Hamburger des Monats Tom Unrath: „Ertrinken passiert sehr leise“

Tom Unrath hat als ehrenamtlicher Fachdienstleiter bei der DRK Wasserwacht, Kreisverband Hamburg Altona und Mitte e. V., die Neustrukturierung der Wachstation am Allermöher See mitorganisiert. Ein Gespräch über versteckte Gefahren, merkwürdige Schwimmzeiten und coole Hobbys
(©Joshua Kehr)

SZENE HAMBURG: Herr Unrath, der Allermöher See wirkt recht ruhig. Wo lauern die Gefahren?

Tom Unrath: Wenn man sich den See anguckt, ist das ein normales stehendes Gewässer. Keine Zuflüsse, Abflüsse oder sonst irgendwas. Das Problem: Es ist ein Baggersee. Dadurch hat man ab einer Breite von drei Metern eine Abbruchkante, wo es zügig nach unten geht. Das ist eine der Hauptgefahren. Dazu kommt: Das Gewässer wirkt relativ klein, und gerade unerfahrene Schwimmer unterschätzen Länge und Breite. So wird der Weg zum Steg plötzlich deutlich weiter als angenommen. Und dann kann es dumm laufen. Das Risiko ist aber händelbar, wenn man gut schwimmen kann und sich richtig einschätzt. Und das ist das Hauptproblem: Die Leute überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten.

Tom Unrath ist der Hamburger des Monats (©Joshua Kehr)

Immer weniger Kinder lernen schwimmen.

Laut einer Studie der DLRG von 2022 ist das Schwimmzeichen Seepferdchen – die grundlegende Schwimmausbildung, mit der man sich unfallfrei über Wasser halten kann – folgendermaßen verteilt: Im Alter von sechs bis zehn Jahren 54 Prozent. Und ab zehn Jahren 67 Prozent. Das heißt, wir haben in dieser Altersgruppe 33 Prozent Kinder, die höchstwahrscheinlich nicht schwimmen können. Und bei Kindern unter zehn Jahren sogar 46 Prozent.

Woran liegt das?

Unter anderem am viel beschworenen Bädersterben. Der Betrieb eines Schwimmbads kostet eine Stadt unheimlich viel Geld. Und das ist nicht da. Auch die kleinen Kommunen haben kein Geld, um im Keller der Grundschule das teure Lehrschwimmbecken aufrechtzuerhalten. Es heißt dann: In der nächstgrößeren Stadt gibt es ja ein Schwimmbad. Das aber dann keine Kapazitäten mehr hat. Wenn Sie mal versuchen, in Hamburg Schwimmzeiten zu kriegen für Ihren Verein das ist nahezu unmöglich. Unsere eigenen Schwimmzeiten sind Mittwoch von 21 Uhr bis 22.30 Uhr. Sehr arbeitnehmerfreundlich, da hat jeder Zeit (lacht). Wenn keine Bäder verfügbar sind, tun sich die ganzen Wasserrettungsorganisationen mit ihren Schwimmausbildungen schwer. Wir sind einfach voll. Da reden wir von mehreren Monaten Wartezeit.

Gefahren erkennen

Spielt das Einkommen der Eltern eine Rolle?

Die DLRG hat eine Auswertung gemacht: Schwimmfähigkeit der Kinder nach Haushaltsnettoeinkommen: Bei einem Nettoeinkommen von 4000 Euro und mehr, also der allseits bekannten Oberschicht, haben wir auf einmal bei den sicheren Schwimmern 62 Prozent und bei den Nichtschwimmern nur noch 12 Prozent. Gehen wir auf die andere Seite der Skala, sind wir bei einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 2500 Euro bei 34 Prozent sicheren Schwimmern und bei 49 Prozent Nichtschwimmern. Das ist stark von Elternhaus geprägt. Ob eine Affinität da ist, ob Geld da ist. Schwimmbäder sind teuer. Eintrittspreise von über 7 Euro sind mittlerweile normal.

Wie erkenne ich, ob jemand Probleme im Wasser hat?

Häufig daran, dass der Kopf immer wieder untergeht. Oft hängen die Haare ins Gesicht, weil er keine Kraft mehr hat, sie wegzuwischen. Der schreit nicht, der wedelt nicht mit den Armen. Der versucht, sich irgendwie über Wasser zu halten. Die Bewegungen finden unter dem Wasser statt. Ertrinken passiert sehr leise. Einen klassischen Ertrinkungsunfall zu erkennen ist nicht einfach.

Einen klassischen Ertrinkungsunfall zu erkennen ist nicht einfach

Tom Unrath

Was sollte ich auf alle Fälle vermeiden, wenn ich einem Badenden in Not helfen will?

Geben Sie ihm nicht die Hand. Geben Sie ihm ihr T-Shirt, einen Stock oder auch einen Schuh. Aber nie die Hand. Es darf keine Verbindung da sein, die Sie nicht lösen können. Sie kommen nicht mehr weg. Der Ertrinkende ist in Panik, vollgepumpt mit Adrenalin, da ist der Körper nur noch im Überlebens- und Kampfmodus, und Sie sind für ihn nur ein Schwimmkörper. Der krallt sich an Ihnen fest, und dann ist Feierabend. Wir haben an den Badeseen wie Bergedorf Schilder mit Wasserrettungspunkten. Anrufen, die Nummer auf dem Schild nennen, dann kommt Hilfe von Feuerwehr, DLRG und so weiter mit dem nötigen Equipment.

