„Es gibt nichts Reduzierteres als etwas aufzuschieben“

Jan Müllerund Rasmus Engler Foto_ Hans Scherhaufer
Wissen, wovon sie schreiben: Jan Müller (links) und Rasmus Engler (Foto: Hans Scherhaufer)

Seit über 20 Jahren sind sowohl Rasmus Engler als auch Jan Müller eng verwoben mit der Hamburger Musikszene. Nun haben die beiden Freunde ihren ersten gemeinsamen Roman „Vorglühen“ veröffentlicht, der – standesgemäß – in der Hamburger Musik­szene spielt. Und zwar im Jahr 1994

Interview: Daniel Schieferdecker

SZENE HAMBURG: Jan und Rasmus, wo und wie habt ihr euch kennengelernt?

Jan: 1998 war das. In einer Bar namens Snoopys Eck in Hamburg-Bahrenfeld. Dort spielte die Indieband Graf Zahl, Freunde von Rasmus. Organisiert war der Gig damals übrigens von unserem gemeinsamen Freund Thees Uhlmann. Ich bin nach einem Konzert der Rolling Stones da hin, da lag die Party aber bereits in den letzten Wehen. Von da aus startete dann aber noch eine sehr ausgiebige Tour durchs Hamburger Nachtleben – der Beginn einer bis heute andauernden Freundschaft.

Ihr habt auch mal zusammengewohnt, oder?

Jan: Ja, in einer WG in der Thalstraße 24; eine Adresse, die auch in „Vorglühen“ eine gewisse Rolle spielt.
Rasmus: Rein zufällig natürlich.

War das auch die Zeit, in der ihr angefangen habt, gemeinsam Musik zu machen?

Jan: Ja. 2001 kam die erste Single von Das Bierbeben.

„Wir wollten das Buch aber auf jeden Fall in der Vergangenheit ansiedeln, vor der Verbreitung von Mobiltelefonen und des Internets“

Jan Müller

Rasmus: Damals waren wir noch sehr angetrieben von jugendlicher Langeweile.
Jan: Unser Leben war auf jeden Fall sehr anders als heute. Ich hatte meine Band Tocotronic, mit der ich ein Auskommen hatte, Rasmus hat noch studiert. Damals konnten wir noch ein bisschen mehr in den Tag hinein- leben als heute. Für „Vorglühen“ war es uns aber wichtig, diese Zeit zu fiktionalisieren und nicht nur Erlebtes aufzuschreiben. Das hätte ich als zu fantasielos empfunden. Wir wollten das Buch aber auf jeden Fall in der Vergangenheit ansiedeln, vor der Verbreitung von Mobiltelefonen und des Internets.

Warum? Ein bekannter Tocotronic- Song und -Slogan lautet schließlich „Digital ist besser“?

Jan: Der Satz war damals bereits als Provokation gedacht. Das Digitale war in der Underground-Szene ja das Feindbild. Aber vieles, was wir im Roman konstruiert haben, wäre nach der Digitalisierung in der Form gar nicht mehr möglich gewesen. Die Probleme, die Liebesgeschichte und die Freundschaft im Roman sind aber natürlich zeitlos.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, gemeinsam ein Buch zu schreiben?

Rasmus: Das stand schon sehr lange zur Debatte. Und eines Tages kam dann unser Literaturagent von außen mit einer Idee auf uns zu …
Jan: Ein Lob an Daniel Wichmann.
Rasmus: …, durch die das Projekt plötzlich konkret wurde und Gestalt annahm.
Jan: Musizieren ist schon toll, aber diese ganzen Instrumente, Verstärker, Kompositionen – das ist auch alles Ballast. Ich fand daher die Idee schön, sich mal auf das Wesentliche zu beschränken. Es gibt ja nichts Reduzierteres, als irgendetwas aufzuschreiben. Und das mit Rasmus zu tun, fand ich toll.

War es schwierig, gemeinsam so einen Roman zu schreiben?

Rasmus: Nein, im Gegenteil. Durch das Imprägniert sein in Bands kennen wir das Arbeiten im Kollektiv ja sehr gut. Es verlief daher genauso offen und chaotisch wie die Arbeit an einer Platte.

