Jan-Philipp Kalla: Mehr als ein Sportler

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Jan-Philipp Kalla (Foto: Christian Küch)

17 Jahre spielte Jan-Philipp Kalla für den FC St. Pauli. Nun kickt er in der Oberliga Hamburg. Er ist das, was dem Fußball heute fehlt: ein echter Typ!

Text: Mirko Schneider 

Beim letzten Spiel vor dem November-Lockdown fehlte Jan-Philipp Kalla (34). Das 3:2 bei Union Tornesch in der Oberliga Hamburg erkämpften seine Mitspieler beim SC Victoria ohne ihn. Danach fiel der Vorhang im Hamburger Amateurfußball. Auch für Kalla.

Trüge er noch das Trikot des FC St. Pauli, würde er nun fleißig weiterspielen. Die Profis sind vom Lockdown ausgenommen. Für die Braun-Weißen vom Millerntor hielt Kalla 17 Jahre lang seine Knochen hin (2003-2020), davon 13 Jahre in der Profimannschaft. „Sicher vermisse ich die Spiele mit dem FC St. Pauli. Doch ich hatte noch Bock zu kicken. Deshalb war der Wechsel zu Victoria die absolut richtige Entscheidung. Ich fühle mich hier extrem wohl“, sagt Kalla.

Ex-Profis, die ihre Karriere bei einem Amateurclub ausklingen lassen, sind für sich genommen nichts Besonderes mehr in der heutigen Fußballwelt. Kalla als Typ ist es sehr wohl. Das fängt schon mit seinem Spitznamen an. Niemand ruft ihn „Jan-Philipp“. Alle sagen „Schnecke“ zu ihm. Seine Mutter Eva taufte ihn so, weil er sich nach der Geburt so süß zusammenrollte.

Vereinstreue und unermüdlicher Einsatz

Für die Fans vom Millerntor war Kalla stets mehr als ein Fußballspieler. Er war einer der Ihren. Für seine Vereinstreue und seinen unermüdlichen Einsatz auf dem Rasen tauften sie ihn „Fußballgott“. „Wenn die Fans das gerufen haben, war das wirklich eine Auszeichnung für mich, eine besondere Ehre“, sagt Kalla.

Sportlich konnte er defensiv jede Position bekleiden. Selbst wenn Kalla seinen Stammplatz über lange Zeit verlor, kämpfte er sich zurück. Viele seiner 172 Profi-Einsätze sind unvergessen. Am besten charakterisiert ihn das Zweitligaheimspiel am 28. April 2018 gegen Greuther Fürth. Fast die gesamte Saison hatte Kalla auf der Bank oder auf der Tribüne gesessen. Im Saisonendspurt erinnerte sich St. Paulis Trainer Markus Kauczinski plötzlich an seinen Defensiv-Allrounder.

St. Pauli musste siegen – und Kalla kam aus dem Nichts wie ein Orkan. Er avancierte in den 90 Minuten zum besten Mann auf dem Platz und fraß auf seiner rechten Außenbahn seine Gegenspieler Khaled Narey und Maximilian Wittek fast auf, so sehr sprühte er vor Einsatzfreude und Kampfeswillen. St. Pauli siegte 3:0 und hielt schließlich die Klasse. „Das war eine meiner Stärken. Ich habe mich immer so vorbereitet, dass ich da war, wenn ich gebraucht wurde“, sagt Kalla im Rückblick.

Kallas Mission: Benachteiligten und Diskriminierten zu helfen

Zweifellos war Kalla auf dem Rasen das personifizierte St. Pauli der alten Schule. Nicht unbedingt ein großes Talent, aber voller Ehrgeiz, das Maximale aus den eigenen Möglichkeiten herauszuholen. Doch auch außerhalb des Rasens passte Kalla zum FC St. Pauli wie die berühmte Faust aufs Auge. Die Werte des Vereins, der sich stets auf die Fahnen schreibt, den Benachteiligten und Diskriminierten zu helfen, lebte er wie kein zweiter Profi im Club.

„Meine Interessen trafen einfach auf einen Verein, der diese Interessen lebte“, sagt er. Es entstand die große Liebe. Eine seltene Verbindung im heutigen Hochglanz-Business Profifußball. So gründete Kalla mit seinem Kumpel Sven Flohr 2016 den „Friends Cup“, einen Förderverein für hilfsbedürftige Projekte wie zum Beispiel einen Obdachenlosenbus. Die Idee: Einmal im Monat werden Freunde und Partner des Projektes zu einer sportlichen Aktivität eingeladnen.

„Mal Fußball, mal Minigolf, immer was anderes“, so Kalla. Dazu wird eine Spendenbox aufgestellt. Bislang hat der Verein, der auch auf anderen Feldern aktiv ist und Spenden sammelt, knapp 360.000 Euro an eingezahlten Spenden gesammelt. Zu Weihnachten ist Kalla dann übrigens als Kellner zu bewundern. „Wir servieren Obdachlosen in der Fischauktionshalle ein schönes Essen und packen eine bunte Tüte mit Geschenken für jeden von Ihnen“, sagt Kalla.

Jan-Philipp Kalla im Interview

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Immer wieder erhebt Kalla zudem seine Stimme gegen Homophobie im Fußball. So hielt er am 3. November 2019 im Hamburger Rathaus die Rede bei der Siegerehrung des „StartschussMasters“, einem vom Sportverein „Startschuss“ veranstalteten Hallenturnier für schwul-lesbische Fußballer. Stilecht mit einem Totenkopf-T-Shirt in Regenbogenfarben, auf dem auf der Rückseite das Motto „Lieb doch, wen du willst“ zu lesen war.

„Es bleibt an uns, sich laut zu machen und Flagge zu zeigen. Laut gegen Homophobie und Sexismus. Und laut für eine bunte, offene und tolerante Gesellschaft“, lauteten die Schlussworte seiner emotional sehr berührenden Rede, in der er auch von seinem Engagement als Trainer erzählte. „Im Frauenteam St. Paulis, das ich trainiere, sind lesbische Spielerinnen. Es ist auch ein Pärchen dabei. Das stört niemanden. Weil es völlig normal ist“, sagte der dreifache Vater.

Mit jenem Frauenteam hat Kalla, der kürzlich die die B-Elite-Lizenz als Trainer erwarb, übrigens sportlich großen Erfolg. Seine Freundin und er trainieren es gemeinsam und bereits zwei Aufstiege von der Kreisliga bis in die Landesliga durften gefeiert werden. Dort mischt das Team wieder vorne mit. „Die Frauen spielen einen starken Ball und haben für ihre sportlichen Leistungen Akzeptanz verdient. Ich hoffe, das Interesse am Frauenfußball wächst und wird nachhaltiger.“

Darüber hinaus wird er nun auch noch Markenbotschafter im Kinder- und Jugendmarketing des FC. St. Pauli. Und wenn der Amateursport wieder erlaubt wird, wird er für den SC Victoria in der Oberliga Hamburg wieder dem Ball hinterherjagen. „Ehrgeizig auf dem Feld bin ich noch immer“, sagt Kalla. Der FC St. Pauli hat schon angekündigt, für die berühmteste „Schnecke“ der Stadt ein Abschiedsspiel auszurichten. Vor vollen Zuschauerrängen nach Corona. „Darauf“, sagt Kalla, „freue ich mich sehr.“

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