Bucerius Kunst Forum: Vom Sehen – und der Welt

Das Werk des legendären Fotografen Henri Cartier-Bresson ist ein umwerfender Streifzug durch die Geschichte
Ein Werk von Henri Cartier-Bresson
Henri Cartier-Bresson: Washington, USA, 1957 (© 2024 Fondation Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos)

Zu viel Fotografieren ist wie zu viel Trinken oder Essen. Das hat ausgerechnet einer gesagt, der jahrzehntelang der berühmteste Fotograf der Welt war: Henri Cartier-Bresson (1908–2004), Sproß einer Fabrikantenfamilie, der jedoch nicht daran dachte, als ältester Sohn irgendwann mal die Textilfabrik zu übernehmen. Er brach die Schule ab und studierte Kunst, bevor er 1931 eine Leica in die Hand nahm. Die erste Kleinbildkamera mit einem 35-mm-Film, die die Fotografie von den sperrigen Plattenkameras befreite und das Sehen revolutionierte. Plötzlich konnte der Blick fliegen, Momentaufnahmen entstanden, die, statt steifer Inszenierungen, plötzlich aus dem Alltag geschnitten waren und festhielten, was man zuvor nicht gesehen hatte. Und erst recht nicht so, wie Henri Cartier-Bresson es sah.

240 seiner Arbeiten, die von seinen Anfängen bis in die 1970er-Jahre reichen, sind jetzt im Bucerius Kunst Forum zu sehen. Aus über 10.000 Fotografien hat der Kurator Dr. Ulrich Pohlmann sie in der Cartier Bresson Foundation in Paris ausgewählt und gemeinsam mit der Direktorin Katrin Baumstark ist so die erste Retrospektive in Deutschland seit 20 Jahren entstanden.

Cartier-Bresson: „Watch! Watch! Watch!“

Und da Cartier-Bresson nicht nur ein begnadeter Fotograf war, sondern auch verdammt gut mit Worten umgehen konnte, ist sie nach seinem berühmten Anspruch „Watch! Watch! Watch!“ benannt. Um das Hinsehen ging es ihm, darum zu beobachten, durch die Welt zu flanieren und den Blick für das Besondere zu öffnen.

Dass er aus der Kunst kam und den Goldenen Schnitt beherrschte, ist dabei nicht zu übersehen. Ausschnitt, Bildaufbau und Licht sind perfekt. Und die Motive, die genauso einzigartig sind. Hielten seine Kollegen ihre Kamera auf die Ereignisse der Welt, interessierte ihn, was an den Rändern passierte. Und Bilder, die nicht einfach etwas zeigen, sondern in denen man lesen kann.

So wie bei der Krönung von King George VI. 1937 in London, wo die Zuschauenden angespannt in eine Richtung spähen, während vor ihnen ein Mann auf den Blättern der weggeworfenen Sonderausgaben ganz entspannt schläft. Das Befremdende des Berliner Mauerbaus fängt er 1962 mit drei Männern ein, die auf einem Stromkasten stehen und aufmerksam in den Osten hinüberschauen. Als er 1948 nach Indien reiste und Mahatma Gandhi einen Tag, nachdem er ihn fotografierte und auch ein Interview mit ihm führte, erschossen wurde, hielt er sein leeres Bett fest und wie einer von Gandhis Enkeln mit der Asche seines Großvaters spielt.

Cartier-Bresson, kein Geschichtenerzähler?

„Ich bin kein Geschichtenerzähler“, hat er immer wieder betont. Und brachte sie dennoch aus der ganzen Welt mit. 1948 beobachtete er in China die letzten Tage der Republik und reiste 1954 als erster westlicher Fotograf nach dem Zweiten Weltkrieg nach Russland. Das „Life Magazin“ zahlte ihm dafür die Rekordsumme von 40.000 Dollar und seine Bilder wurden weltweit ausgespielt. Einige Jahre zuvor hatte er die legendäre Fotoagentur Magnum mitbegründet, die sich für die Rechte der Fotografen einsetzte. Und in seiner Arbeit war er zu wenigen Kompromissen bereit. Die Auswahl der Bilder, die er bereitstellte war klein, aber umso präziser. Deshalb ist „Watch! Watch! Watch!“ auch ein wohltuender Gegenpol zur modernen Bilderflut. Statt Hunderttausende, die in jeden noch so uninteressanten Winkel des Alltags kriechen und von jeder Perspektive beleuchten, zeigt sie, was es bedeutet, sich auf den Augenblick zu konzentrieren und erst einmal zu schauen, bevor man abdrückt. Auch wenn die Ausstellung sich dabei etwas selbst widerspricht, da sie trotz der einzigartigen Fotografien etwas ausufernd ist.

Watch! Watch! Watch! mit Werken von Henri Cartier-Bresson im Bucerius Kunst Forum, bis 22. September 2024

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 08/2024 erschienen.

Abonniere unseren Newsletter!

Erhalte jeden Tag die besten Empfehlungen für deine Freizeit in Hamburg.

Unsere Datenschutzbestimmungen findest du hier.

#wasistlosinhamburg
für mehr Stories aus Hamburg folge uns auf