Dirk Rathke: „Vor einer erfolgreichen Europameisterschaft habe ich Angst“

Dirk Rathke (54) ist seit 1979 Mitglied beim USC Paloma. Er spielte selbst für den Verein mit der Taube im Wappen, war Jugendtrainer und 20 Jahre Jugendleiter. Seit 2011 ist er Präsident des 2100 Mitglieder starken Amateurclubs. Kürzlich wurde der USC für seine Verdienste im Jugendfußball mit dem Uwe-Seeler-Preis ausgezeichnet. Doch die Herausforderungen dort bleiben groß. Wir haben mit Dirk Rathke gesprochen
High Five! Der „Tag der Jugend“ an der Brucknerstraße ist für die kleinen Fußballer des USC Paloma immer ein großes Erlebnis (©USC Paloma/Christoph Hellwig) 

SZENE HAMBURG: Herr Rathke, Ihr USC Paloma hat in diesem Jahr zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte den mit 5.000 Euro dotierten, vom Hamburger Senat gestifteten Uwe-Seeler-Preis für gute Jugendarbeit im Hamburger Amateurfußball gewonnen. Mit welchem Konzept haben Sie überzeugt?

Dirk Rathke: Erst mal freuen wir uns sehr über den Preis. Das Geld wird direkt in die Jugendarbeit fließen. Wir als USC Paloma bieten 22 Junioren- und vier Mädchenmannschaften ein fußballerisches Zuhause. 850 Mitglieder hat unsere Fußballabteilung. 600 davon sind Kinder und Jugendliche. Unser Ziel ist es stets, in jedem Altersbereich eine Leistungs- und mindestens eine Breitensportmannschaft zu stellen. Unser Konzept besteht also aus einem guten Mix zwischen Breiten- und Leistungssport inklusive fachlich starker und sozial kompetenter Trainer. Es gibt zudem einen „Tag für die Jugend“ auf dem Sportplatz, wir haben auch schon Fußballcamps ausgerichtet. Auch soziale Aktionen wie „Dein Ball für Namibia“ sind uns wichtig, bei der unsere Jugendmannschaften zum Beispiel Sportkleidung spenden, die sie nicht mehr benötigen. Unser Motto ist grundsätzlich: Jedes Kind kann bei Paloma Fußball spielen. Leider gilt dieser Satz nur mit Einschränkungen.

Weil Ihnen die Trainingskapazitäten fehlen?

Genau. Wir haben einen Kunstrasenplatz an unserer Brucknerstraße und einen Grandplatz am Klinikweg. Übrigens mit einem leider schon lange sehr sanierungsbedürftigen Umkleidehaus, bei dessen Renovierung wir unsere Hoffnungen weiter auf das Bezirksamt Nord setzen. Darüber hinaus haben wir noch einige wenige Trainingszeiten, bei denen wir uns bei anderen Vereinen eingemietet haben. Das reicht leider nicht. Wir könnten locker zehn Mannschaften mehr stellen, aber wir haben keine Möglichkeit dazu.

Also Aufnahmestopp in bestimmten Altersgruppen?

Ja, weil es nicht anders geht. Ein trauriges Beispiel: Bei uns gibt es eine Mini-Pampers-Liga für die drei- bis fünfjährigen Kinder. Nach der Pampers-Liga möchten die Kleinen gerne in einer Mannschaft Fußball spielen. Wenn wir den Eltern mitteilen müssen, dass das leider nicht geht, fallen sie oft aus allen Wolken. Ich verstehe die Eltern. Ihr Kind fühlt sich hier wohl, will bei uns bleiben. Für uns sind solche Gespräche auch nicht einfach.

Gewaltige Herausforderungen

Über 5500 Kinder stehen in Hamburg auf Wartelisten. Glauben Sie, das Problem lässt sich in absehbarer Zeit politisch lösen?

Leider nicht. Ich glaube, das Thema ist viele Jahre lang massiv unterschätzt worden. Alle haben gerufen „Wohnungsbau, Wohnungsbau“ – und der Ausbau der Sportflächen ist dabei nicht in dem Maße betrieben worden, wie es notwendig gewesen wäre. Auch müssten viel mehr Plätze in Kunstrasenplätze umgewandelt werden, weil dies die Nutzbarkeit deutlich erhöht. Die Umwandlung verursacht aber finanzielle Kosten. Der Hamburger Fußball-Verband hat mit Präsident Christian Okun einen wichtigen Fürsprecher für all diese Belange, aber die Herausforderungen sind gewaltig. Ehrlich gesagt: Ich habe Angst vor einer erfolgreichen Europameisterschaft unserer deutschen Nationalmannschaft im Sommer 2024.