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„Vorglühen“, 384 Seiten, Ullstein, 21,99 Euro (Cover: ullstein)
„Vorglühen“, 384 Seiten, Ullstein, 21,99 Euro (Cover: ullstein)


Jan: In der Literatur gibt es natürlich den Nimbus des Schriftstellers, der ganz alleine etwas schafft – weil es ja auch so ist, dass man im Grunde nichts anderes braucht als Papier und Stift. Das aufzubrechen, fand ich aber interessant. Mittlerweile wissen wir auch oft gar nicht mehr, wer eigentlich was geschrieben hat. Das ging sogar so weit, dass ich Rasmus mal für eine Formulierung total gelobt habe, und der mir dann sagte: „Danke, aber ehrlich gesagt: Das hast du selbst geschrieben.“

Welche Formulierung war das?

Jan: Im Buch bezeichnet die alte Dame, bei der der Protagonist wohnt, dessen Verstärker immer als Lautsprecher. Das ist letztlich nur ’ne Kleinigkeit, aber diese Kleinigkeiten machen ein gutes Buch eben aus.

Gab es denn etwas, das eure literarische von der musikalischen Arbeit deutlich unterschieden hat?

Rasmus: Es gab keine Bandproben.
Jan: Und ich fand es viel schwieriger, ein Ende zu finden. Unser Lektor hat irgendwann gesagt: „Stopp! Ihr seid fertig.“

Was hat es so schwer gemacht?

Jan: Weil ein Buch, zumindest für mich, noch eine andere Autorität hat als ein Tonträger. Ich habe mehr Respekt davor.
Rasmus: Das Medium selbst erlaubt sich auch mehr Dynamik.

„Große Dinge passieren nur dann, wenn die Leute sich des Ausmaßes ihres Tuns als solches im Moment nicht bewusst sind“

Rasmus Engler

Im Klappentext eures Buches steht, das Buch gehe unter anderem um das „elektrisierende Gefühl, an dem Ort zu sein, an dem gerade etwas ganz Großes entsteht“. Wie oft habt ihr dieses Gefühl in eurem Leben selbst schon erlebt?

Rasmus: Das Ding ist ja: Menschen, die in so einem Moment dabei sind, wissen es währenddessen nicht. Große Dinge passieren nur dann, wenn die Leute sich des Ausmaßes ihres Tuns als solches im Moment nicht bewusst sind. Wer behauptet, live bei etwas ganz Großem dabei zu sein, ist entweder reif für die Klapse oder ein Vollidiot.
Jan: Ausgenommen sind allerdings Negativereignisse. 11. September. Oder der 24. Februar, als der Krieg in der Ukraine losging. Da war jedem klar, dass eine Zeitenwende anbricht.

Wie war das denn im Rückblick bei der Formung der Hamburger Schule, Jan?

Jan: Ach, damals haben sich viele Leute wichtiger genommen als sie wa- ren. Ich bin natürlich sehr froh, dass mein Leben mit der Band so verlaufen ist, aber ob ich das als etwas ganz Großes bezeichnen würde? Ich weiß nicht. Weder Dirk von Lowtzow, Arne Zank oder ich sind Elvis Presley oder die Beatles.

„Es ist eher der Zeitgeist, der nah an der Wirklichkeit ist, nicht die Figuren“

Jan Müller

Wie viel Autobiografisches steckt im Roman?

Rasmus: Wir haben versucht, das unter einem Prozent zu halten.
Jan: Es ist eher der Zeitgeist, der nah an der Wirklichkeit ist, nicht die Figuren. Der Roman ist in sehr reduzierter Form ja eine Heldenreise mit einer Entwicklung, und die sollte ausgedacht sein. Alles andere hätte ich als langweilig empfunden.

„Vorglühen“ ist ein schöner Titel. Wann habt ihr das letzte Mal vorgeglüht und wo seid ihr danach hingegangen?

Jan: Das muss in den Nullerjahren gewesen sein. Damals war ich sehr elektronikaffin, und das geht ja immer erst so spät los. Da habe ich tatsächlich öfter mal vorgeglüht, weil das nicht mein Stammterritorium war und ich mir dadurch häufig ein bisschen Mut angetrunken habe, um mich auf die Tanzfläche zu wagen.

Ein fertiges Album in Händen zu halten, ist für euch mittlerweile sicher nichts Besonderes mehr. War das beim ersten – gemeinsamen – Buch nun anders?

Rasmus: Die Kartons mit den Buchexemplaren für uns, die wir vom Verlag bekommen haben, sind auf jeden Fall sehr viel dicker und schwerer als bei Platten. Als mir der DHL-Bote das Paket in die Hand gedrückt hat, bin ich fast zusammengeklappt.
Jan: Und dabei war bloß ein Exemplar drin. (lacht)


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