„Oberaffengeil“ im Schmidt Theater: „Magic is never done by one“

Martin Lingnau und Heiko Wohlgemuth sind die Musicalmacher des Schmidt Theater. In ihrer neuen Revue „Oberaffengeil“ zu einem wilden Trip durch die 1980er- und 1990er-Jahre ein – ein Gespräch über Musik, Nostalgie und Tschernobyl
Leggins, Ballonseide, Kreppfrisur: In den Achtziger- und Neunzigerjahren fand man das „Oberaffengeil“ (©Morris Mac Matzen)

SZENE HAMBURG: Heiko, Martin, wie viele Musicals habt ihr schon gemeinsam geschrieben? „Die Königs vom Kiez“, „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär“, „Der kleine Störtebeker“ …

Heiko Wohlgemuth: „Der Schuh des Manitu“ …

Martin Lingnau: „Heiße Ecke“ …

Wohlgemuth: Ich muss jedes Mal zählen. Aber über 20 sind es bestimmt.

Mit „Oberaffengeil“ knöpft ihr euch jetzt die 1980er- und 1990er-Jahre vor. Wie kam die Idee zustande?

Martin: Der Zeitgeist ruft danach, und wir führen damit die Tradition der Revuen am Schmidt Theater fort. Eine der ersten großen Hausproduktionen, die ich mitverantwortet habe, war 1994 „Fifty Fifty“. Damit haben wir das Genre der Theater-Revue für uns entdeckt und auch ein bisschen neu erfunden.

Heiko: Mit „Fifty Fifty“, „Sixty Sixty“ und „Karamba!“ haben wir allerdings nur jeweils ein Jahrzehnt abgebildet. In „Oberaffengeil“ sind es zwei. Das alles in einen Abend zu packen, ist eine Herausforderung, denn in den 1980er- und 1990er-Jahren ist unglaublich viel passiert – politisch, umweltmäßig und kulturgeschichtlich.

Inwieweit entspricht eure Revue dem Zeitgeist?

Martin: Man muss sich doch nur angucken, wie viele Vokuhilas es inzwischen wieder gibt. Und in der Popmusik gibt es so viele Anleihen an die 1980er- und 1990er-Jahre, dass man beim Hören teilweise denkt: Das ist doch jetzt ein Oldie.

Heiko: Mein Sohn trug vor einem Jahr auch eine Vokuhila-Frisur, hat sich die Haare aber wieder kürzer geschnitten, weil er nicht aussehen wollte wie all die anderen. Weiße Tennissocken bis unters Knie sind auch wieder modern, obwohl das schon Ende der 1990er-Jahre als extrem unsexy galt.

„Das ist eine sehr originelle Art und Weise, mit Theater umzugehen“

Martin Lingnau

„Oberaffengeil“ ist keine Imitationsshow

Reisen in ihre eigene Jugendzeit: Autor Heiko Wohlgemuth (l.) und Komponist Martin Lingnau (©Morris Mac Matzen)

Wie habt ihr den Stoff zusammengetragen? Durch eigene Erinnerung oder Recherche?

Martin: Sowohl als auch. Erst mal haben wir die eigenen Lieblingssongs, -filme und -szenen und was wir selbst damit verbinden, zusammengetragen. Dazu kam die Recherche: Was hat die Zeit ausgemacht, was vielleicht persönlich an Heiko und mir vorbeigelaufen ist? All das haben wir zu einem wilden Trip in Erinnerungen, einem szenisch-musikalischen Mash-up aus Songs, Videoclips, Filmzitaten, Werbung und Game Shows verarbeitet.

Heiko: Wir wollen diese beiden Jahrzehnte nostalgisch feiern, uns also nicht darüber lustig machen oder irgendwelche Oldies singen. Martin legt zum Beispiel mehrere Lieder übereinander oder lässt Lucilectric gegen die Fantastischen Vier antreten, wobei man plötzlich merkt, wie toll deren Songs zusammenpassen.

Martin, hast du für die Revue auch neue Stücke komponiert?

Martin: Nur den Titelsong „Oberaffengeil“, der die Show rahmen wird. Es gibt so viele gute Lieder aus dieser Zeit, dass wir viele davon gar nicht mit aufnehmen konnten. Es bestand also kein Bedarf, noch viel dazu zu komponieren.

Heiko: Trotzdem machen wir keine Imitationsshow. Schließlich haben wir so megatolle Sängerinnen und Sänger auf der Bühne, denen man nicht sagen möchte: Du musst jetzt Michael Jackson, Tina Turner oder Whitney Houston kopieren. Die sollen sich austoben können.

Martin: Deshalb machen wir unsere eigenen Versionen der Songs.

Eine gemeinsame Idee

Bei welchen Dingen in eurer Stoffsammlung habt ihr sofort gesagt: Das müssen wir unbedingt mit reinnehmen?

