Marcus Coffie: „Es gibt Wichtigeres als Fußball“

Nach einer rassistischen Beleidigung in einem Regionalligaspiel verließ Marcus Coffie (28), Kapitän des FC Teutonia 05, mit seiner Mannschaft den Platz als Zeichen gegen Rassismus. Im Interview schildert er seine Sicht der Dinge
Pokalsieger Marcus Coffie vom FC Teutonia 05
Strahlender Pokalsieger: Marcus Coffie vom FC Teutonia 05 nach dem 1:0-Erfolg über den TSV Sasel Anfang Juni (©Erik Brandt-Höge)

SZENE HAMBURG: Herr Marcus Coffie, wie ist Ihre Erinnerung an die Szene, die zum Spielabbruch führte?

Marcus Coffie: Mein Mitspieler Kevin Weidlich wurde abseits des Balles gefoult. Er diskutierte mit seinem Gegenspieler. Ich wollte die Situation beruhigen – und wurde vom Bremer Spieler rassistisch beleidigt.

Was haben Sie dann getan?

Ich wandte mich erst an den Schiedsrichterassistenten in der Nähe. Er hatte nichts gehört. Ich stellte den Bremer Spieler zur Rede. Er entschuldigte sich nicht. Daraufhin teilte ich dem Schiedsrichter mit, dass ich rassistisch beleidigt wurde. Die Partie wurde unterbrochen.

Wie lief die Kommunikation mit Schiedsrichter Jannik Weinkauf ab?

Was viele nicht wissen: Unser Trainer Richard Krohn wurde nach dem Hinspiel gegen Havelse schon rassistisch beleidigt. Jannik Weinkauf fertigte damals einen Sonderbericht an, damit das Thema nicht unter den Tisch fällt. Auch jetzt war er empathisch. Er erinnerte mich ans Havelse-Spiel, um mir zu zeigen, dass auch ihm das Thema wichtig ist. Er sagte aber auch, er könne den Bremer Spieler nicht bestrafen, da er die Beleidigung nicht gehört habe. Das glaube ich ihm auch. Ehrlich gesagt, hatte ich während der Unterbrechung die Hoffnung, dass der Bremer Spieler das Gespräch mit mir sucht. Ich kann verzeihen. Aber es kam nichts.

Daraufhin brach Ihre Mannschaft das Spiel ab.

Ja. Ich muss dazu sagen, ich bin heute noch sehr stolz auf meine Jungs. Ich habe ihnen gesagt, so spiele ich nicht weiter. Und sie standen zu mir. Wir haben gemeinsam ein Zeichen gegen Rassismus gesetzt. Ich wurde schon im Jugendbereich rassistisch beleidigt. Vor circa 13 Jahren erlebte ich eine fast identische Szene. Damals war ich nicht mutig genug, den Platz zu verlassen. Doch nun bin ich mutiger und reifer und viel sensibler, was das Thema Rassismus angeht.

Marcus Coffie: „Der Spielabbruch war ein Zeichen“

Können Menschen mit weißer Hautfarbe nachvollziehen, was eine rassistische Beleidigung in einem Menschen wie Ihnen mit schwarzer Hautfarbe auslöst?

So ganz werden das Menschen mit weißer Hautfarbe aus meiner Sicht leider nie nachvollziehen können. Da kommt so viel Wut hoch, so viel Trauer, so viel Schmerz. So viele Erinnerungen an frühere, schreckliche Zeiten. Ein ehemaliger Mitspieler, dem so etwas passiert war, meinte mal zu mir, er sei völlig in Schockstarre gewesen. Handlungsunfähig. Ich kann das sehr gut nachvollziehen.

Ich habe, und zwar ganz unabhängig von der Hautfarbe, viele aufmunternde Kommentare erhalten

Marcus Coffie

Das Spiel wurde schließlich mit 5:0 für die Bremer gewertet, die sonst abgestiegen wären. Es gab viele Diskussionen darüber. Eine häufige Meinung, gerade da ihr Team ja 2:1 führte: Teutonia hätte weiterspielen, den Bremer SV aus der Liga schießen sollen und fertig. Was sagen Sie dazu?

So ganz können Menschen mit weißer Hautfarbe die Thematik wie gesagt oft nicht nachvollziehen. Klar hast du dann eine sportliche Genugtuung, wenn du gewinnst. Aber das reicht nicht, um dem Thema Rassismus wirkungsvoll zu begegnen. Es gibt Wichtigeres als Fußball – und das ist das Leben selbst. Hätten wir gewonnen, wäre auch der Bremer Spieler abgestiegen. Doch er hätte sich ja trotzdem rassistisch geäußert. Dass er das getan hat, dagegen musste es ein Zeichen geben. Und das war der Spielabbruch.

