Club statt Couch? Die Hamburger Kultur vor der neuen Spielzeit

Im September startet die Hamburger Kultur in ihre neue Spielzeit. Kultursenator Dr. Carsten Brosda im Gespräch über eine städtische Kulturszene im Wandel, Sorgen und Möglichkeiten für die Zukunft
Hamburgs Kultursenator Dr. Carsten Brosda
Kultursenator Carsten Brosda will die Menschen wieder von der Couch in die Clubs bringen (©Hernandez für Behörde für Kultur und Medien)

SZENE HAMBURG: Aktuell scheint es für Sie und die Kulturbehörde gut zu laufen. Das Molotow ist gerettet, es gibt ein neues Zuhause für einen Teil der Sternbrücken-Clubs und jetzt gibt es auch mehr Geld für die Kultur in der Stadt. Warum gibt es gerade so viele Erfolgsmeldungen?

Dr. Carsten Brosda: Das sind wichtige Erfolge für Hamburgs Kultur, aber das hat die Kulturbehörde nicht allein erkämpft. Wir brauchen zum Beispiel die Finanzbehörde, die Bürgerschaft und viele weitere Aktive, die mithelfen, damit das funktioniert. Dass diese Dinge gelungen sind, hat damit zu tun, dass sich Hamburg insgesamt zunehmend bewusster wird, wie wichtig die Kultur für die Stadt ist. Das ist aber nichts, auf dem man sich ausruhen kann. Morgen können auch drei Sachen schiefgehen und wir werden gefragt: „Warum läuft’s gerade nicht?!“

Wie sind denn die Aussichten für 2025?

Wir wollen den eingeschlagenen Weg fortsetzen. 2025 steht in den Theatern wieder eine echte Zäsur an, wenn ein neuer Opernintendant, eine neue Thalia-Intendantin und ein neuer Generalmusikdirektor kommen. Und ein Thema, an dem wir richtig arbeiten müssen, ist die Frage, wie wir eigentlich das Clubleben in der Stadt sichern und dauerhaft gute Bedingungen schaffen. Da sehen wir, dass die Lage schwieriger wird.

Warum?

Viele Leute haben sich während Corona regelrecht abgewöhnt, regelmäßig in den Clubs vorbeizuschauen und sich überraschen zu lassen, wer da spielt. Dadurch entsteht ein Problem, denn die Einnahmen sinken. Gleichzeitig rennen die Kosten weg, weil unter anderem das Personal und Energie teurer geworden sind, und so funktionieren die bisherigen Geschäftsmodelle nicht mehr. Wir als Kulturbehörde überlegen uns jetzt, wie wir unterstützen können.

Und wie können Sie da eingreifen?

Wenn es Probleme gibt, ist die Kulturbehörde da und schaut, wie sie helfen kann. Unsere Fachreferentinnen und -referenten arbeiten eng mit den verschiedenen Szenen in Kunst und Kultur zusammen. Ein Ende muss auch in der Kultur nicht immer nur schlimm sein, sondern kann manchmal die Möglichkeit eröffnen, Dinge neu zu denken. Und im Moment einer Zäsur kann man ganz grundsätzliche Fragen stellen, wie gerade bei der Clubförderung, zum Beispiel: Wie organisieren wir eigentlich Nachwuchsförderung? Denn hier habe ich die Sorge, dass etwas verloren geht, weil es am Markt nicht mehr einfach so funktioniert wie bisher.

Clubkultur funktioniert eigentlich besser, wenn der Staat nicht regulierend dabei ist

Dr. Carsten Brosda

Die Kultur und der „Markt“

Sie sagen gerade, dass etwas „am Markt nicht funktioniert“. Wie sehr sollte man Kultur denn dem „Markt“ überlassen?

Das hängt von den Sparten ab. Wir haben auf der einen Seite staatliche Einrichtungen wie zum Beispiel die Staatstheater, die Museumsstiftungen oder die Elbphilharmonie, die wir institutionell fördern und so die Kulturproduktion ermöglichen. Und dann gibt es die andere Seite: Jemand macht einen Club auf, nimmt Eintritt und ist vollkommen unabhängig davon, was der Staat macht. Dazwischen gibt es alle Mischungsverhältnisse, die man sich vorstellen kann.

Unser Ziel ist es, Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Kultur möglichst frei entstehen kann. Nicht alle wollen den Staat als Finanzier mit dabeihaben. Clubkultur funktioniert eigentlich besser, wenn der Staat nicht regulierend dabei ist. Ich glaube nicht, dass wir neben Staatstheatern auch Staatsclubs brauchen. Wir sind aber aktuell an einem Punkt, an dem wir fragen müssen: Stimmt die alte Unterstellung noch, dass Clubs vollkommen ohne staatliche Förderung existieren können oder brauchen sie mehr Unterstützung? Ich glaube, je mehr Freiheit und je mehr Marktwirtschaftlichkeit man erhalten kann, desto besser ist das.

Mit dem Waagenbau und dem Molotow standen in 2024 zwei Clubs aus unterschiedlichen Gründen vor dem Aus. Hätte man da vorher eingreifen müssen?

