Interview: Moritz Bleibtreu über sein Regiedebüt „Cortex“

Moritz Bleibtreu (Foto: Filmfest Hamburg / Martin Kunze)

Moritz Bleibtreu feierte mit „Cortex“ auf dem Filmfest Hamburg Premiere. Der Schauspielstar schrieb das Drehbuch, führte Regie, produzierte den Film und spielte die Hauptrolle. Mit SZENE HAMBURG traf er sich vorab zum Gespräch und sprach über seine Erfahrung als Regisseur, seine Vorbilder und den Reiz komplexer Erzählungen

Interview: Marco Arellano Gomes

Mit einem dunklen Mercedes scheint Moritz Bleibtreu zum Interviewtermin. Er steigt aus, geht ein paar Schritte Richtung Lokal, fragt seine Agentin, ob sie ihm eine Flasche Wasser, einen Cappuccino mit Zucker und einen Aschenbecher organisieren könne und schwingt sich auf eine hohe Holzbank. Treffpunkt ist das vor Kurzem wiedereröffnete Restaurant „Farina Meets Mehl“ in Ottensen. Auf dem diesjährigen Hamburger Filmfest feiert Bleibtreus Film „Cortex“ Premiere. Er wirkt entspannt, ist bei bester Laune. Als er die aktuelle SZENE HAMBURG auf dem Tisch liegen sieht, erzählt er, dass seine Mutter (Theaterschauspielerin Monica Bleibtreu, Anm. d. Red.) in den 1980er Jahren das Blatt regelmäßig gelesen habe.

SZENE HAMBURG: Moritz, dein neuer Film „Cortex“ feiert dieses Jahr auf dem Filmfest Hamburg Premiere. Wie würdest du dich als Regisseur beschreiben?

Moritz Bleibtreu: Meine Erfahrung ist, dass ich als Regisseur vor allem Motivator bin. Wenn du im Team Leute hast, die gut sind, dann tragen alle von sich aus viel zu dem Film bei und bringen sich ein. Das ist ja das Tolle!
Es gibt im Grunde zwei Arten von Regisseuren: Die, die gerne abgeben und die, die das nicht tun. Ich gehöre definitiv zu denen, die gerne abgeben.

Gab es Regisseure, mit denen du gearbeitet hast, von denen du sehr inspiriert warst? Von denen du sagen würdest: „Von ihm habe ich viel über das Filmemachen gelernt?“

Letztendlich habe ich von jedem Regisseur, mit dem ich gearbeitet habe, auch etwas gelernt. Aber besonders hängen geblieben ist mir die Arbeit mit Steven Spielberg am Film „München“.

Was war an der Arbeit mit Spielberg so besonders?

Er ist die absolute Champions League und die Art Regisseur, in deren Tradition ich mich gerne sehen würde, ohne mich mit ihm vergleichen zu wollen. Damals habe ich Spielberg gefragt: „Kannst du mir jungem Schauspieler etwas mit auf den Weg geben? Und was machst du anders? Was macht dich so erfolgreich?“ Und dann sagte er: „Moritz, I don’t do anything. All I do is, I hire the best people in the world and I tell them how great they are“ („Moritz, ich tue nichts. Ich engagiere nur die besten Leute der Welt und sage ihnen, wie toll sie sind“). Er lässt die Leute am Set einfach ihren Job machen und vertraut ihnen. Spielberg ist eigentlich ein unterschätzter Regisseur, künstlerisch betrachtet.

Hat dich nicht auch Fatih Akin stark geprägt? Immerhin habt ihr vier Filme miteinander gedreht.

Klar, auf jeden Fall. Wir haben uns gegenseitig geprägt. Er würde wahrscheinlich das Gleiche sagen. Es gibt, ehrlich gesagt, kaum einen Regisseur, von dem ich nichts gelernt habe. Jeder hatte seine Stärken. Fatih hat zum Beispiel diesen absoluten Willen zur Wahrhaftigkeit – und wenn er sich dafür prügeln muss. Helmut Dietl hingegen will es genau so, wie er es sagt. Und wenn da ein Bindestrich steht, dann muss man den auch wirklich mitnehmen. Tom Tykwer wiederum ist ein wandelndes Filmlexikon. Der weiß alles über Film.

Als du das Drehbuch zu „Cortex“ geschrieben hast, hattest du da schon die Darsteller vor Augen?

Leider nicht. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich mich selbst besetzen musste. Ich habe keinen mehr gefunden, der Zeit hatte und den ich wirklich gewollt hätte. Ich habe den großen Fehler gemacht, das Drehbuch nicht auf Schauspieler hin zu schreiben. Ich hatte mir gedacht: Ich schreibe diese Geschichte und dann schauen wir mal. Das würde ich so nicht noch mal machen.

Drehbuch, Regie, Hauptrolle, Produzent: Hattest du irgendwann die Befürchtung, dass du dir etwas zu viel zugemutet hast?

