Der SV Eidelstedt will als erster Hamburger Verein seine Anlage barrierefrei gestalten
Text: Mirko Schneider
Diesen Termin wollte sich Altonas Bezirksamtsleiterin Dr. Stefanie von Berg, 57, nicht nehmen lassen. Am vorletzten August-Wochenende eröffnete die Politikerin der Grünen mit einem Aufschlag aus dem Rollstuhl den Inklusionstag des SV Eidelstedt im Rollstuhltennis auf der Anlage des TC Rolandsmühle in der Bernadottestraße in Othmarschen. 100 Teilnehmer lieferten sich danach auf den Plätzen spannende Spiele. Rollstuhlfahrer und Menschen wie von Berg, die nachempfinden wollten, wie sich Tennis im Rollstuhl anfühlt, trieben gemeinsam Sport. „Dieser Tag war ein Riesenerfolg für uns“, sagt Stephan Schlegel.
Der 60 Jahre alte Schlegel ist seit stolzen 34 Jahren Inklusionsbeauftragter des SV Eidelstedt. „Ich wurde schon Inklusionsbeauftragter, als es das Wort noch gar nicht gab“, sagt er verschmitzt. Schlegel hat maßgeblich dazu beigetragen, den großen SV Eidelstedt (7000 Mitglieder) mit über 35 Inklusionsangeboten zu einem der größten Inklusionssportvereine in ganz Hamburg zu formen. Im Gespräch ist er zuvorkommend, uneitel und strahlt einen ansteckenden, unerschütterlichen Optimismus aus.
Vielleicht auch, weil der damalige Inklusionstag im Rollstuhltennis der erste Booster für das neueste Projekt des SV Eidelstedt war: eine barrierefreie Tennisanlage für Rollstuhltennis an der Bernadottestraße in Othmarschen. Noch kein Verein in Hamburg nahm ein solches Projekt bislang in Angriff. Der SV Eidelstedt ist hier Pionier. Das liegt auch dran, dass Inklusion noch bis in die 90er-Jahre hinein nicht den heutigen guten Ruf besaß. „Als ich 1988 meine erste Integrationsgruppe aufgebaut habe, bin ich von vielen Seiten inklusive der Politik belächelt worden. Ich bekam häufig zu hören ,Wie soll das denn möglich sein? Behinderte können doch gar keinen Sport treiben‘.“
Das ehrenamtliche Engagement ist riesengroß
Die damalige Haltung in Hamburgs Sportvereinen hatte architektonisch ganz praktische Folgen. Weder der Zugang zu den Plätzen noch die Vereinsheime wurden barrierefrei gebaut. Letztere vielmehr oft so, dass man aus der Draufsicht die Plätze überblicken konnte. Da Menschen im Rollstuhl sowieso meist nicht ins Vereinsheim konnten, bestand auch keine Notwendigkeit, dort die WCs, die Umkleidekabinen und die Duschen barrierefrei zu gestalten. All diese Dinge – ein barrierefreier Zugang nicht nur zu den Plätzen, sondern auch zu Vereinsheim, WC, Umkleidekabinen und Duschen – haben sich der SV Eidelstedt und der im SV Eidelstedt ansässige TC Rolandsmühle nun vorgenommen. Kostenpunkt: 297.000 Euro. Von der Stadt Hamburg, der Aktion Mensch und kleineren Stiftungen existieren bereits Zusagen. „Circa 50 Prozent des Projektes sind durchfinanziert“, sagt Schlegel. „Nun sind wir fleißig dabei, die anderen 50 Prozent einzuwerben.“
Da der SV Eidelstedt unter Corona litt wie alle anderen Vereine, kann er nämlich nicht einfach Vereinsmittel einbringen. Dafür ist das ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder riesengroß. Schon beim Inklusionstag wurde eine Dixie-Toilette nahe des Platzes installiert, Sportrollstühle wurden gestellt und die Rollstuhlfahrer über Hindernisse hinweggehoben. Nun arbeiten sowohl die Statikerin als auch die Architektin unentgeltlich. Die Malerarbeiten wollen Vereinsmitglieder selbst übernehmen, ebenso das Freiräumen von Hindernissen wie Steinplatten, die durch neue Installationen ersetzt werden sollen. „Wir können wirklich stolz auf unsere Mitglieder sein. Es gab nach dem Inklusionstag unheimlich viele positive Rückmeldungen. Viele hier betrachten dieses Projekt auch als einen gesellschaftspolitischen Auftrag“, sagt Schlegel.
„Reden reicht nicht“
Dies wiederum wurde bereits mit einem Preis gewürdigt, welcher den zweiten Booster nach dem Inklusionstag darstellte. Ende Oktober gewann der SV Eidelstedt mit seinem Projekt den mit 4000 Euro dotierten Silbernen Stern des Sports. Verliehen wird der vom Deutschen Olympischen Sportbund und der Raiffeisenbank. Besonderes ehrenamtliches Engagement soll auf diese Weise ausgezeichnet werden. Zusätzlich hat sich Eidelstedt durch den Sieg für das Bundesfinale in Berlin im Januar qualifiziert. Holt der SVE dort beim von den Veranstaltern so betitelten „Oscar des Breitensports“ Gold, sind weitere 10.000 Euro drin.
