SZENE HAMBURG: Frau Kruse, warum nennen sich die Grünen Damen und Herren Grüne Damen und Herren?
Ursula Kruse: Die Frau des Außenministers Gerhard Schröder (nicht zu verwechseln mit dem Altkanzler; Anm. d. Red.) Brigitte Schröder hat in den 60er-Jahren zum ersten Mal die „Pink Ladies“ in den Vereinigten Staaten kennengelernt, die ihre Dienste am Patienten in Krankenhäusern anboten. Das hat ihr sehr imponiert. Frau Schröder hat dann überlegt: Welche Farbe könnte man nehmen? Auf der einen Seite eine, die sich abhebt vom Krankenhauspersonal. Auf der anderen Seite nicht so ein Brüller wie Pink im konservativen Deutschland der 60er. So kam sie auf dieses Mint- oder Seta-Grün. Dann hat sie 1969 eine Gruppe in Bonn gegründet.
Und wenn das Gespräch eine halbe Stunde dauert, dann dauert das so lange.
Ursula Kruse
Heute sind ungefähr 6000 Grüne Damen und Herren in Deutschland tätig. Wir waren vor Corona hier in der Asklepios-Klinik 25 Grüne Damen und Herren, jetzt sind wir ein erschütterndes Häufchen von neun Grünen Damen und Herren. Das ist kein Phänomen in St. Georg, sondern das ist allgemein. Viele Grüne Damen und Herren sind 80 geworden, und ab 80 schlägt der Dachverband der Evangelischen Kranken- und Alten-Hilfe e. V. (eKH e. V.), der die Grünen Damen und Herren angehören, vor, nicht mehr im Krankenhaus zu arbeiten. In einem Pflegeheim ist es auch nach 80 Jahren noch möglich.
„Ein Teil der Genesung führt auch über das Gespräch“
Was genau machen die Grünen Damen und Herren?
Wir haben die Zeit, die Ärzte, Ärztinnen und das Pflegepersonal nicht haben. Sagen wir es etwas überheblich: Ein Teil der Genesung führt auch über das Gespräch. Über das gesehen werden, über die Möglichkeit, seine Sorgen mitzuteilen. Ein Beispiel: Eine ältere Dame kam hier mit Blaulicht ins Krankenhaus. Ihre erste Frage war: „Wer kümmert sich denn jetzt um meinen Hansi?“ Hansi war natürlich ihr Vogel im Käfig. Wir haben ihren Nachbarn angerufen, der hat Hansi zu sich genommen samt Futter. Ich sage mal, wir sind für das Wohlgefühl der Patienten im Hause zuständig. Wir versuchen mit dem, was wir tun, die Patienten zu berühren, sie zu beruhigen, ihnen die Möglichkeit der Artikulation zu geben. Wir sagen nicht, wir nehmen ihnen die Angst. Das können wir nicht. Aber wir können zuhören. Und wenn das Gespräch eine halbe Stunde dauert, dann dauert das so lange.
Wie klappt die Zusammenarbeit zwischen Laien und Ärzten?
Als die Gruppe der Grünen Damen und Herren 2003 hier in St. Georg gegründet wurde – ich bin 2005 dazugekommen – da hatten wir natürlich mit einer gewissen Gegenwehr der Ärztinnen und Ärzte und des Pflegepersonals zu tun. Nehmen sie uns die jetzt Arbeit weg? Was machen sie mit den Patienten? Die Skepsis hat sich dann schnell gelegt, als alle mitbekommen haben, dass unsere Anwesenheit sich positiv auf die Patienten auswirkt. Ein Patient hat sich Roten Heringssalat gewünscht, ich habe ihm – nach Rücksprache mit dem Pflegepersonal – einen geholt. Ich wohne auf der Uhlenhorst, und da ist in Hohenfelde immer der Markt an der St. Gertrud-Kirche. Da gibt es einen wunderbaren Heringssalat. Leider hat das Pflegepersonal keine Zeit für solche Dienste.
„Wir sind engagierte Herzensmenschen“
Bekommen Sie es auch mit schwer erkrankten Menschen zu tun? Oder mit Menschen, die im Sterben liegen?
Grundsätzlich ja, aber wir sind ein Ehrenamt. Nicht jede Grüne Dame oder Grüner Herr kann mit einer solchen Situation umgehen. Es kommt oft vor, dass sich die Schwester oder der Arzt an eine Grüne Dame wendet und sagt: Zimmer 24 – der Patientin geht es nicht gut. Können Sie mit ihr sprechen? Die Verwandten kommen erst am Nachmittag. Aber wenn die Grüne Dame oder Herr sagt, sie kann es nicht, dann kann sie es nicht. Es genügt auch so, was wir sehen. Ich habe es so oft erlebt, dass ich eine Dame am Montag besucht habe und am Donnerstag lebte sie nicht mehr. Gespräche mit Todgeweihten nehmen einen sehr mit und jede Grüne Dame oder Grüner Herr muss das für sich selbst entscheiden. Wir sitzen jeden Mittag zusammen, um eben solche Fälle zu besprechen.