Ja, hatte ich. Ich habe sie auf eine Art noch immer – zumindest, was die Außenwirkung betrifft. Es war nicht so, dass ich gesagt hätte: „So, jetzt mache ich das alles hier für mich. Und alle anderen: Bitte zur Seite!“ So wirkt das nun wahrscheinlich, aber das Gegenteil war der Fall. Ich wollte mich nicht besetzen. Es war bloß niemand zur Verfügung, der mich wirklich begeisterte. Also dachte ich mir, bevor ich jemanden besetze, bei dem ich mir nicht sicher bin oder der sich in der Situation nicht wohlfühlt, nehme ich es lieber auf meine eigenen Schultern.

Bist du mit dem Ergebnis zufrieden?

Der Regisseur ist jedenfalls der Meinung, dass der Bleibtreu das ganz gut gemacht hat (lacht).

Konntest du als Regisseur die eigenen Szenen überhaupt aus der Außenperspektive betrachten?

Ich habe in solchen Momenten komplett an Thomas Kiennast, den Kameramann, abgegeben und gesagt: „Wenn ich spiele, dann führst du Regie.“ Ich habe dann auch voll auf ihn gehört und nichts hinterfragt.

„„Cortex“ hat keinen größeren Anspruch, als ein kleiner, verrückter Debütfilm zu sein“

Du bist ein sehr erfahrener Schauspieler. Hast du das Gefühl, als Regisseur deshalb ein besseres Händchen für die Darsteller zu haben?

Ich glaube schon, dass es für einen Regisseur von Vorteil ist, wenn er selber das Schauspiel kennt, weil er dann besser weiß, wo sich ein Schauspieler gerade befindet, wie sich eine bestimmte Nervosität äußert und wie der Schauspieler sich in bestimmten Momenten fühlt.

Bist du dann strenger oder gnädiger?

Auf jeden Fall gnädiger.

Die Erwartungshaltung ist hoch, wenn Filmstars bei einem Film das Drehbuch und die Regie übernehmen. Wie hast du dich darauf vorbereitet?

Ich denke, ich habe genügend Filme gemacht, um zumindest eine Vorstellung davon zu haben, was für eine Art Regisseur ich sein möchte. Der Rest ist Lernen. Ich mache das immerhin auch zum ersten Mal. „Cortex“ hat keinen größeren Anspruch, als ein kleiner, verrückter Debütfilm zu sein. Ich habe versucht, mich völlig frei zu machen von übertriebenen Erwartungen. Ich habe einfach das gemacht, was ich schon lange machen wollte – und zwar möglichst kompromisslos. Ich denke, das ist mir auch ganz gut gelungen.

Du machst in der Tat einen zufriedenen Eindruck. Viele Regisseure hadern ja mit ihren Filmen bis zur letzten Minute, da die Filme oftmals nicht so sind, wie ursprünglich gedacht.

Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit gemacht.

Mittlerweile?

Es ist ein Prozess, zu verstehen, dass das, was man sich in seinem stillen Kämmerchen ausdenkt, nie das sein wird, was am Ende auf der Leinwand zu sehen ist. Filmemachen ist Teamarbeit. Du hast da mindestens 30 bis 40 Leute, die wichtig sind für alles, was passiert. Die große Kunst ist es, auch mal loszulassen und im richtigen Moment zu sagen: „Ich lass das jetzt und guck mir was Neues an.“ Nichts läuft durchgehend so, wie geplant.

Das Schreiben ist das Wichtigste

Beunruhigt es dich nicht, wenn nichts wie geplant läuft?

Ich kann mir schwer vorstellen, einen Film zu machen, von dem ich sage: „Ey, was für ein Brett.“ Dafür bin ich viel zu zweifelnd und zu selbstkritisch. Ich sehe immer erst mal Fehler, und erst langsam schleichen sich Gedanken ein, dass ich es vielleicht so schlecht gar nicht gemacht habe.

Was war denn deine wichtigste Erkenntnis bei der Produktion von „Cortex“?

Was ich mitgenommen habe, ist, dass das Schreiben das eigentlich Wichtige ist. Das ist etwas, das mein Leben garantiert verändert und was ich auch weitermachen will.

Wie kamst du überhaupt auf das Thema?

Schwer zu sagen. Ich weiß es ehrlich gesagt gar nicht. Ich habe irgendwann mal im Witz gesagt: „Weißt du, was man mal machen müsste? Einen ernsten Body-Switch-Film. Einen, der nicht lustig ist, auch nicht halblustig, wie bei ,Im Körper des Feindes‘ (,Face/Off ‘), sondern wirklich ernst. Das hat sich irgendwann in meinem Kopf festgesetzt.“ Ich habe immer aus Spaß gesagt: „Ich habe das erste Body- Switch-Drama der Welt gemacht.“
Na ja, möglicherweise ist mir ein Koreaner zuvorgekommen, aber im Westen bin ich, soweit ich weiß, der Erste.

Also hat dich vor allem die Filmgeschichte inspiriert?

