Hinterletzte Helden – ein Kommentar

Der Name „Letzte Generation“ allein sei eine Anmaßung, doch die Aufregung gegenüber den Aktivisten trifft die Falschen, meint unser Autor
Folgen eines Farbanschlags aufs Rathaus Ende März (©Jan D. Gerlach)
Folgen eines Farbanschlags aufs Rathaus Ende März (©Jan D. Gerlach)

Autofahrer rasten vor laufenden Kameras aus. Der Staatsschutz ermittelt. Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe Berlin, will die Entstehung einer „Klima-RAF“ verhindern (Opferverhöhnung forte: Die RAF ermordete über 30 Menschen). „Klimaterroristen“ wird Unwort des Jahres 2022. Man kann dem radikalen Teil der Klimabewegung, der „Letzten Generation“, einiges vorwerfen – einen Mangel an Aufmerksamkeit nicht: Seit ihrer ersten Besetzung von Autobahnzufahrten in Berlin im Januar 2022 sorgten rund 2000 Aktivisten mit über 1200 Aktionen für reichlich Aufregung. Unter anderem im März mit Blockade der Elbbrücken, der Köhlbrandbrücke und einem Farbanschlag aufs Hamburger Rathaus. Die Kommentare dazu sind immer die gleichen: Die Ziele der Aktivisten mögen richtig sein, die Aktionen nicht. Sie würden sogar dem Ansehen des Klimaschutzes schaden.

Viele Ziele. Wenig Ergebnisse

Welcher Klimaschutz jetzt genau? Tempolimit? Fehlanzeige. Verbrennungsmotoren? Werden von der FDP im Alleingang gerettet. Ausbau der Windenergie? Gemach, gemach. Trotz Dauerpräsenz des Themas sind wir weit davon entfernt, bis 2030 unser Energieziel von 65 Prozent weniger CO2-Emissionen gegenüber 1990 zu erreichen. Laut Dirk Messner, Präsident des Umweltamtes, bräuchte es dafür ein jährliches Minus von 6 Prozent an Treibhausgasen. Aktuell kann sich die Politik bei 1,9 Prozent in 2022 das Triumphgeheul nur schwer verkneifen. Die Folgen des Klimawandels wie brennende Wälder, schmelzende Gletscher und tödliche Überschwemmungen sind längst Realität. Eigentlich eine Steilvorlage für CDU/CSU, ihrer Oppositionsrolle gerecht zu werden und Handeln einzufordern. Stattdessen attackieren sie Klimaschützer in erbärmlicher AfD-Tonalität.

Wacker nerven

Andererseits – was kümmert es uns Boomer? Bis es richtig ungemütlich wird, tut uns kein Zahn mehr weh.  Erst recht keine Klimakrise. Blöd nur, wenn man kein Boomer ist, sondern als junger Mensch noch einige Jahrzehnte auf dem heiß laufenden Schlammball, den wir Erde nennen, verbringen muss. Was, wenn man sich zudem Sorgen um den Nachwuchs macht? Was dann? Den Verstand verlieren? Oder dafür sorgen, dass das Thema im Bewusstsein der Öffentlichkeit bleibt? Ob es ihr gefällt oder nicht. Zugegeben: Die „Letzte Generation“ macht es leicht, sie abzulehnen. Allein der Name ist eine Anmaßung. „Letzte Generation“ klingt nach Größenwahn von Schwerstdepressiven. Und muss man sich wirklich in der Elbphilharmonie am Geländer des Dirigentenpults festkleben, um dann samt Geländer unter Gelächter aus dem Saal geführt zu werden? Sicher ist: Breiwürfe, Farbattacken und Blockade-Aktionen nerven, sind aber nichts im Vergleich zu den Konsequenzen der politischen Versäumnisse beim Klimaschutz. Der Skandal ist doch, dass wir uns über engagierte Umweltaktivisten aufregen, statt über die wahren Klimachaoten. Die kleben nicht an Straßen fest, sondern an ihren Bundestagssitzen und fürchten nichts mehr, als mit unpopulären Maßnahmen die Leute zu verärgern. Was man der „Letzten Generation“ schon mal nicht unterstellen kann.

Dieser Artikel ist zuerst in der SZENE HAMBURG 05/2023 erschienen.

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