Aus Sicht der Kulturbehörde sind die Fälle gar nicht so unterschiedlich: Mit der Deutschen Bahn und einem Immobilienentwickler haben externe Dritte entschieden, dass ein Club, der sich entwickelt hat, nicht mehr da bleiben kann. Dann muss man schauen, ob man andere Flächen schaffen kann, wie wir es auch getan haben. Oder – wie es die Bezirksversammlung Mitte gemacht hat – sagen: Wir wollen keine weiteren Hotels mehr an der Reeperbahn, und entsprechende Beschlüsse fassen. Neben Einflüssen von Dritten haben wir aber immer noch die Schwierigkeit, dass viele Clubs schlicht aufgrund der Veränderung am Markt und der Veränderungen des Nachfrageverhaltens ein wirtschaftliches Problem haben.

Was macht Ihnen da Sorge?

Menschen sind bereit, Unsummen für ein großes Event zu zahlen und sich beispielsweise Adele in München zu gönnen. Dafür gehen sie dann nicht mehr auf die vielen kleinen Konzerte, die beispielsweise 25 oder 50 Euro kosten und irgendwo in der Größenordnung zwischen Hafenklang und Sporthalle stattfinden. Da müssen wir ansetzen, damit die Nachfrage für die Events in den Clubs und in den kleineren Venues wieder steigt. Denn wenn uns das gelingt, kommen wir auch einem Trend zuvor, den wir in Großbritannien und den USA schon sehen: dass den großen Playern auch die Clubs gehören.

Wenn für Hamburg jemand mit einer Idee käme, dann würde man sich da sicherlich zusammensetzen 

Dr. Carsten Brosda

Ein kostenloses Festival für Hamburg?

Sie sprechen von einem Nachfrageproblem. Doch auch das Angebot richtet sich nach der Nachfrage. Viele holen sich ihren Musikgeschmack auf Festivals und in kleinen Clubs und verfolgen ihn dann weiter. Dann gibt es Festivals wie das Elbjazz, die sich in Richtung des Mainstreams bewegen. Da fehlt dann Raum für neue Musik. Andere Städte wie Salzburg machen mit Jazz&TheCity ein kostenloses Festival in der ganzen Stadt. Wäre das auch für Hamburg denkbar?

Salzburg ist eine Kommune, in der die Voraussetzungen in Bezug auf Kultur und besonders Kulturförderung ganz andere sind als in Hamburg. Über ein Projekt wie Jazz&TheCity kann man immer nachdenken. Wenn für Hamburg jemand mit einer Idee käme, dann würde man sich da sicherlich zusammensetzen.

Im September steht das Reeperbahn Festival an. Parallel dazu findet das Musik-Treffen-Hamburg statt, das seinen Fokus mehr auf lokale Acts legen will. Gibt es das Bestreben solche Initiativen zur Stärkung der lokal Musikszene weiter zu fördern?

Dass solche Initiativen prinzipiell von uns unterstützt werden können, steht außer Frage. Man muss aber schon sehr genau darauf achten, besonders wenn die Festivals parallel stattfinden, dass sie sich nicht kannibalisieren – auch wenn keiner die Absicht dazu hat.

Unsicherheit oder Langeweile in der Hamburger Kultur?

Förderungen und Projekte sind auch in der Kultur oft langfristig angelegt. Doch für Sie steht am 2. März 2025 erst mal eine Bürgerschaftswahl an. Wenn die SPD wieder den Senator für Kultur und Medien stellen darf, stünden sie weiter zur Verfügung?

Wenn die SPD das Ressort wieder besetzen kann und mich fragen sollte: Ich hätte nichts anderes vor (lacht). Lust und Ideen hätte ich auf jeden Fall.

Viele Leute haben sich während Corona regelrecht abgewöhnt, regelmäßig in den Clubs vorbeizuschauen und sich überraschen zu lassen, wer da spielt

Dr. Carsten Brosda

Gibt es denn auch über die Wahl hinaus Dinge, die besser laufen könnten?

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen sich daran erinnern, wie wichtig ihnen kulturelles Erleben im Alltag vor der Pandemie gewesen ist. Es ist schlichtweg ein Unterschied, ob ich mit 200 Leuten im Club stehe, oder ob ich zu Hause bei Netflix gefragt werde, ob ich die nächste Folge auch noch sehen möchte. Besonders bei den „Mittelalten“ haben sich einige entwöhnt. Ich wünsche mir Ideen, wie wir diese Entwöhnung umkehren können. Wenn das gelingt, wären viele andere Themen wie die Clubförderung nicht mehr so drängend, weil die Venues mit ihrem eigenen Programm auch wieder allein funktionieren würden.

Und ein weiterer Punkt: Uns muss es als Gesellschaft besser gelingen, auszuhalten, dass im kulturellen Kontext Sachen passieren können, von denen wir vorher nicht wissen, wie sie sein werden. Aktuell wollen wir oft die Sicherheit haben, dass alles gut wird. Damit wird es aber auch langweiliger und am Ende tun wir uns damit keinen Gefallen. Das gilt für die Gesamtgesellschaft, und hier kann auch die Hamburger Kultur zeigen, wie es geht.

Sie veröffentlichen in sozialen Medien immer wieder Songzitate. Welches Zitat würden Sie nach unserem Gespräch wählen?

Ich glaube, es wäre ein Satz von Bernd Begemann: „Jetzt dürfte klar sein, die Zuschauer sind nicht in Sicherheit.“

Theaternacht Hamburg am 14. September
Filmfest Hamburg vom 26. September bis 5. Oktober

Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 09/2024 erschienen. 

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