Einer, der dem SV Eidelstedt die Daumen drückt und sich seit Monaten aktiv in das Projekt einbringt, ist Markus Wasmund. Der 43-Jährige lebt in Friedeburg, nur 27 Kilometer von Wilhelmshaven entfernt. Trotzdem ist Hamburg durch das Projekt des SVE für ihn mittlerweile ein Sehnsuchtsort.
„Es reden viele Leute über Integration“, sagt Wasmund. „Aber reden reicht nicht. Man muss auch was tun. Und in Eidelstedt wird nicht nur geredet, sondern gehandelt.“ Wasmunds Leben und das seiner Frau änderte sich auf tragische Weise im Jahr 2016. Ein 40 Tonner fuhr dem Ehepaar Wasmund in den Wagen. Seine Frau kann noch laufen, kämpft seitdem aber mit massiven körperlichen Problemen. Wasmund trug eine inkomplette Querschnittslähmung davon. Er ist seitdem auf den Rollstuhl angewiesen. Wasmund ist Westfale und pflegt die klare Sprache des Ruhrpotts. „Die ersten zwei Jahre nach dem Umfall waren einfach nur scheiße“, sagt er. „Ich musste mich wiederfinden und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.“
Hoher organisatorischer Aufwand
Die Wende kam bei einem Besuch der RehaCare in Düsseldorf, der weltgrößten Fachmesse für Rehabilitation und Pflege. Wasmunds Stimme nimmt eine warme Färbung an, wenn er darüber spricht. „Auf der RehaCare wurde an einem Stand Rollstuhltennis vorgestellt. Da habe ich mir gesagt ,Du hast immer gerne Tennis gespielt. Das machst du jetzt.‘“ Neue Regeln musste Wasmund dafür bis auf eine Ausnahme nicht lernen. Beim Rollstuhltennis darf der Ball zweimal im Feld aufticken, sonst ist alles gleich.
Angetrieben von seiner sportlichen Leidenschaft fand Wasmund ins Leben zurück. Mittlerweile ist er in die Leistungsklasse gewechselt, besucht Lehrgänge und nimmt an internationalen Turnieren teil. Dies alles verbunden mit hohem organisatorischen Aufwand und oft – zumindest bei vielen Plätzen in Deutschland – großer Enttäuschung über die mangelnde Barrierefreiheit. Verbunden mit dem ständigen Angewiesensein auf Hilfe. „Seit ich im Rollstuhl sitze, sehe ich das Leben völlig anders. Es geht ja nicht nur um Stufen. Jede Schotterpiste kann meinen Rollstuhl zum Stehen bringen. Ist eine Straße etwas abschüssig, bereitet mir das Probleme. Das Schlimmste finde ich aber, wenn Leute auf mich herabsehen. Denn auch ich möchte dazu gehören. Wenn ich so etwas spüre, sage ich immer ,Mensch, ich kann genauso spielen wie ihr. Ich möchte einfach nur Spaß am Tennis haben.‘“
„Es ist viel Arbeit, aber wir werden das alle gemeinsam packen“
Deshalb fiebert Wasmund, wie einige andere der insgesamt gut 1200 Rollstuhltennisspieler in Deutschland auf die Realisierung der barrierefreien Tennisanlage beim SV Eidelstedt hin. Und er engagiert sich dafür, ist fest in die Planungen eingebunden. „Ich bin Mitglied im Deutschen Rollstuhlverband. Dort hörte ich von dem Projekt und war sofort Feuer und Flamme dafür“, so Wasmund. „Ich finde es auch megagut, wie wir Rollstuhlfahrer beim SV Eidelstedt behandelt werden. Ich habe da noch nie einen blöden Spruch gehört. Ich werde einfach akzeptiert. Das Projekt wird gelingen. Und dann werde ich da so häufig spielen, wie ich kann.“
Dass das Projekt gelingt, davon ist auch Stephan Schlegel, der Wasmund als „tollen Menschen und unentbehrlichen Helfer für uns“ beschreibt, überzeugt. „Ich bin seit 34 Jahren Inklusionsbeauftragter des SV Eidelstedt und habe alle Projekte zum Erfolg führen können“, sagt Schlegel. „Es ist viel Arbeit, aber wir werden das alle gemeinsam packen.“ Aktuell spricht Schlegel weitere Stiftungen an. Mit allen möglichen Beteiligten aus der Politik und dem Verein befindet er sich in ständigem Austausch. Geht alles gut, soll die barrierefreie Tennisanlage des SV Eidelstedt Anfang 2023 zum Spielen einladen. Vielleicht macht ja dann Markus Wasmund den ersten Aufschlag.
Inklusionssport beim SV Eidelstedt
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