Filmemachen ist nun mal ein sehr großer Teil meines Lebens. Künstlerisch betrachtet, spiegelt die Schauspielerei das Leben von jedem wider. Ich werde dafür bezahlt, viel Zeit meines Lebens nicht ich selbst zu sein, sondern anderen etwas vorzuspielen und gleichzeitig mich in dieser Figur zu suchen und zu finden. Das ist eine Parabel für das Leben an sich: Jeder sucht sich selbst. Im besten Fall findet man sich ganz, eventuell ein bisschen oder eben gar nicht. Dabei muss man ab und zu auch loslassen können. Du kannst nichts Neues machen, ohne etwas loszulassen. Du kannst nichts finden, ohne etwas wegzuwerfen.

Hattest du je das Gefühl, in eine Rolle so einzutauchen, dass du dich selbst darin verloren hast und nicht mehr wusstest, wo die Rolle anfängt und der Darsteller Moritz Bleibtreu aufhört?

Nein, weil dieses Suchen, dieses mich in einer Figur finden, nie Formen angenommen hat, die mich selbst kirre gemacht hätten. Es gibt aber Regisseure, die sehr fordernd sind. Und ich habe Filme gemacht, bei denen ich physisch an einen Punkt gekommen bin, wo es nicht mehr ging. Davon ausgehend kann auch persönlicher Kram in Mitleidenschaft gezogen werden. Aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die
sich in einer Figur verlieren. Ich habe auch schon erlebt, dass ich von einem Filmset ging und sagen musste: „Ich habe den Charakter wirklich nicht gefunden.“

Bei welcher Figur war das der Fall?

Das sagt man der Presse natürlich nicht. (lacht)

Du hast als Schauspieler oft komplexe, fordernde Rollen gewählt, statt dich dem Mainstream zu verschreiben. Ist das dein Prinzip?

Mir macht kompliziertes Zeug im Allgemeinen einfach Spaß, ohne dass ich den Mainstream verurteile. Es gibt viele Mainstream-Filme, die ich sehr gelungen finde. Ich habe irgendwann einfach großes Interesse an komplexen Thematiken, Geschichten sowie komplexer Literatur und Musik entwickelt. Ich mag Sachen, die nicht auf den ersten Blick gefallen, sondern bei denen man etwas tun muss, um sich diese zu erschließen. Du siehst, liest oder hörst es nochmal und noch mal und noch mal – und beim fünften oder zehnten Mal merkst du: „Ach, das wollte der Typ! Jetzt habe ich das verstanden. Wie geil ist das denn?!“

Zurück zu deinem Film „Cortex“: Der spielt ja in großen Teilen in Hamburg. Hast du besonders gern hier in deiner Heimatstadt gedreht?

Ja, klar. Das war toll. Nicht nur wegen der schönen Kulissen, die diese Stadt bietet, sondern auch, weil ich mich darüber freute, schnell zu Hause zu sein (lacht). Der letzte Film, den ich in Hamburg gedreht habe, war „Soul Kitchen“! In Hamburg wird leider viel zu wenig Kino gemacht.

Seht hier den Trailer zu „Cortex“:

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Es gibt Pläne, mehr High-End-Serien in Hamburg zu produzieren. Es gab eine lebhafte Debatte um eine alte, nicht mehr genutzte Posthalle, in der unter anderem eine Serie von Fatih Akin gedreht werden könnte. Braucht Hamburg ein solches Studio?

Alles, was den Filmstandort Hamburg attraktiver macht, ist definitiv zu begrüßen. Ohne staatliche Subventionen würden wir hier in Deutschland nicht einen einzigen Film machen. Deswegen können wir der Subvention und der Öffentlich-Rechtlichen nicht genug danken. Mich ärgert bloß, dass dieses System so stark ländergebunden ist. Das ist nicht immer hilfreich, vor allem, wenn mehrere Länder subventionieren und man gezwungen ist, in jedem der beteiligten Länder zu drehen. Die Franzosen haben ihre Förderung zentralisiert. Das würde auch hier viel Geld einsparen und dieses ständige Hin- und Herfahren verringern.

Heutzutage können es sich wenige erlauben, komplexe Filme zu machen. Oft scheitert es an der Finanzierung. „Cortex“ ist so gesehen ein mutiges Projekt. Wie würdest du den Film in aller Kürze zusammenfassen?

Ein Mann träumt von einem anderen Mann, bis er zu ihm wird. Der eine versucht, sein Leben zurückzubekommen, der andere versucht, das neue Leben zu behalten. Es ist eigentlich ganz einfach.

Wie, glaubst du, wird das Publikum den Film aufnehmen?

Natürlich hoffe ich, dass ihn viele Leute sehen – aber ich weiß auch, in was für einer Krise das Kino momentan steckt. Viele meiner persönlichen Lieblingsfilme waren im Kino nicht allzu erfolgreich, teilweise sind diese aber im Nachhinein zu Kultfilmen avanciert. Es wäre toll, wenn „Cortex“ dazu führt, dass die Leute sagen: „Lass mal gucken, was der Bleibtreu noch so macht.“


Cover_SZ1020 SZENE HAMBURG Stadtmagazin, Oktober 2020. Das Magazin ist seit dem 27. September 2020 im Handel und auch im Online Shop oder als ePaper erhältlich! 

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