Gegen Gendern: Das ist reaktionär – ein Kommentar

In Hamburg gibt es eine Volksinitiative. Das Ziel: Kein Gendern im Hamburger Amtsdeutsch. Dieses Vorhaben ist reaktionär, meint unser Autor
Gendern verbieten zu wollen ist reaktionär, meint unser Autor. Denn die Sprache verändert sich ständig (©unsplash/Norbu Gyachung)
Gendern verbieten zu wollen ist reaktionär, meint unser Autor. Denn die Sprache verändert sich ständig (©unsplash/Norbu Gyachung)

„Wir fordern von Politik, Verwaltungen, ÖR-Medien und Bildungseinrichtungen: Sprechen Sie unsere Sprache — die deutsche Einheitssprache“, so beginnt die Begründung einer Petition gegen das Gendern – also die geschlechtergerechte Sprache, wie es korrekt heißt – auf Bundesebene. Ins Leben gerufen hat die Petition Sabine Mertens. Sie ist es auch, die aktuell eine ähnliche Initiative in Hamburg vorbereitet. Mertens will das Gendern im Hamburger Amtsdeutsch verbieten lassen. Die Petition auf Bundesebene wird von einigen Mitinitiator:innen aus Medien und Kultur mitgetragen und steht kurz vor 50.000 Unterschriften. Ab dieser Marke muss sich der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags damit beschäftigen. Wenn die ähnliche Petition in Hamburg sogar 65.000 Unterschriften erreichen sollte, könnte auf Hamburg eine Volksabstimmung zukommen. Dabei ist das Vorhaben hinter beiden Petitionen falsch und reaktionär.

Gendern ist weder sexistisch, reaktionär noch verfassungswidrig

Gendern ist ein extrem kontroverses Thema. Es gibt kaum Meinungen zwischen dem klaren Pro und dem klaren Kontra. Die Fronten sind verhärtet. Doch womit wird argumentiert? In der Petition auf Bundesebene heißt es Gendern sei „sexistisch“, „reaktionär“ und „verfassungswidrig“. Dazu kommen die Menschen, die sich aufgrund der vermeidlichen Unleserlichkeit der Schreibweisen mit Doppelpunkt oder Genderstern verwehren. Beide Argumentationslinien sind dabei nicht zeitgemäß. Denn Sprache befindet sich in einem ständigen Wandel und dieser wurde erst mit der Normierung 1880 durch Konrad Duden verlangsamt. Trotzdem spricht heute kaum noch jemand wie die Menschen im 19. Jahrhundert. Nur eines ist seitdem unverändert: die männliche Form.

Die männliche Form ist diskriminierend

Zumindest seit 1880 werden beispielsweise Berufsbezeichnungen nur mit der männlichen Form angegeben (mit einigen Ausnahmen wie beim Beruf der Krankenschwester). Damit einher geht die Ungleichberechtigung zwischen Männern und allen anderen Geschlechtern. Studien zeigen: Wenn gegendert wird, werden alle Geschlechter gedanklich deutlich mehr mit einbezogen. Deswegen ist die geschlechtergerechte Sprache weder sexistisch noch reaktionär, sie ist einfach gerecht.

Gewöhnt euch dran

Und alle, die sagen, „das stört den Lesefluss“, sollten sich die Frage stellen, ob sie Telefone mit der guten alten Wählscheibe vermissen? Nein, weil wir uns an Neues gewöhnen, und fast nichts ist so fluide, wandelbar und ständigen Einflüssen unterworfen wie die Sprache – nicht umsonst freuen wir uns jedes Jahr, wenn Susanne Daubner in der Tagesschau die potenziellen Jugendwörter des Jahres präsentiert.

Natürlich verwirrt es, das erste Mal einen Text mit Doppelpunkt oder Genderstern zu lesen. Doch wie formulierte es Linguist Rudi Keller: „Ein Trampelpfad entsteht, weil eine Vielzahl von Menschen von A nach B geht […]. Das erzeugt die Regelmäßigkeit des Verhaltens, die nach einer gewissen Zeit dann Spuren zurücklässt. Sprachzustände sind keine Endzustände von Prozessen, sondern transitorische Episoden in einem potenziell unendlichen Prozess kultureller Evolution.“ Und das Gendern ist einer dieser kulturellen Evolutionsprozesse. Daher ist es Zeit, den Trampelpfad zu gehen, sich auf die Veränderung einzulassen und mitzugestalten, wohin sie führt. Diejenigen, die sich gegen den Wandel sträuben, sind reaktionär.

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