Sie klopfen an die Tür eines Patientenzimmers und Sie wissen nicht, was sich dahinter verbirgt.
Ursula Kruse
Teil Ihrer Leistung ist es, Gespräche mit Kranken zu führen. Ist es manchmal schwierig, das richtige Maß aus Mitgefühl und professioneller Distanz zu wahren?
Wir sind nicht professionell, sondern engagierte Herzensmenschen. Ich sage jeder Bewerberin und jedem Bewerber: Es ist ein Krankenhaus. Keine Schönheitsklinik. Zum Krankenhaus gehört auch der Tod. Zum Krankenhaus gehört, dass ein Krankenhaushelfer einen blutverschmierten Patienten aus der Notaufnahme an Ihnen vorbeischiebt. Es ist mitunter eine emotionale Zumutung, die ich abkönnen muss. Dafür gibt es die Einarbeitungszeit. Wenn jemand neu anfängt, geht die Dame oder der Herr mit jemandem, der schon lange dabei ist, mit. Um das ganze Prozedere mit den Patienten, den Ärzten zu erlernen. Nur zuzuhören, nichts zu sagen. Irgendwann geht die Grüne Dame/Herr dann alleine in die Zimmer, um festzustellen, wie sicher sie/er ist. Es ist immer das gleiche: Sie klopfen an die Tür eines Patientenzimmers und Sie wissen nicht, was sich dahinter verbirgt.
„Einmal Grüne Dame. Immer Grüne Dame“
Was treibt Sie an?
Dankbarkeit dem Leben gegenüber. Ich habe immer Glück gehabt im Leben. Ich sag das jetzt mal salopp. Mit meinen Eltern, mit meinem Berufsleben, als Rentnerin, ich komme zurecht, ich bin ein weitgehendst glücklicher Mensch mit den üblichen Einschlägen. Ja, es ist die Dankbarkeit, die mich antreibt.
Glauben Sie, dass die Erfahrung eines Ehrenamts auch in anderen Bereichen des Lebens hilft?
Einmal Grüne Dame. Immer Grüne Dame. Ich will jetzt nicht sagen, ich helfe jeder Oma über die Straße, das wäre zu simpel. Aber wir gucken vielleicht in Situationen anders drauf. Die Hilfsbereitschaft, die wir mit unserem Tun hier ausdrücken, endet ja nicht plötzlich, wenn wir nach Hause gehen. Wir sagen nicht: Das war‘s. Wenn man weiß, bei mir im Haus ist eine ältere Dame, dann klingelt man mal, wie geht’s Ihnen, ich geh jetzt einkaufen, soll ich ihnen was mitbringen. Ich sage mal: Ein Mehr an sozialer Kompetenz würde ich schon unterstellen. Sie müssen immer das Alter mitdenken. Wir sind ja keine jungen Leute.
„Ich sehe nicht ein, dass Leute in Kostümchen und Krawatte kaum eigenverantwortlich sind“
Was wäre Ihrer Meinung nach eine Maßnahme gegen den Pflegenotstand?
In Schleswig-Holstein gibt es ein Projekt, in dem man junge Menschen mit dem Krankenhauswesen vertraut macht. So wie ich zu meiner Frühzeit ein Helferjahr im Krankenhaus hatte. Meines Erachtens geht es nur darüber. Die Grünen Damen und Herren sind so eine Sache nach der Berufszeit. Wir sind Rentner. Einige sind Montag fertig mit dem Berufsleben und rufen mich Freitag an: Ich suche eine sinnhafte Tätigkeit. Die Leute kommen über Erzählungen oder eigene Erfahrungen zu uns.
Aber wie man den Pflegenotstand löst? Erstens über Interesse, das man mit Projekten bei jungen Menschen weckt. Solche Projekte laufen bereits durch den Dachverband der Evangelischen Kranken- und Alten-Hilfe e. V. (eKH e. V.). Zweitens über Bezahlung: Ich sehe nicht ein, dass Leute in Kostümchen und Krawatte, die nur Gelder verwalten, kaum eigenverantwortlich sind und jede Schwester, die vergisst, Fieber zu messen, sofort einen Anschiss kriegt. Die Unverhältnismäßigkeit des Aufgabenbereiches, die Unterbezahlung von Menschen in Pflegeberufen, Kindergärtnerinnen, Lehrer und Lehrerinnen – all das muss der Bevölkerung nähergebracht werden. Damit sie versteht, wenn die Leute auf die Straße gehen und sagen: Wir brauchen mehr Geld.
Noch einen Satz, den Sie abschließend gern sagen würden?
Vielleicht, dass wir immer interessierte Grünen Damen und Herren suchen. Menschen, die sich mit dem Thema befasst haben: Was mache ich nach dem Berufsende. Wenn sie unsicher sind, sollten sie mich einfach anrufen und ein Gespräch vereinbaren. Und mit diesem Gespräch ergibt sich das ja dann. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass wir wieder mehr und breiteres Interesse haben.