022 gehen sieben Frauen ins Rennen um den Comedy Pokal, ungewöhnlich viele. Dennoch sind Männer im Genre Comedy klar in der Überzahl, woher kommt das?
Ich denke, es gibt noch viele unentdeckte Komikerinnen, die sich vielleicht nicht trauen, es auf der Bühne zu probieren. Deshalb hier ein Aufruf: Wenn ihr eine Frau kennt, die immer wieder ihr Umfeld zum Lachen bringt, ermutigt sie, es auf der Bühne zu probieren. Wir vom Pokal beraten gerne, meldet euch. Und wer gut ist, setzt sich auf jeden Fall durch. Ich bin zum Beispiel Fan von Annalena Baerbock. Allein die Vorstellung, dass Deutschland den Russen drohen könnte, finde ich einen grandiosen Gag. Müssen wir nur noch einen Tornado finden, der auch fliegt.
Hamburger Comedy Pokal, 8. bis 11. Juli 2022; hamburgercomedypokal.de
SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Januar 2022. Das Magazin ist seit dem 22. Dezember 2021 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich!