Jetzt, 2023, ist sozusagen Halbzeit dieser Agenda 2030 und ein guter Anlass, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Wo steht die Stadt Hamburg bei den 17 definierten Nachhaltigkeitszielen, den „Sustainable Development Goals“ der Vereinten Nationen, denen sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet sehen? Wo ist man im Soll, wo gibt es noch Handlungsbedarf und bei welchen Punkten kann man jetzt schon absehen, dass es schwierig bis unmöglich wird, diese in den noch verbleibenden Jahren fristgerecht umzusetzen. Wir haben uns zu diesem Themenkomplex mit Jens Kerstan (57, Bündnis 90/DIE GRÜNEN), Senator für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft der Freien und Hansestadt Hamburg unterhalten.
Herr Senator, wo steht die Stadt Hamburg bei den 17 definierten Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals? Wo ist man im Soll, wo gibt es noch Handlungsbedarf und bei welchen Punkten kann man jetzt schon absehen, dass es schwierig wird, diese in den noch verbleibenden Jahren fristgerecht umzusetzen.
Jens Kerstan: Die 17 Nachhaltigkeitsziele sind das Maß, an dem wir in Hamburg unser Verwaltungshandeln messen. Das haben wir 2017 als Senat so beschlossen – und zwar mit dem klaren Ziel, hier auch über die Stadtgrenzen hinaus eine Vorreiterrolle einzunehmen. Das geht am besten gemeinsam mit der Stadtgesellschaft, schließlich nimmt die Stadt mit ihrer Verwaltung, ihren Landesbetrieben und Unternehmen eine Vielzahl öffentlicher Aufgaben wahr. Ich finde es herausragend, wie partnerschaftlich wir da mittlerweile mit vielen Akteuren zusammenarbeiten und auf wie viel Engagement wir da stoßen. Das Nachhaltigkeitsforum Hamburg begleitet uns auf diesem Weg intensiv und durchaus kritisch, seine Mitglieder sind Hamburger:innen aus den verschiedensten Branchen. Der Zukunftsrat Hamburg und Green Events Hamburg bringen ihre Expertise mit ein. Außerdem gibt es eine gemeinsame Arbeitsgruppe aller Fachbehörden, die gemeinsam strategische Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Stadt verabreden. Wichtig ist, dass wir hier am Ball bleiben. Es gibt genug zu tun!
„Wir können Ziele nicht aufgeben, wenn es mal schwierig ist“
Schauen wir uns bitte exemplarisch einige der 17 Nachhaltigkeitsziele genauer an. Bei Ziel 3, „Gesundheit und Wohlergehen“, heißt es in der Beschreibung „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters und die Förderung ihres Wohlergehens“ soll gewährleistet werden. Ist das bislang gelungen?
Das betrifft meine Behörde bei Luftqualität und Lärm. Wir messen in den letzten Jahren etwas weniger Feinstaub in der Luft. Bei Stickstoffdioxid sieht es ganz ähnlich aus. Hier hatten wir ja vor allem bei verkehrsnahen Messstationen und an einzelnen Straßenabschnitten mit hohem Verkehrsaufkommen und enger Randbebauung immer wieder Schwierigkeiten mit überschrittenen Grenzwerten. Sämtliche Rückgänge haben wir auch dem im Luftreinhalteplan festgelegten umfangreichen Maßnahmen zu verdanken –nichtsdestotrotz müssen wir auch hier immer wieder nachsteuern.
Was den Lärm angeht: Auf Hamburgs Straßen wird es etwas leiser, ganz allgemein und auch nachts. Wir arbeiten aktuell auch an einer aktualisierten Lärmkartierung für die gesamte Stadt, um hier eine noch bessere Datengrundlage zu haben.
Beim Ziel 4 geht es um „Hochwertige Bildung“: Kann angesichts des akuten Lehrermangels ein solches Ziel überhaupt aufrechterhalten werden?
Man muss. Wir können Ziele nicht aufgeben, wenn es mal schwierig ist. Neben ausreichendem Lehrpersonal spielen hier auch Bildungsinhalte eine wesentliche Rolle – wir müssen den ganzen Bereich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) mitdenken.
Wichtig ist, dass wir hier am Ball bleiben. Es gibt genug zu tun!
Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan
Als erste Großstadt und erstes Bundesland in Deutschland hat Hamburg einen Masterplan BNE 2030 auf den Weg gebracht, durch den Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in alle Bildungsbereichen systematisch verankert werden soll. Im Juni 2021 beauftragte der Hamburger Senat die Initiative Hamburg lernt Nachhaltigkeit (HLN) mit der Umsetzung des Masterplans und stellt hierfür bis 2030 jährlich Mittel bereit. In der Initiative HLN arbeiten Behörden, Vereine, Verbände, Unternehmen und Bildungseinrichtungen aus allen gesellschaftlichen Bereichen zusammen.
Das 6. Ziel lautet „Sauberes Wasser und Sanitärversorgung“ und soll die „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung“ gewährleisten. Wo steht die Hansestadt hier?
Das Hamburger Leitungswasser schmeckt nicht nur, es hat auch eine Spitzenqualität. Wir kümmern uns mit Hamburg Wasser darum, dass das so bleibt. Der Zugang zu hochwertigem Trinkwasser muss als öffentliches Gut geschützt und für kommende Generationen erhalten werden. In diesem Jahr bauen wir das Angebot an kostenfreien Trinkwasserbrunnen in Hamburg aus. Dies soll auch den Verbrauch von Einwegplastikflaschen reduzieren.
Wege klimaschonend gestalten
Mit dem Ziel 7, „Bezahlbare und saubere Energie“, soll der „Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie“ gewährleistet werden. Dieses Ziel wird durch den Krieg in der Ukraine sicherlich sehr schwer zu erreichen sein, oder?
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hatte und hat immense Folgen. In Hamburg waren wir von jetzt auf gleich gezwungen, bereits angeschobene Projekte noch einmal erheblich zu beschleunigen. Praktisch über Nacht auf fossile Brennstoffe zu verzichten oder sie zu ersetzen – das hat uns allen den Schlaf geraubt. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist eigentlich der einzige Weg aus der Krise, und der muss sehr viel schneller und sehr viel energischer vorangetrieben werden – ich sehe auch, dass das bei uns und im Bund passiert.
Wir investieren in Erneuerbare Energien, sind Vorreiter der Tiefengeothermie in Norddeutschland, bauen die größte Wärmepumpe Europas in einem Klärwerk, planen die größte Flusswärmepumpe, die es in Europa geben wird, Power-to-heat-Anlagen speichern überschüssige Windenergie und unsere öffentlichen Unternehmen testen Aquifer-Wärmespeicher, mit denen man Wärme aus dem Sommer in den Winter transferiert. Mit der Solarpflicht bei Neubau und Bestand nimmt Hamburg bereits jetzt bundesweit eine Vorreiterrolle ein, die kombinierte Solar-Gründach-Pflicht ist in Deutschland einzigartig. In 2019 haben wir das zentrale Fernwärmenetz samt Erzeugungsanlagen zurückgekauft und klimafreundlichere Erzeugungskonzepte zum Ersatz der Kohlekraftwerke in Wedel und Tiefstack auf den Weg gebracht. Ich könnte hier noch eine Weile fortfahren. Wichtig ist, dass wir hier konsequent weitermachen – dann sind wir nicht nur auf einem guten Weg in Sachen Klimaschutz, sondern auch was unsere Energiesouveränität angeht.
Praktisch über Nacht auf fossile Brennstoffe zu verzichten oder sie zu ersetzen – das hat uns allen den Schlaf geraubt
Jens Kerstan
Der „Aufbau einer belastbaren Infrastruktur, die Förderung einer inklusiven und nachhaltigen Industrialisierung und die Unterstützung von Innovationen“ soll mit Ziel 9 gewährleistet werden. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Wir wollen die Wege der Menschen und Güter in Hamburger so klimaschonend wie möglich gestalten. Neben der Elektrifizierung der städtischen Fahrzeugflotten setzen wir mit dem Hamburg-Takt auf eine angebotsorientierte Planung. Auch der Fahrradverkehr ist ein wichtiger Baustein für die Gestaltung einer emissionsarmen Mobilität. In 2022 haben wir gemeinsam mit den Hamburger Bezirken und vielen weiteren Akteuren wie dem ADFC das Bündnis für den Rad- und Fußverkehr ins Leben gerufen. Hamburg hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 den Anteil des Umweltverbundes an allen Wegen von 64 Prozent im Jahr 2017 auf 80 Prozent zu erhöhen.
