Szene Hamburg: Frau Bernhardt, um welche Tiere kümmert sich der Hamburger Tierschutzverein nicht?
Janet Bernhardt: Um Wale und Delfine (lacht). Sonst um alles, was so rumkreucht und -fleucht. Wir hatten beim Hamburger Tierschutzverein auch schon Löwenbabys, Straußenbabys, Affen, Raubkatzen.
Wir hatten viele Anfragen zu Corona-Zeiten
Janet Bernhardt
Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um ein Tier mitnehmen zu dürfen?
Die Haltungsgegebenheiten müssen perfekt auf das Tier abgestimmt sein. Wenn ich einen großen Hund will, darf es natürlich keine Zehn-Quadratmeter-Wohnung sein. Für Exoten brauche ich passende Aquarien oder Terrarien. Ich muss die Kosten sehr stark im Hinterkopf behalten. Nicht die Anschaffung ist das Problem, sondern die Unterhaltungskosten: Wasser, Strom, Futter und Tierarzt. Das darf man nicht unterschätzen.
„Uns bewegen viele Probleme, die die Stadt lösen könnte““
Auch die aktuellen Herausforderungen für Tierschutzvereine sind nicht zu unterschätzen: Inflation, Defizite, Sanierungsstau und Fachkräftemangel. Was sind Ihre größten Baustellen?
Wir haben zum Glück Rücklagen, aber auch viele Altlasten. Das Riesenproblem der Baumängel ist schon lange bekannt. Unser Tierheim ist auf einer ehemaligen Mülldeponie gebaut, der Boden arbeitet. Das macht Sanierungen teuer. Dann unser Vertrag mit der Freien und Hansestadt Hamburg: Wir nehmen Fundtiere und beschlagnahmte Tiere auf. 80 Prozent unserer Schützlinge sind Tiere der Stadt Hamburg. Dafür bekommen wir Geld. Dieser Vertrag ist seit Jahren nicht angepasst worden, die Kosten sind aber enorm gestiegen. Wir brauchen ein Budget von sechs Millionen Euro, um das Tierheim ein Jahr am Laufen zu halten. Von der Stadt kriegen wir zwei Millionen Euro – der Rest wird aus Spendengeldern oder Nachlässen finanziert. Dadurch machen wir jedes Jahr circa ein bis zwei Millionen Miese. So kann das natürlich nicht weitergehen. Wir brauchen schnell einen neuen Vertrag.
Viele schaffen sich Tiere aus optischen Gründen an, sehen aber nicht den Hintergrund dieser Rassen
Janet Bernhardt
Wie ist Hamburg in Sachen Tierschutz aufgestellt?
Uns bewegen viele Probleme, die die Stadt lösen könnte. Wir brauchen eine Katzenschutzverordnung wie in anderen Bundesländern. Diese regelt, dass frei laufende Katzen kastriert und gechippt sein müssen. Damit kann man herausfinden, wem die Tiere gehören. Leider laufen in Hamburg sehr viele Katzen unkastriert rum und vermehren sich. Wir haben eine geschätzte Zahl von 10.000 Straßenkatzen. Die Tiere können sich nur schlecht selbst versorgen, sind oft krank. Viel Leid, viel Elend, ein Riesenproblem. Das Gleiche gilt fürs Hundegesetz. Das ist vor über 20 Jahren gemacht worden. Damals aufgrund eines schweren Beißvorfalls, bei dem ein kleiner Junge ums Leben kam. Es wird an der Rasse festgemacht, wie gefährlich ein Hund ist. Die Hunde der Rasseliste sind aber nicht von Geburt an böse – sie werden vom Menschen dazu gemacht: durch falsche Erziehung, falsche Sozialisierung oder weil sie abgerichtet werden. An die Hundeverordnung traut sich die Politik nicht ran, weil sie Angst hat, zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn etwas passiert. Das kann ich verstehen, aber in der aktuellen Beißstatistik sieht man, dass mit allen in Hamburg vertretenen Rassen Unfälle passieren.
„Halter:innen sind nicht erst seit Corona überfordert“
Während Corona haben sich viele Menschen ein Tier angeschafft. Jetzt wollen sie es loswerden. Sind „Corona-Tiere“ auch ein Thema bei Ihnen?