Ralf Voigt, Sportlicher Leiter des Bremer SV, sagte: „Wenn man den Bremer SV kennt, dann weiß man ganz genau, das würde hier im Verein niemand machen.“ Nach dieser Logik fallen rassistische Aussagen beim Bremer SV niemals.

Das zeigt auch das Problem. Sofort war die Abwehr da. Wie bei Menschen, die Angst haben, sofort für Rassisten gehalten zu werden. Mich erinnert das an „Ich bin ja kein Rassist, aber …“ Was ich vermitteln möchte, ist auch: Nur, weil du eine rassistische Aussage getroffen hast, bist du deshalb als Mensch nicht automatisch ein Rassist. Mir ging es nie um darum, den Verein oder deren Spieler als Rassisten darzustellen. Es geht hier lediglich um den Spieler und seine rassistische Äußerung.

„Es gab Zeugen. Du stehst nicht alleine“

Im Urteil des Norddeutsche Fußball-Verbands (NFV) wurde infrage gestellt, ob ein rassistischer Vorfall einen Spielabbruch rechtfertigen würde. Was sagen Sie dazu? 

Das hat mich sehr enttäuscht und sehr wütend gemacht. Überhaupt hatte ich das Gefühl, der Verband will das Thema vor allem schnell vom Tisch haben. Schnell löschen, statt sensibel damit umzugehen. Das war für mich eine der schlimmsten Sachen, wie der Verband die Geschehnisse einfach heruntergespielt hat. Noch im Bus bei der Rückfahrt aus Bremen erfuhr ich, dass es Zeugen für die rassistische Beleidigung gab. Darunter auch Zuschauer. Diese Zeugen wurden dem NFV benannt. Ob diese Berichte in die Entscheidung eingeflossen sind, weiß ich nicht. Ich dachte auf der Rückfahrt noch „Es gab Zeugen. Du stehst nicht alleine“. Und dann passiert so etwas. In diesem Punkt hat mir auch die Berichterstattung der Medien nicht gefallen. Oft las ich: Es steht Aussage gegen Aussage. Doch aufgrund der Zeugen war das ja gar nicht so.

Wenn das Thema diskutiert wird und Menschen darüber reden, können sie sich selber reflektieren

Marcus Coffie

Haben Sie in dieser schwierigen Zeit auch Unterstützung erhalten?

Ja, sehr viel. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe, und zwar ganz unabhängig von der Hautfarbe, viele aufmunternde Kommentare erhalten. Viele Menschen unterstützten mich. Sie sagten und schrieben mir, es sei richtig, ein klares Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Das tat sehr gut.

Marcus Coffie hofft auf mehr Sensibilität 

Ihr Verein verzichtete auf einen Einspruch gegen die Wertung des Spiels zugunsten der Bremer. Auch, um die Vorbereitung auf das Hamburger Pokalfinale gegen Sasel nicht durch noch mehr Unruhe zu gefährden. Wie sind Sie als Team damit umgegangen?

Kevin Weidlich und ich haben in der Kabine vor der Mannschaft gesprochen. Wir haben unseren Mitspielern gesagt, wie stolz wir auf ihre Unterstützung sind. Und wir haben gesagt, jetzt wollen wir das Pokalfinale gewinnen, uns belohnen für all die Mühen der Saison.

Gesellschaftlich glaube ich, es wird Rassismus leider immer geben

Marcus Coffie

Wie haben Sie es persönlich geschafft, das alles zu verarbeiten?

Ich bin gesegnet mit einer großen mentalen Stärke. Mich hat die Wut motiviert. Ich wollte nun den Pokalsieg mehr denn je. Ich wusste, dieser Sieg wird mir wieder Kraft und Auftrieb geben. Den Pokal als Kapitän schließlich in den Händen zu halten war ein großartiges Gefühl.

Was wünschen Sie sich bezüglich des Umgangs zum Thema Rassismus für die Zukunft?

Im Sport viel mehr Sensibilität vor allem der Verbände. Es mag sein, dass man in gewissen Fällen Spiele nicht anders werten kann. Aber man kann deutlich sensibler mit dem Thema umgehen. Ich wäre auch bereit, mit den Verbandsoffiziellen genau darüber auf Augenhöhe zu sprechen. Gesellschaftlich glaube ich, es wird Rassismus leider immer geben. Leider nicht nur das N-Wort, auch viel subtilere Formen von Alltagsrassismus. Aber ich habe dieses Interview gegeben, weil ich an eines fest glaube: Wenn das Thema diskutiert wird und Menschen darüber reden, können sie sich selber reflektieren. Manche Menschen tätigen rassistische Aussagen, weil sie unaufgeklärt sind. Diese Menschen können ihre Meinung durch andere Perspektiven noch ändern. Sie sollen durch die Diskussion erreicht werden. Dann ist schon viel gewonnen.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 07/2023 erschienen.

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