Beim Güterverkehr schauen wir natürlich auf den Hamburger Hafen. Seit vielen Jahren treibt die HPA die Nachhaltigkeit im Hafen voran. Eine Vorreiterrolle nimmt die Hafenverwaltung beispielsweise bei der Installation von Landstrom ein und immer mehr Schiffe werden auf alternative Antriebsarten umgestellt. Gleichzeitig sorgt die HPA für eine umfassende Digitalisierung des Hafens. Das führt nicht nur zu weniger Staus auf den Straßen, auch die Schiffsbewegungen im Hafen werden immer detailliierter erfasst und lassen sich so effizienter steuern.
Globale Vernetzung gegen Ungleichheit
Das 10. Ziel der 17 Nachhaltigkeitskriterien fordert, dass die Ungleichheit in und zwischen Ländern verringert werden soll – was lässt sich aus Ihrer Sicht dazu sagen?
Der Klimawandel hat globale Folgen – daher sollten wir Klimaschutz ebenfalls global denken. Ein starkes Beispiel dafür ist die neue Kompostierungsanlage in Daressalam (Tansania, Anm. d. Red.). Sie wirkt auf vielfältige Weise, indem sie für mehr Sauberkeit vor Ort sorgt, effektiv die Freisetzung klimaschädlicher Gase reduziert und fruchtbare Erde erzeugt. Die damit erzeugten Klimazertifikate dienen als Kompensation für die von dienstlichen Flugreisen der Beschäftigten unserer Stadt verursachten Emissionen – denn solange Flugverkehr noch nicht klimaneutral abgewickelt werden kann, ist eine Kompensation durch Emissionsminderung am anderer Stelle ein Gebot der Stunde. Auch insofern ist die Kompostanlage das großartige Ergebnis einer starken Partnerschaft von Städten über Grenzen und Kontinente hinweg – bei der nicht nur wirksame Lösungen für lokale und globale Probleme entstehen, sondern auch Freundschaften gedeihen.
Ergänzung der Pressestelle: Unser Ziel ist, allen Bürgerinnen und Bürgern ein Leben frei von Diskriminierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu ermöglichen.
Die bisherige Antidiskriminierungsstrategie hat gezeigt, dass eine Bündelung behördlicher Kompetenzen eine noch wirksamere Antidiskriminierungspolitik möglich machen. Sie hat auch bestätigt, wir brauchen eine merkmals- und zielgruppenübergreifende Antidiskriminierungsarbeit.
Der Klimawandel hat globale Folgen – daher sollten wir Klimaschutz ebenfalls global denken!
Jens Kerstan
Für die Hamburgische Gleichstellungspolitik konnten in dieser Legislatur wichtige Schwerpunkte festgeschrieben werden: beispielsweise eine geschlechterwirksame Haushaltssteuerung (Gender Budgeting) für den Gesamthaushalt der FHH oder zahlreiche gleichstellungspolitische Maßnahmen im Gleichstellungpolitischen Rahmenprogramm. Und auch in unseren politischen Reihen geht es vorwärts: Hamburg hat aktuell den höchsten Anteil an weiblichen Abgeordneten aller Bundesländer in seinem Landesparlament (43,9 Prozent).
An Hamburgs Städtepartnerschaften sehen wir auch, dass globale Vernetzung ein wichtiger Pfeiler für weniger Ungleichheiten ist. Dabei steht nicht mehr im Fokus, was wir anderen beibringen können, sondern vor allem, was wir voneinander lernen können, um Ungleichheiten aller Art zu bekämpfen.
Städte und Siedlungen inklusiver, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen – das soll mit dem 11. Ziel gewährleistet werden.
Das Ziel einer nachhaltigen Stadtentwicklung beinhaltet viele Bausteine. Sie gelingt, wenn sich unsere politische Arbeit auf Landesebene sinnvoll mit individuellem Handeln verzahnt. Nachhaltige Rahmenbedingungen für Großveranstaltungen zu schaffen, wäre ein Beispiel für so eine Synergie. Im September 2022 hat die Initiative Green Events Hamburg in unserem Auftrag eine sehr umfassende Handreichung für nachhaltige Veranstaltungen veröffentlicht. Hier erhalten Veranstalter:innen viele Anregungen. Green Events hat in einem Zeitraum von zwei Jahren viele verschiedene Hamburger Veranstaltungen begleitet, beraten und geschult. Somit wurde der Kriterienkatalog nicht nur erprobt, sondern gleich auch schon weiterentwickelt. Für den kommenden Tag der Deutschen Einheit setzen wir voll auf Nachhaltigkeit. Für die Fußball-Europameisterschaft der Männer 2024 arbeiten wir aktuell gemeinsam mit anderen Fachbehörden mit viel Herzblut an einem Nachhaltigkeitskonzept für die sogenannte Fan-Zone für die in Hamburg geplanten Spiele.
„Die Prognosen des IPCC sind alarmierend“
Ziel 13: Hier wird gefordert „umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen (zu) ergreifen“. Wie weit sind hier Hamburgs Bemühungen gediehen?
Nachdem wir im Dezember 2022 das Eckpunktepapier zur Zweiten Fortschreibung des Klimaplans mit verschärften Klimazielen für Hamburg vorgelegt haben, gehen wir nun den zweiten Schritt und schaffen den rechtlichen Rahmen, indem wir diese Ziele im Gesetz verankern. Und wir bleiben ehrgeizig: Der CO2-Ausstoss soll bis 2030 um 70 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden, wir sind damit noch etwas ehrgeiziger als der Bund. 2045 und damit fünf Jahre schneller als bislang vorgesehen, soll ganz Hamburg CO2-neutral leben und wirtschaften.
Die Prognosen des IPCC sind alarmierend, Extremwetterereignisse nehmen weltweit und auch in Deutschland zu. Wir in Hamburg wollen und müssen beim Klimaschutz und bei der Klimaanpassung Vorreiter sein und bleiben.
Ein wirksamer Klimaschutz gelingt nur, wenn sich alle beteiligen
Jens Kerstan
Als erstes Bundesland wollen wir beim Heizungstausch den Anteil der Erneuerbaren Energien von 15 auf 65 Prozent verpflichtend steigern, eine entsprechende Förderung wird ab 2024 bereitgestellt. Auch sollen neue Maßnahmen wie die bundesweit erstmalige Einführung einer kombinierten Solargründach-Pflicht, die PV-Pflicht für offene Stellplatzanlagen sowie für die Erleichterung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien und der Infrastruktur für Strom, Wasserstoff und öffentliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge eingeführt werden. Gleichzeitig müssen wir natürlich auch unsere eigenen Hausaufgaben machen. Das heißt, unsere eigenen (Verwaltungs-)Prozesse im Hinblick auf Klimaschutz- und Klimaanpassungsfragen immer wieder kritisch zu beleuchten. Wir planen bis 2030 eine CO2-neutrale Verwaltung und Klimaschutz und -anpassung in unseren öffentlichen Unternehmen noch mehr zu stärken.
Bei der Umsetzung müssen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Bürger:innen gemeinsam an einem Strang ziehen. Denn wirksamer Klimaschutz gelingt nur, wenn sich alle beteiligen.
Wattenmeer und Nordsee
Im 14. Ziel geht es um die Ozeane: Diese sollen wie Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig genutzt werden. Für eine Stadt wie Hamburg ein wichtiges Ziel.
Der Schutz des UNESCO Weltnaturerbes Wattenmeer liegt in der gemeinsamen Verantwortung von Deutschland, den Niederlanden und Dänemark. Seit mehr als vier Jahrzehnten arbeiten wir daran, dieses außergewöhnliche Ökosystem zu bewahren – das ist gut und wichtig. Denn zahlreiche Interessen und Herausforderungen sind an das Wattenmeer geknüpft, nicht zuletzt durch den internationalen Hafen in Hamburg und seinen Schifffahrtswegen. Ein gemeinsames Monitoring, die koordinierte Bewertung des „Quality Status“ und die gemeinsame Forschung insbesondere mit Blick auf Auswirkungen auf das Wattenmeer sind heute wichtiger denn je.
Auch ist das Weltnaturerbe Wattenmeer von herausragender Bedeutung für Zugvögel, die in diesem Gebiet brüten, rasten und überwintern. Ihr Schutz kann nur gemeinsam entlang der Zugroute von Südafrika bis in die Arktis erfolgen. Deshalb freue ich mich sehr darüber, dass wir die Flyway-Initiative unterzeichnen konnten, mit der wir den Zugvögeln dauerhaft geschützte Zufluchtsorte einrichten. Unsere trilaterale Wattenmeerkonferenz basiert auf einer wertvollen und ermutigenden Zusammenarbeit, auf Kooperation und gemeinsamen Werten. Dies ist ganz besonders in schwierigen Krisenzeiten wie wir sie aktuell durchleben von enormer Bedeutung.
