20 Jahre plattform-Festival am Ernst Deutsch Theater

Die Jugendsparte „plattform“ feiert 20-jähriges Jubiläum. Leiterin Mia Massmann organisiert das plattform-Festival vom 22. bis 25. Februar 2023 am Ernst Deutsch Theater während Gesche Lundbeck mit ihren Jugendclubs zwei Stückentwicklungen beisteuert
Erste Schritte auf der Bühne: Die Jugendclubs zeigen ihre Stücke beim plattform-Festival vom 22. bis 25 Februar 2023 (©Fabian Hammerl)

SZENE HAMBURG: Mia, wie kam 2003 die Idee auf, die Jugendsparte „plattform“ am Ernst Deutsch Theater zu gründen?

Mia Massmann: Intendantin Isabella Vértes-Schütter hat die Jugendsparte damals ins Leben gerufen, weil ihr die Nachwuchsförderung sehr wichtig war. Das Haus wurde 1951 ja als „Das Junge Theater“ gegründet und hatte sich schon damals auf die Fahne geschrieben, junge Nachwuchstalente zu fördern.

Wie hat sich die Jugendsparte seither entwickelt?

Gesche Lundbeck: Meine Gruppe war vor mehr als 15 Jahren die dritte. Ganz am Anfang gab es nur zwei Gruppen, die ein Großprojekt mit über hundert Schüler:innen auf die Beine gestellt haben. Das gibt es auch heute noch und wird jeweils am Ende des plattform-Festivals gezeigt. Später haben auch Schulklassen an diesem Projekt mitgewirkt, und es sind über die Jahre viele neue Gruppen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten ins Leben gerufen worden wie „Medien“, „theatrales Philosophieren“, „Performance“ oder die inklusive Gruppe für Gehörlose, Schwerhörige und Hörende …

Massmann: … die dieses Jahr ihr 15. Jubiläum feiert.

Wie viele Gruppen gibt es aktuell?

Lundbeck: Wir haben acht Jugendclubs mit ganz unterschiedlichen Ausrichtungen. Viele Jugendliche sind auch sehr lange bei uns. Ich hatte Spieler:innen, die mit elf Jahren ans Theater gekommen und geblieben sind, bis sie 21 waren.

„Wir machen performatives Theater“

Seit 15 Jahren Jugendclubleiterin am Ernst Deutsch Theater: Gesche Lundbeck (©Gesche Lundbeck)

Wie sieht die Arbeit in deinen beiden „Performance“-Jugendclubs aus?

Lundbeck: Oft haben wir ein Spielzeitthema, mit dem alle Gruppen arbeiten. Daran anknüpfend gebe ich Impulse oder Improvisationsauftakte in die Gruppe und reagiere auf das, was kommt. Wir arbeiten jeweils ein halbes Jahr bis zum Festival und haben wöchentliche Proben von zwei bis drei Stunden. Manchmal ist diese Arbeit auch an ein Stück gekoppelt oder an Texte, die die Schüler:innen selbst geschrieben haben. Was in den Gruppen passiert, ist oft sehr persönlich und führt dich mitunter ganz woanders hin, als du dachtest.

Siehst du die Performance im Rahmen eures Angebots als eine Vorstufe zum einstudierten Schauspiel oder als eigene Kunstform?

Lundbeck: Wir machen keine reine Performance, sondern performatives Theater. Der Anteil der Performance besteht darin, dass wir meistens keine Rollen spielen, sondern die Darsteller:innen als Textträger fungieren. Das ist aber kein Zwischenschritt zum traditionellen Schauspiel, sondern bietet für die Jugendlichen einen absoluten Mehrwert. Es geht nicht darum, irgendwann namhafte Leute zu spielen, sondern sich selbst als namhaft zu begreifen, weil man sich mit der Welt beschäftigt.

„Bilder können sehr viel erzählen“

Wie lautet das aktuelle Spielzeitthema?

Lundbeck: „Diversität“. Es ist ein zeitrelevantes Thema, das aber auch viele Fettnäpfchen bereithält. Weil meine Gruppe weniger divers ist, als ich mir es wünschen würde, versuchen wir, uns sehr abstrakt und auf Umwegen dem Thema zu nähern und mehr die Bilder als den Kopf sprechen zu lassen. Bilder können sehr viel erzählen und sind dem Herzen oft näher als ein Text, der über den Verstand geht. Auch wenn Abstraktionen den Jugendlichen zunächst fremd sind, weil sie im Alltag eher mit realistischen Darstellungsformen wie dem Film konfrontiert sind.

Das erlebt man sonst wohl nur in der Staatsoper

Gesche Lundbeck

Entwickeln alle Jugendclubs ihre Stücke frei?

