SZENE HAMBURG: Cristina, was bedeutet Mastika Sounds?
Dahinter steht keine lange Recherche einer Namensgebung. Ich kam aus dem Urlaub in Griechenland, hab mich in eine Bar gesetzt und den Mastika-Likör entdeckt. Ich verwende Mastika in meiner Alltagsprache, wenn ich nach einem Kaugummi frage. Dass Mastika im bulgarischen, mazedonischen und türkischen Raum ein Likör ist, habe ich erst hinterher rausgefunden. In dem Moment in der Bar hatte ich die Sehnsucht, zu sagen: Wo ist die Musik, die zu diesem Gefühl gerade passt, zu dem Begriff und dem Likör, den ich gerade trinke? Ich erkannte: Es muss ein Raum her für Menschen, die einen Teil ihrer Identität in der Musik sehen und sich empowern möchten.
Nicht nur wie ich in der griechischen, sondern auch in anderen Formen der Weltmusik. So wie es einst das Café Aman in Eppendorf war, wo meine Freundin Anastasia Panagiotidis diesen Raum für Essen, Genres wie Rembetiko oder Entexna und Weltmusik erschuf. Die Kombination zwischen Café Aman aus der Vergangenheit und der Gegenwart, in der ich lebe – solche Räume fehlten mir. Ein Raum, wo wir die Stücke hören, mit denen ich groß geworden sind, die mich geprägt haben. Ein generationsübergreifender Zugang für alle. So wurde es zu Mastika Sounds.
Mastika Sounds: Austausch, Vernetzung und Empowerment
Wer steckt hinter der Mastika-Crew?
Wir sind zehn Leute plus Gast-DJs. DJ Max Stark legt türkische, orientalische und griechische Musik auf. Sega Lee legt Turkish Vinyl auf. Die Fesche Lola legt griechisch, türkisch und Balkan Beats auf, Tutku Kaplan türkisch, kurdisch und Arabesque. Die Crew besteht nicht nur aus DJs: Cengiz Ünlü, Oktay Demir, Daniel Arendt, Frank John und Anastasia Panagiotidis stehen für Mastika. Es geht um Austausch, Vernetzung, Empowerment, die durch und mit Musik entstehen. DJ Beats per Mistress aus der Queer-Community legt griechische Musik auf. Meinen Schwerpunkt setzte ich auf die Laïki Musik, die in den 50ern, 60ern, 70ern aufblühte. Gerne auch Griechisch Disco und Pop, vielleicht auch mal Musik aus der Region Epirus, mit der ich in meiner Familienkultur groß geworden bin. Außer in griechischen Restaurants in Deutschland habe ich diese Musik nirgendwo sonst gehört (lacht). Deshalb lege ich sie auf.
Es muss ein Raum her für Menschen, die einen Teil ihrer Identität in der Musik sehen und sich empowern möchten
Cristina Fotiou
Politische Haltung durch Musik
Hast du zuvor schon aufgelegt?
Mit Max Stark und Morris Kaya von der Muräne Bar in der Wohlwillstraße habe ich die ersten Mastikas im Herbst 2022 eröffnet. Morris Kaya war die erste Person, die mir den Raum gegeben hat, das Mastika-Gefühl zu spielen. Er hat mir den technischen Bereich beigebracht: Man braucht einen DJ-Controller, Mut und Rhythmus. Anfangs habe ich selbst gebrannte CDs aufgelegt, heute besitze ich sogar Platten. Ich fing an, mich an die Musik meiner Großeltern zu erinnern – und von meinem Vater, der seit tausend Jahren Musikstücke aufschreibt. (lacht) Er entdeckt griechische Lieder auf Youtube, notiert sie mit seinem Kugelschreiber auf ein leeres weißes Blatt Papier und brennt sie anschließend auf CDs. Da werden die Autofahrten nie langweilig.
Anastasia Panagiotidis, die meine Mentorin ist, brachte mir an langen Abenden die Unterschiede der griechischen Genres bei. Die Kombination der Lieder aus meiner Familienkultur, der Austausch mit meinen Freunden, die gebrannten CDs meines Vaters die kreieren genau das Mastika-Gefühl, das in öffentlichen Räumen nie zu hören war. Wenn ich auflege, gibt es Momente der Leidenschaft. Dann zerschlagen wir Teller: als Ausdruck von Freude, Liebe, weil ich dich feiere. Diese Momente kannst du nicht planen. Plötzlich stehst du auf, gehst in die Mitte, tanzt und zerschlägst Teller. Tellerzerschlagen ist auch Loslassen. Etwas kaputtmachen bedeutet, auch Neues schaffen. Das Tellerzerschlagen drückt verschiedene Emotionen aus. Eigentlich brauchen wir einen Mastika-Workshop, wo wir genau lernen, wie man Teller zerschlägt und welche geeignet sind (lacht).