Ergänzung der Pressestelle: Hamburg setzt sich gemeinsam mit den Küstenländern und dem Bund für einen guten Umweltzustand für die deutsche Nordsee ein. Wir wollen die biologische Vielfalt erhalten und fördern sowie die kommerzielle Nutzung von Fischen und Schalentieren nachhaltig gestalten.
Im Einzugsgebiet der Elbe setzen wir die sogenannte Wasserrahmenrichtlinie um. Damit sorgen wir dafür, dass der Eintrag von Nähr- und Schadstoffen in die Küstengewässer und damit in die Nordsee verringert wird.
Hamburg engagiert sich auch im Rahmen der Deutschen Allianz Meeresforschung e. V. (DAM). Darüber hinaus wird das Thema Meeresforschung durch zahlreiche Einrichtungen rund um das Exzellenzcluster Klimaforschung, allen voran die Universität Hamburg und das Max-Planck-Institut für Meteorologie, und durch die Leitstelle Forschungsschiffe behandelt.
37 Naturschutzgebiete
Ziel 15 hat den Obertitel „Leben an Land“: Hier geht es darum, Landökosysteme zu schützen, sie wieder herzustellen und ihre nachhaltige Nutzung zu fördern; Wälder sollen nachhaltig bewirtschaftet, Wüstenbildung bekämpft und Bodenverschlechterung sowie Biodiversitätsverlust gestoppt werden.
Bei Biodiversität denkt man vielleicht nicht unbedingt als Erstes an eine Großstadt wie Hamburg. Dabei strotzt unsere Stadt vor Lebensräumen für wild wachsende Pflanzenarten und wild lebende Tierarten – 37 Naturschutzgebiete nehmen eine Gesamtfläche von 7422 Hektar ein. Zwei der Gebiete erweitern wir in Kürze, dann haben wir unser Ziel, mehr als zehn Prozent der Landesfläche unter Naturschutz zu stellen, erreicht. Das ist ein Rekord, bei dem uns kein anderes Bundesland so schnell etwas vormacht – und es ist ein Erfolg, auf den wir lange hingearbeitet haben und auf den wir stolz sein können. Gerade in einer Großstadt wie Hamburg, in der Platz begrenzt und Städtebau eine nachhaltige Herausforderung ist, muss Naturschutz ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Was wir jetzt schützen, werden nicht nur wir, sondern auch spätere Generationen umso mehr schätzen. Für mich ist diese Aufgabe eine Herzensangelegenheit und die Erreichung des Zehn-Prozent-Ziels ein echter Meilenstein.
Ergänzung der Pressestelle: Weitere Beispiele sind der Naturcent, der als zusätzliches Finanzierungsinstrument eingeführt, um Grünanlagen und Naturschutzgebiete aufzuwerten, ein Naturwaldstrukturprojekt, das mehr als zehn Prozent der Landeswaldfläche der natürlichen Entwicklung überlässt und die Gründachstrategie, die für mehr Biodiversität auf unseren Dächern sorgt. Wir fördern den ökologischen Landbau, die Bewirtschaftung von Dauergrünlandflächen, die Anlage von Blühstreifen und Blühflächen und haben sogar eine Hamburger Bienenstrategie, um auch die Wettbewerbsbedingungen der Imkerinnen und Imker zu verbessern. Hier hat sich bereits die Anzahl der gemeldeten Bienenvölker positiv entwickelt.
„In diesem Jahr steht ein weiterer Meilenstein an“
Abschließend wären wir für ein generelles Fazit dankbar: Wie entwickelt sich Hamburg bei den Zielen insgesamt? Ist Hamburg nachhaltig? Wo muss Ihrer Meinung noch nachgebessert werden?
Wir sind als Stadt auf einem guten Weg! Ausruhen können wir uns aber nicht – es bleiben nur noch acht Jahre, bis die Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen.
Die multiplen und miteinander verwobenen Krisen der Welt zeigen auch vielfältige Wechselwirkungen zu einzelnen Nachhaltigkeitszielen. Die schweren Zeiten machen uns nicht nur persönlich betroffen, sie sind auch bei unserer täglichen Arbeit für die Stadt zu spüren.
