Viele Shades of Grey in der Hamburger Kunsthalle

In der Galerie der Gegenwart kann man noch bis Ende des Monats das aufregende Aufeinandertreffen der Arbeiten von Vija Celmins und Gerhard Richter sehen
Vija Celmins: Two Stones, 1977/2014-16 (©Vija Celmins, Fotos: Ron Amstutz, Courtesy Matthew Marks Gallery)

Welche dieser vier Steine sind nicht echt? Gefleckt und pflaumengroß liegen sie in einer Glasvitrine und fordern das Sehen heraus. Doch so sehr man sich auch bemüht, ist es unmöglich zu erkennen, welches die zwei Steine sind, die Vija Celmins in Bronze gegossen und bemalt hat. Ende der 1970er-Jahre hat dieses Spiel mit Wirklichkeit und Fiktion die US-Künstlerin bekannt gemacht. Damals hat sie in Kalifornien gelebt, in Venice Beach direkt am Meer, hat in der Mojave-Wüste Gestein gesammelt und bei ihren Spaziergängen mit dem Hund den Ozean fotografiert und anschließend in feinen Bleistiftzeichnungen neu erfunden. Schon da fallen einem Gerhard Richters „Seestücke“ ein, die er Ende der Sechzigerjahre begann – und es ist enorm, welche Parallelen es zwischen den Werken der beiden gibt, die sich nie getroffen oder aufeinander bezogen haben.

Gerhard Richter und Vija Celmins erstmals in einer Schau

Gerhard Richter: Seestück (See-See), 1970 (©Gerhard Richter 2023 (12052023))

Die Kuratorin Brigitte Kölle macht sie in der erstaunlichen Ausstellung „Double Vision“ sichtbar. Und genauso erstaunlich ist es, dass es die Erste ist, die das Werk der beiden zusammenbringt. Gerhard Richter, 1932 in Dresden geboren und Vija Celmins 1938 in Riga, bevor sie als Kind mit ihren Eltern in die USA floh. Beide haben den Zweiten Weltkrieg miterlebt von dem Celmins sagt, dass sie noch viele Bilder und Geräusche von damals in sich trägt.

Beide haben später Militärflugzeuge gemalt. Celmins 1966 ein „German Plane“, grau in grau, das in den Himmel aufsteigt, Richter 1964 ein „Schärzler“, unscharf und als Zeitungsausschnitt. Während die Pop-Art für knallige Leinwände sorgte, haben sie die Wirklichkeit und ihre Darstellbarkeit erforscht, scheinbar Unscheinbares hervorgehoben, Objekte wie Stühle, Heizöfen, Kochplatten oder Lampen auf der Leinwand erkundet, Richter hat ein „Ungeschlagenes Blatt“ gemalt, Celmins mit dem „Pink Pearl Eraser“ ein rosafarbenes Radiergummi – vor allem aber herrschte ein stilles Grau in den verschiedensten Schattierungen vor.

Eine „Beziehung ohne Beziehung“

Von ihren künstlerischen Anfängen bis zu Arbeiten, die in den letzten Jahren entstanden, reicht sie Schau – und zeigt auch, wie Richter schließlich in die Abstraktion abbog, während Celmins es mitunter bis ins Weltall oder zu der Oberfläche ferner Planeten zieht, um zu zeigen, dass es hinter dem Erwartbaren immer noch einen ganz anderen Raum gibt.

Celmins musste von Brigitte Kölle erst zu dieser Schau überredet werden, zu groß und zu wichtig findet sie Richter. Und jetzt ist gerade die Documenta- und Biennalen-Teilnehmerin eine erneute Entdeckung in dieser „Beziehung ohne Beziehung“, wie sie das Verhältnis von Richter und ihr beschreibt.

„Vija Celmins/Gerhard Richter: Double Vision“, noch bis zum 27. August 2023 in der Hamburger Kunsthalle

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 08/2023 erschienen.

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