Mit welchem Equipment arbeiten sie?

Wir haben am Allermöher See ein Rettungsboot mit Sonar. Damit können wir Personen suchen, die untergegangen sind. Wir haben ein Rettungsbrett dabei, das kann man sich vorstellen wie ein Surfbrett. Aber auch die klassische Baywatch-Boje, wie man sie aus dem Fernsehen kennt (lacht). Und modernes Material wie den Gurtretter oder die Rescue-Tube. Die können Sie sich vorstellen wie eine Poolnudel, nur etwas dicker. Die schieben Sie dem Patienten hin, damit er sie greift. Die wickelt sich wie von selbst um den Patienten, dann machen sie hinten den Clipverschluss zu und können ihn gemütlich aus dem Wasser rausschleppen.

Das Ehrenamt zwischen Sport und Rettung

Was ist Ihre Motivation, sich ehrenamtlich zu engagieren?

Eigenmotivation ist, dass ich Menschen helfen kann, wenn es irgendwo mal ganz schlecht läuft. Natürlich auch der Zusammenhalt in der Organisation. Und weil es einfach ein cooles Hobby ist. Wo können Sie noch in stark strömende Gewässer springen oder sich vom Hubschrauber abseilen? Oder mit einem 300-PS-Boot über die Ostsee fahren? Und dabei Menschenleben retten! Ich finde die Kombination aus sportlichem Aspekt und Rettungskomponente extrem spannend.

Sie bieten eine kostenlose Ausbildung für Ehrenamtliche an. Was müssen Freiwillige mitbringen?

Bei der Wasserwacht sind schon mal grundlegende Schwimmkenntnisse gut (lacht). Aber auch wenn Sie sagen, ich bin nicht der superkrasse Kraulschwimmer – das kriegen wir alles hin. Das Wichtigste ist: Man muss Bock darauf haben.

Welche Ausbildungen gibt es und wie lange dauern sie?

Es gibt die Basisausbildung: Die ist bei uns der Rettungsschwimmer Stufe Silber. Das sind 16 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten. Da kriegen wir die Leute innerhalb von ein bis zwei Wochen durch. Länger dauert die Sanitätsausbildung, also die grundlegend medizinische Ausbildung. Wir haben hier in Hamburg gesagt, dass auch für uns als Wasserwacht der Standard der Sanitätshelfer gilt. Da sind sie dann schon mal vier Wochenenden beschäftigt. Sie lernen erweiterte medizinische Hilfe, kriegen viel anatomisches Wissen mit, lernen, wie man Verbände richtig legt, wie man Menschen irgendwo raustransportiert. Jetzt sind Sie grundlegend einsatzbereit. Dann kommen wir und fragen die Helfer: Wo seht ihr euch? Es gibt dann welche, die haben Bock auf Schwimmen und auf „Ballern“, also auf körperliche Einsätze. Die sind richtig fit, und die schicken wir dann in Richtung Wasserretter. Das ist Teil des Katastrophenschutzes, und da lernen Sie zum Beispiel Schwimmen mit der persönlichen Schutzausrüstung. Wenn Sie dann sagen, super, ich hab Bock auf mehr, können Sie sich zum Fließwasserretter weiterqualifizieren. Da müssen Sie superfit sein. Ab dieser Ebene ist so richtig Material dabei.

Von Booten und Hubschraubern

Und wenn ich kein sportliches Interesse habe?

Dann bilden wir Sie zum Bootsführer aus, damit Sie sich über die Elbe oder in Nordsee und Ostsee bewegen können. Mit kleinen 15-PS-Motorbooten, wie wir sie am See haben bis hoch zu Schlauchbooten mit sieben Meter Länge, die hinten zwei 250-PS-Motoren dran haben. Damit knallen Sie dann mit 80 km/h über die Ostsee (lacht). Da haben Sie eine Bootscrew dabei und kommen in den Aspekt „Führung“ rein. Sie sind für die Leute verantwortlich.

Was kommt, wenn ich alle Ausbildungen durchlaufen habe?

Dann gibt’s noch weitere Spezialisierungsmöglichkeiten, aber da können wir nicht mehr viele Leute hinschicken. Das ist der Air Rescue Specialist: Hubschrauberbestimmte Wasserrettung, bei der man aus dem Hubschrauber springt, um Patienten zu retten oder zu evakuieren. Supercool, wenn man eine Affiniät dazu hat. Oder wir schicken Sie weiter Richtung Führung. Menschenführung ist als Teilaspekt immer mit drin, weil wir ja ganz oft auf uns gestellt sind bei den Einsätzen. Da werden Sie zum Gruppenführer oder Zugführer ausgebildet. Sie haben 5 bis 25 Leute unter sich und müssen Einsätze führen können.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 09/2023 erschienen.

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