Massmann: Die meisten. Nur der „Jugendclub Schauspiel“ erarbeitet ein vorgegebenes Großprojekt und probt zweimal wöchentlich. Aktuell proben wir „Europa flieht nach Europa“ von Miru Miroslava Svolikova. Der Text bildet das Grundgerüst, wobei die Jugendlichen viele eigene Ideen in die Inszenierung einbringen.

Ihr arbeitet auch mit Schulen zusammen …

Lundbeck: In diese Inszenierung sind sechs Schulklassen mit Jugendlichen eingebunden, die bisher kaum Theatererfahrungen haben. Sie proben in ihren jeweiligen Schulen und kommen erst am Schluss zu einer gemeinsamen Probewoche ins Ernst Deutsch Theater. Beim plattform-Festival stehen dann 120 Menschen gemeinsam auf der Bühne. Das erlebt man sonst wohl nur in der Staatsoper.

„Es geht darum, seine Meinungen über die Welt auszudrücken“

Leitet seit vier Spielzeiten die Jugendsparte am Ernst Deutsch Theater: Mia Massmann (©Finn Westphal)

Bei euch können Jugendliche sich auch als Theateragenten betätigen …

Massmann: Die Theateragent:innen bilden eine offene Gruppe, der man sich jederzeit anschließen kann, wenn man theaterinteressiert ist, aber nicht unbedingt spielen möchte. Man sieht dann, welche Menschen außer Schauspieler:innen noch am Theater beschäftigt sind. Kürzlich haben wir uns auch eine Inszenierung angeschaut und darüber gesprochen, wie man eine Rezension schreibt. Beim nächsten Treffen bringt dann jeder seine eigene Kritik mit. So erfahren wir, wie junge Menschen unsere Stücke im Spielplan wahrnehmen.

Fällt den Jugendlichen bei so vielen Gruppen die Auswahl nicht schwer?

Lundbeck: Da die Bewerber:innen uns schreiben, was sie am Theater besonders interessiert, gucken wir auch immer, welche Gruppe für wen am besten passt. Außer beim „Jugendclub Schauspiel“ gibt es bei uns ja kein Casting.

Massmann: Die ersten drei Treffen sind dann zum Hineinschnuppern gedacht. Danach muss man verbindlich zu- oder absagen, wobei unser Angebot komplett kostenfrei ist. Wir wollen das Theater für jede Person öffnen, ohne dass ein weiterführender Anspruch dahinter steht. Natürlich freuen wir uns, wenn ehemalige Jugendclubteilnehmer:innen später auch in unseren regulären Produktionen auf der Bühne stehen, aber wir sind keine Ausbildungsstätte.

Lundbeck: Wir bewerten auch niemanden. Es geht nicht darum, eine Technik zu erlernen und etwas perfekt auszuführen, sondern seine Meinungen über die Welt auszudrücken, in der Gemeinschaft über Themen zu sprechen und mit aufrichtigen Gefühlen bei der Sache zu sein.

„Es sind ja meistens sehr sensible Menschen, die am Theater landen“

Haben die Corona-Jahre in den Jugendclubs Spuren hinterlassen?

Massmann: Auf jeden Fall. Da sehe ich eine besorgniserregende Veränderung, bei der das Theater aber gegensteuern kann: durch eine kontinuierliche Arbeit mit Menschen und Kunst. Durch das Sprechen über Probleme, die vorher schon da waren, jetzt aber wie durch ein Brennglas noch dringlicher und persönlicher geworden sind. Da bekommt das Theaterspiel fast eine Therapiefunktion.

Lundbeck: Während der Lockdowns haben wir kontinuierlich per Zoom oder in kleinen Gruppen weitergearbeitet. Aber wir haben sehr viele junge Menschen, denen es nicht gut geht, was leider zu wenig mediale Aufmerksamkeit findet. Auch die Zuverlässigkeit der Teilnehmer:innen hat gelitten. Man schiebt die Dinge auf und sagt schneller ab, wenn es mal ein bisschen im Hals kratzt. Um manche Jugendliche mache ich mir wirklich Sorgen. Es sind ja meistens sehr sensible Menschen, die am Theater landen.

Was erwartet uns beim plattform-Festival?

Massmann: Zur Eröffnung treten erstmals sechs Jugendclubs mit ihren sehr unterschiedlichen Arbeiten auf. Es gibt Bühnenführungen, einen Schauspielworkshop für Schulklassen und eine Kooperation mit dem Backstage-Jugendclub des Schauspielhauses, der Aufführungen bei uns zeigt. Außerdem veranstalten wir einen Song-Contest und zum Abschluss unser Jugendgroßprojekt.

Lundbeck: Das Festival ist aber nur die Zwischenbilanz eines Prozesses, der selbst noch viel interessanter ist und sich bis zum Ende der Spielzeit fortsetzt.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 02/2023 erschienen.

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