Wir sind als Stadt auf einem guten Weg! Ausruhen können wir uns aber nicht!
Jens Kerstan
In diesem Jahr steht ein weiterer Meilenstein an: Wir werden den ersten Nachhaltigkeitsbericht der Stadt veröffentlichen und ihn im Rahmen des Hochrangigen Politischen Forums der UN in New York vorlegen. Auf dieser Basis entwickeln wir im kommenden Jahr eine Nachhaltigkeitsstrategie mit konkreten Zielen für die Stadt. Einmal mehr kann dies nur gemeinsam gelingen. Wie beim Klimaplan setzen wir hier auch wieder auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Zivilgesellschaft und den Fachbehörden. Ich freue mich, dass wir da jetzt loslegen können.
Nicht zu allen 17 Nachhaltigkeitszielen konnte uns Senator Kerstan Rede und Antwort stehen, folgende Statements stammen von der Pressestelle der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) und sind ausdrücklich keine Zitate des Senators:
Ziel 1 „Keine Armut“: Was hat sich seit 2017 in diesem Bereich für die Bürgerinnen und Bürger in Hamburg verändert? Ist die Schere zwischen Arm und Reich seitdem größer geworden?
Die Corona-Pandemie hat uns noch mal auf ganz neue Weise soziale Ungleichheit nähergebracht. Laut einer von der Sozialbehörde in Auftrag gegebenen Studie aus 2022 gab es auch in unserer Stadt einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und hohen Inzidenzwerten. Das bestätigt, was vielleicht ohnehin klar ist. Die SDG haben teilweise starke Wechselwirkungen. Wir können uns nicht auf eines konzentrieren, ohne ein anderes SDG mitzudenken.
Ziel 2 „Kein Hunger“: Laut einer Studie leiden 500.000 Kinder täglich an Hunger – bundesweit. Was tut Hamburg, damit seine Einwohner nicht hungern müssen (und was hat sich in den letzten sechs Jahren verändert)?
Wir gehen dieses Ziel von mehreren Seiten an. Zum einen geht es darum alle Hamburger:innen ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen, zum anderen Lebensmittelverschwendung massiv zu reduzieren. Mit der Initiative „aufgefangen“ bündeln Hamburger Betriebe, Organisationen, Institutionen gemeinsam mit der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz das Engagement in diesem Bereich. Es geht hier um Austausch, gemeinsame Projekte und Tipps für alle Hamburger:innen. Auch die Vermittlung von Lebensmittelspenden soll gefördert werden. „aufgefangen“ vernetzt dazu Betriebe und Initiativen und schafft kurze Wege. Wichtige Partner:innen der Stadt sind hier auch die Hamburger Tafel e. V., Lebensmittelhändler:innen, die partnerschaftlich mit foodsharing zusammenarbeiten und das Aufstellen von rechtssicheren sogenannten „Fairteilern“.
Wie wirkt sich die Agenda 2030 auf das vom Senat ausgegebene Ziel, jährlich 10.000 Wohnungen zu genehmigen (und in der Folge auch zu bauen) aus? Schließen Nachhaltigkeitskriterien den Bau von bezahlbarem Wohnraum nicht weitestgehend aus?
Für Hamburg ist die Schaffung neuen, bezahlbaren Wohnraums ein zentrales Ziel. In den letzten zehn Jahren wurden bereits über 66.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Auch bei der Errichtung öffentlich geförderter Wohnungen ist Hamburg im Bundesvergleich an der Spitze. Um diese Entwicklung besonders nachhaltig zu gestalten, fördert der Senat zum Beispiel das energieeffiziente und klimaschonende Bauen im Bereich der Neuerrichtung von Wohn- und Nichtwohngebäuden sowie bei der Gebäudemodernisierung. Im Einzelnen werden ambitionierte Energieeffizienzstandards sowie die Verwendung von Holz und nachhaltigen Dämmstoffen gefördert. In Zukunft sollen insbesondere die graue Energie bei der Errichtung von Gebäuden weiter reduziert und wiedergewonnene Baustoffe aus Abrisstätigkeiten einer erneuten Nutzung zugeführt werden.
Dieses Interview ist zuerst im Nachhaltigkeitsmagazin von SZENE HAMBURG erschienen.