Wir hatten viele Anfragen zu Corona-Zeiten. Wenn die Leute im Homeoffice waren, haben wir immer gefragt, was passiert, wenn sie wieder ins Büro müssen – und dann vielen auch abgeraten, sich ein Tier anzuschaffen. Leider ist aber auch der illegale Welpenhandel im Internet während Corona stark gestiegen – wodurch viele Leute dann doch noch zu einem Tier kamen.
Corona-Tiere wurden während der Lockdowns rund um die Uhr betreut, hatten nichts mit anderen Tieren zu tun, wenig Auslauf. Brauchen die spezielle Zuwendung?
Halter:innen sind nicht erst seit Corona überfordert. Viele schaffen sich Tiere aus optischen Gründen an, sehen aber nicht den Hintergrund dieser Rassen. Border Collie war eine Zeit lang eine totale Moderasse. Sie sind gezüchtet, um zu arbeiten, leben dann in einer Wohnung und werden dreimal am Tag um den Block geführt. Das ist für diese Tiere nicht ausreichend – und wenn sie nicht ausgelastet sind, machen sie Probleme. Viele Leute holen sich ihre Hunde über den Auslandstierschutz, was eine gute Sache ist. Aber: Viele Hunde haben auf der Straße gelebt und kennen keine Wohnung. Sie sind nicht sauber, weil sie das nie gelernt haben und sie wissen, wie sie an bestimmte Sachen rankommen, weil sie sich immer „durchbeißen“ mussten. Wenn die Halter:innen mit ihnen dann keine gute Hundeschule besuchen, gibt es immer mehr Problemhunde, die irgendwann im Tierheim landen.
„Sucht euch einen einfacheren Hund aus“
Kriegen die Tiere dann eine Art Psychotherapie?
Schwierige Hunde müssen einen Wesenstest machen. Es wird mit den Tieren gearbeitet und trainiert, irgendwann dürfen sie Gassi gehen, damit sie andere Menschen kennenlernen. Aber es ist halt sehr, sehr viel Arbeit, kostet sehr, sehr viel Geld und sehr, sehr viel Zeit. Und natürlich sind diese Hunde schwerer zu vermitteln. Sie können nicht jedem Anfänger einen Hund geben, der schwierig ist. Da müssen wir den Leuten sagen: Sucht euch einen einfacheren Hund aus. Dementsprechend bleiben diese Tiere länger im Tierheim.
Wie läuft ein Wesenstest ab?
Der Hundeführer spielt mit dem Hund verschiedene Situationen durch: Zum Beispiel geht jemand mit Krückstock, der eine Brille oder Hut vorbei und spricht den Hund oder den/die Hundeführer:in an. Wir haben einen Kinderwagen, in dem ein Rekorder das Geschrei von einem Baby abspielt. Das reizt Hunde schnell, da wird gern der Jagdtrieb ausgelöst. Oder mehrere Leute gehen aufeinander zu, tun so, als ob sie streiten. Oder jemand stolpert und fällt vor dem Hund hin. Da werden Situationen aus der belebten und der unbelebten Umwelt nachgestellt und man schaut: Wie reagiert der Hund drauf? Der darf sich freuen, erschrecken und Angst zeigen. Was er nicht zeigen darf, ist, dass er nach vorn geht und die Leute angreift. Besteht er den Wesenstest, ist er irgendwann frei zur Vermittlung. Wenn nicht, wird fleißig weitertrainiert.
Was läuft aktuell gut im Hamburger Tierschutzverein?
Schwierig. Ich bekomme immer nur die Katastrophen auf den Tisch. (lacht) Die Öffentlichkeitsarbeit läuft gut. Wir sind jetzt seit drei Jahren als Vorstand im Amt. Wir merken, dass die Presse sehr offen ist, dass wir immer mehr Interviewanfragen haben und dass positiv berichtet wird. Das ist ein großer Schritt, der uns auch hilft in Bezug auf Spenden. Wir haben mittlerweile wieder ein gutes Verhältnis zur Stadt. Wir haben tolle Mitarbeitende, suchen gleichwohl immer viele neue.
Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 07/2023 erschienen.