Ich wohne nicht, ich lebe in der Hafenstraße
Cristina Fotiou
Sind die Lieder von Mastika Sounds politisch?
Die Musik transportiert unsere politische Haltung. Ich persönlich lege Lieder von Künstlern, die der goldenen Morgenröte angehören, nicht auf. Wir tauschen uns in der Crew aus, welche Inhalte und Texte aus welcher Zeit von welchen Künstlerinnen aufgelegt werden. Menschen, die wissen, welche Geschichten hinter den Liedern stecken, erkennen, was wir repräsentieren.
Bei Mastika Sounds gleichgesinnte finden
Wer ist willkommen, wer nicht?
In Hamburg gibt es eine Türsteher:innen-Kultur, die ihre Selektion rassistisch ausübt und somit Menschen keinen Zugang verschafft, Teil des Nachtlebens zu sein. Deshalb stehe ich dazu, wenn ich auflege, dass Zugänge geschaffen und nicht abgeschafft werden. Natürlich gibt es No-Gos: rechtes Gedankengut, alle Formen von Gewalt durch Sprache und Körper. Eine Person hat mal zu mir gesagt: Es ist so schön. Meistens begegnen wir uns nur auf Demos oder politischen Veranstaltungen. Hier können wir durchtanzen, uns empowern, ohne dass wir das ausdiskutieren müssen. Und ohne die Frage gestellt zu bekommen: Wo kommst du eigentlich her?
Du legst im Buttclub in der Hafenstraße in einem ehemals besetzten Haus auf. Wie kam es zu der Location?
Ich wohne seit ungefähr neun Monaten hier in der Hafenstraße. Frank John, ein guter Freund, der seit 40 Jahren in der Hafenstraße lebt und Anastasia Panagiotidis haben mir das Angebot gemacht, in den Räumen des Buttclub aufzulegen. Der Buttclub ist ein Verein für Nachbar:innen und Mieter:innen, der 2000 ins Leben gerufen wurde. Es sind selbst organisierte Räume, die für mich wertvoll sind. Durch diese Form habe ich verstanden, wie wenig Zugänge der Selbstorganisationen es in Hamburg gibt, um mit Bekannten und Freund:innen aufzulegen, sich frei zu fühlen und sich zu vernetzen. Ich wohne nicht, ich lebe in der Hafenstraße.
Mastika Sounds: Berührungspunkte schaffen
St. Pauli ist zum Gefahrengebiet erklärt worden. Rassistische Kontrollen sind ein großes Thema. Wie sind deine Erfahrungen?
Ich habe die Polizei in kommerziellen Räumen wie Reeperbahn, Sternschanze, Altona immer freundlich erlebt. Aber sobald sich die Straße ändert, wird das Verhalten grenzüberschreitend, gewalttätig und rassistisch. Als ich meinen Geburtstag gefeiert habe, wurde ein Gast und guter Freund verhaftet. Der Grund war, dass er zu den Polizisten sagte, dass sie mit ihrem Einsatzfahrzeug die Feuerwehreinfahrt blockieren würden. Die Polizei kam einfach in den Buttclub und hat ihn festgenommen. Wir sind alle zur Davidwache gegangen, die Reaktion der Polizei: Pfefferspray und Knüppel! Die Hafenstraße ist kein gefährlicher Ort. Sie wird es nur durch die Polizeigewalt. Es ist wichtig, hier aufzulegen, um Berührungspunkte für Menschen zu schaffen, die ausschließlich auf die Medien vertrauen. Die Menschen, die als gefährlich betitelt werden, die haben Bock zu arbeiten, sind genauso Teil der Hafenstraße wie ich, nur dass sie nicht freiwillig hier sind. Wenn sie keine Arbeitserlaubnis haben, können wir nur ehrenamtliche Kunst- und Kulturprojekte ermöglichen. Ein soziales Netzwerk aufzubauen ist wichtig und Isolationen und Exklusion gefährlich.
Wer ist noch im Buttclub vertreten?
Im Buttclub ist neben der Mastika-Crew Asmara’s World tätig, eine Migrantenselbstorganisation mit dem Schwerpunkt Flucht und Migration. Copwatch Hamburg ist eine Initiative für ein Ende rassistischer Polizeigewalt und Kriminalisierung. Copwatch passt auf, ob Festnahmen stattfinden, damit Polizeigewalt nicht unsichtbar bleibt. Wir und der Verein unterstützen uns gegenseitig, damit diese Räume weiter allen offen stehen. Ein Raum, welcher erkämpft wurde, wo meine Freunde tanzen, generationsübergreifend, an einem Ort der als gefährlich gilt, der für mich nicht gefährlich ist – das alles ist für mich Mastika.
Am 12. Juli 2024 gibt es die nächste Mastika-Sound-Party im Buttclub auf St. Pauli.
Dieses Interview ist zuerst in SZENE HAMBURG 07/2024 erschienen.