Wenn Deutschland bei der Euro weit kommt, sie vielleicht sogar gewinnt, werden noch viel mehr Kinder Fußball spielen wollen. Eigentlich schön. Aber ich habe keine Ahnung, wie die Hamburger Vereine einen solchen Ansturm bewältigen könnten.

Dirk Rathke

Damit dürften Sie unter den deutschen Fußballfans in der Minderheit sein.

Nicht falsch verstehen: Ich wünsche mir viele Siege der deutschen Nationalmannschaft. Aber ein erfolgreiches, großes Turnier löst eben erfahrungsgemäß einen Boom aus. Wenn Deutschland bei der Euro weit kommt, sie vielleicht sogar gewinnt, werden noch viel mehr Kinder Fußball spielen wollen. Eigentlich schön. Aber ich habe keine Ahnung, wie die Hamburger Vereine einen solchen Ansturm bewältigen könnten.

Ein weiteres heiß diskutiertes Thema im Hamburger Amateurfußball ist das Beraterwesen.

Unsere C-Jugend (U15) spielt in der bundesweit höchsten Klasse, der C-Regionalliga. Unsere B-Jugend (U16) steht vor dem Aufstieg in die Regionalliga, unsere A-Jugend (U18) spielt in der Oberliga Hamburg. Es sind ständig Scouts anderer Vereine auf unserem Platz, vor allem bei der C-Jugend. Nicht nur vom HSV und vom FC St. Pauli, auch aus Bremen, Wolfsburg, Lübeck und Kiel. Sie alle eint ein Ziel: das Kind ansprechen, das am Ende groß rauskommt.

Was bedeutet das für den USC Paloma?

Wir haben so gut wie keinen Kontakt zu den Beratern. Zu uns kommen die Eltern meist erst, wenn ihr Kind wechselt. Gegen die Nachwuchsleistungszentren der Proficlubs haben wir keine Chance.

Aber Ihre Jugendmannschaften in hohen Ligen sind kostspielig. Gleichen die Proficlubs ihren Aufwand etwas aus?

Bei einem Wechsel ins Nachwuchsleistungszentrum kann es sein, dass wir etwas Geld sehen. Lohnen würde sich das Ganze für uns aber erst so richtig, wenn der Spieler später als Erwachsener einen Profivertrag unterschreibt.

Der Jugendfußball in Hamburg

Für Ihre C-Jugend liegt der Jahresetat bei 10.000 bis 12.000 Euro, für die B-Jugend wäre es bei einem Aufstieg noch mehr. Wie finanzieren die das als Amateurverein?

Wir bitten die Eltern um Hilfe bei der Sponsorensuche oder darum, sich persönlich zu engagieren. Anders könnten wir das finanziell nicht darstellen.

Was halten Sie von der Reform der A- und B-Jugendbundesligen zur neuen Saison, nach der die Jugendteams der Profivereine nicht mehr absteigen können, die wenigen dort vertretenen Amateurvereine aber schon?

Darin sehe ich nicht so ein großes Problem. Die Proficlubs spielen einfach in einer anderen Dimension als die Amateure. Das müssen wir akzeptieren. Das berührt letztlich die wenigsten Amateurteams in der Jugend, auch wenn die eine oder andere Mannschaft mit Jugendteams aus Proficlubs mithalten kann.

Was wünschen Sie sich generell für den Jugendfußball in Hamburg?

Viel mehr Vereinstreue und viel mehr Nähe. Es kommt zu häufig vor, dass Eltern und auch Kinder sich nicht mit schwierigen Situationen auseinandersetzen. Die gehören aber dazu. Spielt ein Kind nicht oder auf der angeblich falschen Position, wird oft mit einem Wechsel zum Nachbarverein reagiert. Es gibt teilweise D- und C-Jugendliche, die bereits sechs Vereine hinter sich haben. Ob das so förderlich für die Entwicklung des Kindes ist, wage ich zu bezweifeln.

Und Ihre Vision für die Jugendfußballabteilung des USC Paloma?

Wir werden unserem Konzept treu bleiben. Und uns weiterhin für bessere Rahmenbedingungen einsetzen – also mehr Kunstrasenflächen und mehr Hallenzeiten. Damit auch wirklich jedes Kind, dass Fußball spielen möchte, in dieser Stadt auch Fußball spielen kann.

Dieser Artikel ist zuerst in SZENE HAMBURG 01/2024 erschienen.

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