Martin: Die Foto-Love-Story aus der „Bravo“. Die ist mit ihrer Aneinanderreihung von Fotos mit Sprechblasen natürlich absolut nicht theatral. Lange vor Probenbeginn haben wir uns in einem Workshop überlegt, wie eine solche „Bravo“-Lovestory live aussehen könnte. Die hat es jetzt auch in unsere Show geschafft – eine sehr originelle Art und Weise, mit Theater umzugehen und zum Brüllen komisch.

Heiko: Das wichtigste, richtungsweisende Video aus der Zeit, weil es in der Vermischung von Grafik und Video so neuartig war, ist „Take On Me“ von a-ha. Auch das haben wir auf die Bühne übertragen, obwohl es zunächst unmöglich schien.

Wenn die Bombe fällt, treffen wir uns am Stromi

Heiko Wohlgemuth

Das klingt, als hättet ihr schon beim Entwickeln von Text und Musik eng mit Regisseurin Carolin Spieß zusammengearbeitet.

Martin: Ja, und auch mit unserem Videodesigner Veit Schäfermeier, dem Kostümbildner Dirk Zilken und dem Choreografen Bart de Clercq. Magic is never done by one – je mehr Menschen die gleiche Idee verfolgen, umso besser wird das Resultat. Deswegen ist es gut, alle Leute früh ins Boot zu holen, damit alle sich die gleichen Gedanken machen, eine gemeinsame Sprache finden und am Ende alles zusammenpasst.

Wie sieht eure Aufgabenverteilung aus? Du schreibst die Musik, Heiko den Sprechtext und in der Regel auch die Songtexte …

Heiko: Weil wir diesmal aber kaum neue Songs brauchten, hat Martin auch sehr entscheidend am Buch gearbeitet.

Martin: Und Heiko hat dafür musikalische Medley-Vorschläge gemacht. Nach so vielen gemeinsamen Produktionen arbeiten wir inzwischen im Pingpong-Verfahren.

Heiko: Oft fragt man uns, was zuerst da ist: der Text oder die Musik. Da gibt es bei uns keine feste Regel. Am besten sind wir für mein Empfinden aber, wenn wir im gleichen Raum arbeiten, was wir diesmal auch öfter getan haben. Ich hoffe, dass wir das in Zukunft beibehalten können.

„Die nukleare Bedrohung hat mich sehr beschäftigt“

Gibt es in „Oberaffengeil“ eine Handlung?

Martin: Nein, nur einzelne Themenblöcke. Da stellten sich uns die Fragen: Wie erzählen wir Kalter Krieg? Wie erzählen wir Umweltbewegung? Wie erzählen wir Mauerfall? Wie erzählen wir Werbung? Da waren lange Diskussionen und Feldforschung vonnöten, denn die einzelnen Blöcke sollten in ihrer Form immer überraschen.

Was war für euch persönlich in den 1980er- und 1990er-Jahren richtig gut, sodass ihr sagen würdet: Schade, dass es das nicht mehr gibt! Und was ging eurer Meinung nach gar nicht?

Martin: Richtig klasse finde ich aus heutiger Sicht, dass es damals noch keine Handys gab. Ich weiß, wie frei ich mich als Kind gefühlt habe. Ich musste um 18 Uhr zu Hause sein, aber wenn ich dann um drei rausgegangen bin, konnte mich auch drei Stunden keiner erreichen, und meine Eltern haben sich auch keine Sorgen gemacht. Ich war mit meinen Gedanken wirklich im Hier und Jetzt. Andererseits hatte ich sehr viel Angst wegen des Kalten Kriegs. Die nukleare Bedrohung hat mich sehr beschäftigt.

Heiko: Tschernobyl. Ich erinnere, dass ich nicht raus durfte auf den Spielplatz. Und ich erinnere auch den Satz „Wenn die Bombe fällt, treffen wir uns am Stromi“. Für den Fall, dass der Krieg ausbricht, wollten wir uns alle noch mal zusammen an unserem Stromkasten treffen. Positiv erinnere ich „Gorbi“ und Glasnost und die Öffnung Russlands. Mein prägendstes Erlebnis aus der Zeit waren aber die zwei Klassenfahrten nach Ost-Berlin, einmal vor und einmal nach der Wende. Der Umstieg am Bahnhof Friedrichstraße mit Zwangsumtausch, Gesichtskontrolle und diese Menschenmassen … Beim zweiten Mal, im Jahr 1990, stand ich dort völlig allein. Die Republik war noch nicht aufgelöst, die Kabinen am Grenzübergang standen alle offen. In einer stand noch ein Vopo und nickt nur rüber in den Osten. Da bin in Tränen ausgebrochen und habe begriffen, was passiert ist.

„Oberaffengeil“ im Schmidt Theater, 27.6. (Uraufführung), 28.–30.6., 3.–7., 9.–14., 16.–21., 23.–28., 30., 31.7. und weitere Termine

Dieser Kommentar ist zuerst in SZENE HAMBURG 07/2024 erschienen.

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